Der «Frankenschock» und die Unia

Die Reaktionen der Unternehmen auf den «Frankenschock» treffen die ArbeiterInnen in der Schweiz hart. Was machen die Gewerkschaften dagegen? Und was kann man von ihnen erwarten?

Nach all den Weissagungen in den vergangenen Monaten kann man momentan in Echtzeit beobachten, wie sich die Schweizer Nationalökonomie nach dem «Frankenschock» entwickelt. Die Aufträge für die Schweizer Industrie sind um fünf Prozent eingebrochen. Insgesamt ist die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2015 um 0,2 Prozent geschrumpft. Klingt eigentlich nicht weiter dramatisch. Aber das Kapital ist auf Wachstum angewiesen, nur so kann es existieren. Machen Firmen längerfristig keinen Profit, den sie wieder reinvestieren, müssen sie ihre Tore schliessen. Zwar ist die aktuelle Konjunkturdelle nicht der Untergang der helvetischen Nationalökonomie, aber falls es zu einer längeren Phase der Stagnation kommen sollte, bedeutet das zwangsläufig Firmenkonkurse, Entlassungen und Steuerausfälle. Da mag es erleichtern, dass die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) vor einigen Tagen verkündete, dass die Schweizer Wirtschaft 2015 um 0,7 wachsen soll. Bloss sollte man mit solchen Prognosen vorsichtig sein. Sie sollen meist nicht als selbsterfüllende Prophezeiungen den Teufel an die Wand malen und zudem bleibt der reelle Akkumulationsprozess des Kapitals für die WirtschaftswahrsagerInnen letztlich ein Buch mit sieben Siegeln.

Reaktionen von Kapital und Politik

Die Reaktion von Unternehmen und bürgerlichen Parteien auf die Aufkündigung der Euro-Untergrenze durch die Schweizer Nationalbank (SNB) und die folgenden Prognosen ist heftig. Vor dem Hintergrund des aktuellen Bedrohungsszenarios haben viele Unternehmen Massnahmen in die Wege geleitet, die sie wohl oftmals ohnehin im Hinterkopf hatten. Verlängerung der Arbeitszeit, Kürzung der Löhne, Entlassungen und Kurzarbeit sind in einer zunehmenden Anzahl von Schweizer Betrieben Realität. Der bürgerliche Block veröffentlichte kurz nach dem SNB-Entscheid einen Massnahmenkatalog, der Margaret Thatcher vor Neid hätte erblassen lassen: Weitere Freihandelsabkommen, Einsparungen im öffentlichen Bereich, weniger Kontrolle der UnternehmerInnen und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sind nur einige der Vorschläge die CVP, FDP und SVP gemeinsam umsetzen wollen. All die Massnahmen zielen darauf ab, die Folgen der Krise, die durch den Euro-Unterkurs der SNB aufgeschoben wurden, auf die Proletarisierten abzuwälzen.

Die Gewerkschaften hätten in diesem Moment zumindest die Aufgabe, die fundamentalsten immanenten Interessen der ArbeiterInnen zu verteidigen. Und was macht die Unia? Sie berät den nationalen Standort unter keynesianischen Prämissen: Eine Kürzung der Löhne würde die Nachfrage untergraben und damit der Schweizer Wirtschaft schaden. Das ist ökonomischer Dogmatismus in seiner Reinform. Die Nachfrageproblematik ist eine reale Seite des aktuellen weltweiten Krisenproblems, aber nach dem SNB-Entscheid geht es in der Schweiz gerade um etwas anderes. Die Profitraten der Unternehmen drohen zu sinken. Und das ist nun mal das Kerngeschäft der neoliberalen GegenspielerInnen der GewerkschaftsökonomInnen. Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen sollen dieses Problem auf die ArbeiterInnen abwälzen. Das ist, was momentan gemacht wird und was die Vorstösse des bürgerlichen Blocks politisch flankieren sollen.

Die SNB im Klassenkampf?

Neben der Wirtschaftsberatung protestierte die Unia auch öffentlichkeitswirksam vor der SNB und forderte eine Rückkehr zum Euro-Mindestkurs. Man hat einen Schuldigen gefunden und fragt sich in der work-Zeitung: «Wer stoppt Jordan?» Der SNB-Chef mache Wirtschaftspolitik mit harter Hand, kann man dort lesen. Nun gut, faktisch hat die Finanzpolitik der SNB die Krisenauswirkungen gerade einigermassen von der Schweiz ferngehalten. Vor einigen Monaten ist die Nationalbank zum Schluss gekommen, dass dies angesichts der Massnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) zu kostspielig wird. Zur Erinnerung: Die EZB vermehrt gerade die Geldmenge innerhalb von eineinhalb Jahren um 1140 Milliarden Euro. Was wir jetzt beobachten können, ist der Einbruch der ökonomischen Realität der Eurozone ins vermeintlich sichere Heidiland. Bloss, um das entgegen linker Legendenbildung mal festzuhalten: Der SNB-Entscheid ist kein Klassenkampf von oben. Einerseits sind die Exportanteile, welche die Schweizer Ökonomie verliert, der Gewinn anderer Standorte. Was die Proletarisierten hier an Arbeitsplätzen verlieren, das wird anderswo geschaffen werden müssen. Die internationale ArbeiterInnenklasse verliert durch den SNB-Entscheid gar nichts, die Schweizer ArbeiterInnen werden aber natürlich von den Reaktionen von Unternehmen und Politik getroffen. Diese Reaktionen von Kapital und Politik sind der Klassenkampf von oben und nicht der Entscheid der SNB mit einer bestimmten Finanzpolitik aufzuhören.

Im betrieblichen Vollzug der Reaktionen von oben spielt die Unia keine besonders glorreiche Rolle. Mit der Stadler Rail von SVP-Politiker Peter Spuhler schloss die Gewerkschaft kurz nach dem SNB-Entscheid einen «Krisendeal». Die Abmachung sieht vor, dass Spuhler die Arbeitszeit auf 45 Stunden erhöhen darf, dafür aber niemanden auf die Strasse stellt. Wo gestreikt wurde wie im Tessin, da zog die Unia mit, drängte aber naturgemäss auf Sistierung der Massnahmen mittels Verhandlungen. Dies sieht man etwa bei der Firma Meyrin, bei welcher auf die Ankündigung von hohen Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen gestreikt wurde. Die Unia erhandelte eine Verlängerung der Arbeitszeit um zwei Stunden pro Woche. Im Gegenzug darf das Unternehmen niemanden aus wirtschaftlichen Gründen entlassen. Ein halbgarer Deal vor dem Hintergrund eines Streiks möchte man meinen.

Die gewerkschaftliche Logik

Wie genau sich die Gewerkschaften verhalten, ist natürlich nicht nur dem politischen Kurs der Führung geschuldet und auch nicht ausschliesslich auf ihre sozialpartnerschaftliche Rolle zurückzuführen, wenn auch diese Rolle die Logik selbst bestimmt. Ob etwa gekämpft wird, hängt auch damit zusammen, ob die ArbeiterInnen Gegenwehr zeigen und die Unia so auch kämpferische «Ressourcen» vorfindet, um bessere Bedingungen für die Verschlechterungen, die in der Logik des nationalen Standorts liegen, auszuhandeln. Der Unia einfach die Schuld an der Abwieglerei zuzuschieben wäre angesichts der realen Schwäche der ArbeiterInnen in der Schweiz zu kurz gegriffen. Eine Kritik an den Gewerkschaften muss daher auch die Verhandlungsmasse – kämpferische ArbeiterInnen – in die Überlegungen einbeziehen. Und da sieht es in der Schweiz angesichts von Konformität, nationaler Identifikation, staatlicher Integration sowie Abstiegsängsten momentan recht düster aus. Dennoch kann man die Gewerkschaften selbstverständlich nicht aus der Kritik entlassen: Ihr Agieren als keynesianische Beraterinnen des nationalen Standorts, ihre falsche Fokussierung auf die Geldpolitik der SNB und die Selbstdarstellung als vernünftige und zahme Verhandlungspartnerinnen – was auch bedeutet, nach den Verhandlungen für disziplinierte ArbeiterInnen zu sorgen – sind nicht geeignet, um diesen Zustand auch nur aufzuweichen. Allerdings wäre es auch illusorisch, von der Unia etwas anderes zu erwarten.

 

Aus der Printausgabe vom 19. Juni 2015. Unterstütze uns mit einem Abo

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2 Kommentare

  • Marco da Zurigo

    An verschiedenen Stellen im Beitrag lese ich „Unternehmen und Politik“ als Bezeichnung der Antagonisten der Arbeiterklasse. Nun, das finde ich nicht sehr glücklich formuliert.
    Einerseits schliesst die Politik auch die politischen Vertreter der Arbeiterklasse und andererseits werden die Banken als Vertreter des Finanzkapitals links liegen gelassen. Man könnte also besser ‚Unternehmen, Banken und ihre politischen Parteien‘ schreiben.

  • U. Schl.

    Ich bin nicht ganz einverstanden. Tatsächlich bewirkt der Entscheid der SNB, der im Uebrigen aus rein ideologischen Gründen (neoliberaler Sektenglaube) unter Druck von den Grossbanken zugeneigten Oekonomen gefällt worden ist, in erster Linie eine Schwächung des produzierenden Sektors der Schweiz, der Landwirtschaft, des Tourismus und mittels notwendig gewordener Negativzinsen auch der zweiten Säule (Pensionskassen). Dabei nimmt die Arbeitslosigkeit zu und die Kaufkraft der älteren Generation wird geschwächt. Gestärkt werden dagegen jene Sektoren der Banken, die von der Anlage ausländischer Gelder (u.a. Steuerfluchtgelder) profitieren, d.h. dieser (schmarotzende) Teil der Banken wird mit allen bekannten und schädlichen Folgen (Personalabzug, Reputationsschäden) noch mehr aufgebläht. Insofern schadet die SNB der Entwicklung der schweizerischen Volkswirtschaft massiv, während der Einsatz der Gewerkschaften für die Löhne bzw. eine vernünftige Währungspolitik wirtschaftspolitisch positive Wirkungen hat. Im Uebrigen gibt es heute keinen Grund, nicht so viele Euros wie möglich zu kaufen, indem die Nationalbank so viele Franken wie möglch druckt. Das kann sie, das darf sie, und das hat heute, weil keine Inflationsgefahr besteht, keine negativen Auswirkungen und kostet uns nichts. Die eigentliche Aufgabe der Nationalbank ist der Einsatz für die Vollbeschäftigung, im Moment macht sie das Gegenteil. Dass die Schweiz zu viel exportiert, darf nicht durch einen hauptsächlich spekulationsbedingten zu hohen Franken korrigiert werden, sondern mit Lohnerhöhungen, die gleichzeitig den Exportüberschuss verkleinern und die Binnennachfrage vergrössern würden, also der arbeitstätigen Bevölkerung in der Schweiz und anderswo nützen würden.

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