Die Mär von der «Lohngleichheit»

05_FrauendemoZum diesjährigen Internationalen Frauenkampftag demonstrierten tausende Menschen gegen die Lohndiskriminierung von Frauen. Trotz gesetzlicher Regelung wird der Grundsatz «gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit» von Unternehmen systematisch missachtet. Mit obligatorischen Kontrollen und Sanktionierungsmöglichkeiten wollen die Gewerkschaften dagegen angehen.

Seit mehr als 33 Jahren gilt in der Schweiz das Gleichstellungsgesetz. Seit mehr als 33 Jahren wird es von den Unternehmen ignoriert. Nun regt sich Protest. Rund 12000 Personen waren am 7. März dem Appell eines Demonstrationsbündnisses, bestehend aus 48 Frauenorganisationen von links bis rechts, gefolgt und trugen die Forderung nach «Gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit» auf die Strasse. Rund 24 Jahre nach dem historischen Frauenstreiktag von 1991, zu dem fast eine halbe Million ArbeiterInnen ihre Tätigkeit niedergelegt hatten, sei es an der Zeit, einem «der grössten Skandale der Schweiz» ein Ende zu bereiten, erklärte die Gewerkschaft Unia.

Die «Lohngleichheit» ist seit 1981 in der Bundesverfassung und seit 1996 – im Nachgang zum Frauenstreiktag – im Gesetzbuch verbindlich verankert. Dennoch verdienen Frauen gemäss den neusten Erhebungen des Bundesamts für Statistik (BFS) aus dem Jahr 2012 in der Schweiz immer noch rund 19 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Eine Differenz von durchschnittlich 677 Franken pro Monat. Der Unterschied zu Staaten, die kein gesetzliches Verbot von Lohndiskriminierung kennen, ist marginal. In Deutschland etwa liegt die Differenz bei rund 22 Prozent. Begründen könne man den Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern teilweise durch Faktoren wie Ausbildung, Qualifikation und beruflicher Stellung. Dennoch bleibt gemäss BFS eine «unerklärbare» Differenz von 8,7 Prozent. In Branchen mit hohem Frauenanteil – wie etwa in der Pflege und im Detailhandel – sind die Zustände für die ArbeiterInnen noch gravierender: Die Löhne sind auf unterdurchschnittlichem Niveau und das Lohngefälle zwischen Mann und Frau noch höher als in anderen Wirtschaftszweigen. Der Gesamtwert der «Einsparungen», welche Unternehmen durch die Zurücksetzung der Frauen in der Arbeitswelt erzielen, beläuft sich in der Schweiz auf insgesamt 7,7 Milliarden Franken pro Jahr. Geld, das den Frauen nicht nur während ihrer Erwerbszeit, sondern auch später im Rentenalter fehlt.

Selbst verantwortlich

Der Grund, warum das vorhandene Gesetz gegen «Lohndiskriminierung» nicht greift, ist simpel: Privaten Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen ist es freigestellt zu prüfen, ob sie eine diskriminierende Lohnpolitik führen und beheben wollen. Der Staat leistet den Unternehmen dabei finanzielle und personelle Unterstützung, der Blick in die Lohnbuchhaltungen bleibt aber verwehrt. Stichkontrollen vornehmen dürfen die Behörden nur bei der Vergabe von Bundesaufträgen. Gemäss dem Eidgenössischen Büro für Gleichstellung (EBG) wurden in diesem Bereich bisher jedoch lediglich 43 von rund 300000 Unternehmen und Organisationen, mit denen der Bund Geschäftsbeziehungen unterhält, geprüft. Kurzum: Für die Durchsetzung des Verfassungsrechts ist jede Frau selber verantwortlich. Und nicht selten führt dieser Weg vor Gericht.

Mehr als 262 Fälle von Lohnungleichheit sind in der Schweiz in den vergangenen 19 Jahren eingeklagt worden. Die Dunkelziffer dürfte allerdings um einiges höher sein, da viele Betroffene entweder gar nicht erst um die Diskriminierung wissen oder den kräftezehrenden Rechtsweg nicht auf sich nehmen können. Dass das Einklagen von Lohn ein aufreibender und langwieriger Weg ist, zeigt das Beispiel einer Schneiderin aus Lausanne. Seit mehr als zwei Jahren führt die Frau einen Rechtsstreit gegen das Unternehmen, in dem sie sechs Jahre lang tätig war. Nachdem sie festgestellt hatte, dass sie als Fachperson mit Berufserfahrung monatlich rund 1200 Franken weniger verdient als ein Arbeitskollege ohne eigentliche Qualifikation, verlangte sie bei ihrem Chef eine Lohnerhöhung. Kurze Zeit später kam die Kündigung. Die Schneiderin zog den Fall vor Gericht, doch die Anordnung eines wissenschaftlichen Attests, mit dem die Lohnungleichheit bewiesen werden muss, wurde von der Justiz – zugunsten des Unternehmens – verzögert. Bis heute lässt der Urteilsspruch auf sich warten.

Freiwillige Prüfung?

Die Gewerkschaft Unia spricht von «Verschleppungstaktik» und einem «hürdenreichen Weg». Nichtsdestotrotz sieht die Unia-Gleichstellungssekretärin Corinne Schärer in den Lohnklagen «das wichtigste Mittel», um Druck aufzubauen. Gewerkschaftliche Organisation und Arbeitskämpfe gegen diskriminierende Entlohnung sind bisher kein Thema zur Durchsetzung der «Lohngleichheit». Man konzentriert sich weiterhin auf den Rechtsweg und die Forderungen, die man bereits im Jahr 2007 gestellt hat. Damals, als das Parlament eine Sondersitzung zur Diskussion des Gleichstellungsgesetzes abhielt, verlangten die Gewerkschaften «griffige Massnahmen» wie Kontrollen und Sanktionen. Ohne Erfolg. Der Bundesrat entschied stattdessen, in eine zusätzliche freiwillige «Förderungsmassnahme» zu investieren und einen »Lohngleichheitsdialog» zwischen den «Sozialpartnern» zu veranlassen. Dabei konnten sich alle Unternehmen in der Schweiz einer externen Kontrolle unterziehen, um zu prüfen, ob sie eine diskriminierende Lohnpolitik führen. Doch während der fünfjährigen Pilotphase machten lediglich 50 Unternehmen von diesem «Angebot» Gebrauch. Davon waren 70 Prozent staatlich oder «staatsnah».

Ein ernüchterndes Ergebnis. Selbst der Bundesrat musste daraufhin im vergangenen Oktober eingestehen, dass «freiwillige Lösungen alleine nicht zum Ziel führen». Justizministerin Simonetta Sommaruga kündigte eine «Verschärfung» des Gleichstellungsgesetzes an, die vorsieht, dass Unternehmen künftig alle drei Jahre eine «Lohnanalyse» durchführen, das Resultat von einem «Dritten» ihrer Wahl bestätigen lassen und im Geschäftsbericht erwähnen, dass die gesetzliche Pflicht eingehalten worden sei. Darüber, wie gross die tatsächlich festgestellte Lohndifferenz ist und welche Massnahmen ergriffen wurden, sollen die Unternehmen keine Rechenschaft ablegen müssen. Man wolle «keine Lohnpolizei» und dass «die zusätzliche administrative Belastung für die Unternehmen gering bleibt», so die SP-Bundesrätin.

Dass Bewegung in die Lohngleicheitsdiskussion kommt, begrüssten die Gewerkschaften zwar als einen «Schritt in die richtige Richtung», die bundesrätliche Vorstellung der «Gesetzesverschärfung» teilen sie aber nicht. Die vorgesehenen Massnahmen seien «zahnlos», es brauche verbindliche Kontrollen, eine Meldebehörde und die Möglichkeit, Unternehmen zu sanktionieren, wenn sie Diskriminierung nicht beheben, heisst es seitens der Unia. Dem Gewerkschaftsbund schwebt eine Kontrollstelle in Form einer «Tripartiten Kommission» vor. Ein Organ zur «Beobachtung des Arbeitsmarkts», wie es aktuell in Zusammenhang mit den «flankierenden Massnahmen» eingesetzt wird und das befugt ist, die Einhaltung von Arbeitsverträgen zu kontrollieren, Verstösse wie Lohndumping an die kantonalen Vollzugsbehörden zu melden und «Massnahmen» zu beantragen. Einsitz haben VertreterInnen der «Sozialpartner» – Gewerkschaften und Unternehmen – sowie der Behörden. Diesem Kräfteverhältnis entsprechend ist die Durchschlagskraft der Kommission: Immer wieder werden Forderungen nach Einhaltung und Verschärfung der «flankierenden Massnahmen» laut. Im Basler Parlament hiess es im September 2012 sogar: «Die Tripartite Kommission muss endlich ihre Kontrollfunktion gemäss Auftrag ausführen.» Der Tages-Anzeiger titelte im April 2014: «Flankierende Massnahmen sind fast folgenlos» und die Unia führt eine lange Liste mit Forderungen zur «Verstärkung der flankierenden Massnahmen», die seit jeher unverändert blieb.

Torpedierte Lohngleichheit

Eine Erfolgsgeschichte sieht anders aus. Nichtsdestotrotz schwebt den Gewerkschaften auch für die Durchsetzung der «Lohngleichheit» eine Tripartite Kommission als Kontrollgremium und somit die «Zusammenarbeit» mit den Unternehmen vor. Alternative Ideen sind Mangelware, wie sich an der Frauendemonstration am 7. März zeigte, als die SP-Frauen-Präsidentin Yvonne Feri «vielleicht ein bisschen provokativ» anregte, man solle «die Männerlöhne bei Ungleichheiten gegen unten korrigieren». So könne die Wirtschaft sparen und dieses Geld in gleichstellungspolitische Massnahmen investieren.

Die Unternehmen dürften applaudiert haben, denn Sparen steht bei ihnen derzeit ausserordentlich hoch im Kurs. Aufgrund des «starken Frankens» sehen sich Firmen, vor allem im Exportbereich, «unter Druck». Mögliche Einbussen sollen kompensiert werden. Mehr Arbeit zu weniger Lohn sowie Stellenstreichungen wurden mancherorts bereits durchgesetzt. Und damit die Wirtschaft noch freier walten kann, rief die SVP Ende Februar dem Appell von UBS-Chef Sergio Ermotti folgend zu einen «Deregulierungspakt» zwischen Wirtschaft und Politik auf. Lohnangleichung gegen oben und Kontrolle von Unternehmen kommen für die SVP nicht in Frage. So soll auch die Frauendiskriminierung fortgesetzt werden, wie SVP-Parteipräsident Toni Brunner im Interview mit der NZZ am Sonntag darlegte. Die vom Bundesrat geplante «Lohnpolizei» müsse man «abbrechen oder wenigstens sistieren«, so Brunner. Gestützt werden die Rechtspopulisten von der CVP und der FDP. Die «Frankenstärke» dient als dankbarer Vorwand, um das Ansinnen für «Lohngleichheit» weiter zu torpedieren.

«Das werden wir verhindern», konterte indes der Gewerkschaftsbund. Man wolle nun den konkreten Gesetzesentwurf abwarten, den die Regierung im Sommer vorlegen wird. Sollten die Anliegen der Frauen weiter auf die lange Bank geschoben werden, würde man wieder auf die Strasse gehen. Dennoch ist absehbar, dass die Diskriminierung von Frauen ohne eine entschiedenere Haltung weiter Realität sein wird.

 

Aus der Printausgabe vom 10. April 2015. Unterstütze uns mit einem Abo

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