Besetzung des Migrationsamts in Luzern

MigrationsamtAktion Würde statt Hürde. Ein Mann stach sich mit einem Messer in den Bauch, um sich das Leben zu nehmen. Er hielt die Situation als abgewiesener Asylsuchender nicht mehr aus. Darauf empörten sich einige LuzernerInnen einmal mehr über das menschenunwürdige Asylsystem der Schweiz. Es war höchste Zeit, ein Zeichen zu setzen. So entstanden wir, die «Aktion Würde statt Hürde», die aus Menschen mit und ohne Schweizer Pass besteht. In langen Diskussionen und Vorbereitungen füllte sich unsere Aktion mit Inhalt. Wir führten Interviews mit Asylsuchenden, denn wir wollten ihre Geschichten und Anliegen hören. Als wir sie dann hörten, aufschrieben und auf Tonband aufnahmen, wurde aus Empörung Betroffenheit und aus Wut der Wunsch, Solidarität zu zeigen. Deshalb besetzten wir das Amt für Migration in Luzern. Wir trugen die Stimmen derer hinein, die sich selber nicht wehren können, ohne damit rechnen zu müssen, dass sie ihren Traum von einem menschenwürdigeren Leben begraben müssen. «Leben in der Nothilfe ist schwierig und mühsam. Wir haben eine begrenzte Umgebung. Wir sind nicht frei, wir haben ganz wenige Möglichkeiten, uns zu bewegen. Wir müssen nur überleben. Das macht mit der Zeit müde, es ist schwierig und mühsam. Das macht Leute mit der Zeit depressiv. Wir haben keine Perspektive und keinen Plan für die Zukunft. Das ist meine Meinung.», sagt eine bgewiesene asylsuchende Person im Interview.

Im Amt für Migration lasen wir die Transkripte der Interviews immer wieder vor. Die Angestellten des Amigras sollten ein Gefühl dafür bekommen, dass es Menschen sind, die sie schikanieren, die sie beschimpfen, für die sie Durchsetzungshaft anordnen. Per Lautsprecher übertrugen wir die Stimmen nach draussen, um eine Verbindung herzustellen zwischen den PassantInnen, den Demonstrierenden und den beobachtenden PolizistInnen. Die Unmenschlichkeit des Asylsystems war für einmal nicht abgeschottet in Amtsgemäuern, sondern gut hörbar in Luzerns Strassen. Es gelang uns, die mediale Berichterstattung mit unseren Inhalten zu füllen.

Wir wollen, dass die Menschen verstehen, dass abgewiesene Asylsuchende, ohne etwas Kriminelles getan zu haben, verfolgt und illegalisiert werden. Schlicht wegen fehlenden Papieren sind Gefängnisstrafen und Bussen Alltag. Die Lebensumstände sind prekär: Abgeschottete, zu kleine Notunterkünfte und die täglichen 10-Franken-Gutscheine von Coop, die bei Weitem nicht zum Leben reichen, zumal zusätzlich ein Arbeitsverbot besteht. Auch zu Bildung besteht kein Zugang. Dies alles verunmöglicht ein menschenwürdiges Dasein und eine Integration in der Schweiz. «Wir sind hier seit mehr als zehn Jahren. Meine Hoffnung ist, arbeiten zu gehen oder etwas zu machen. Das ist das Minimum, das sie uns geben sollten. Meine Hoffnung ist, dass sie uns anschauen und nicht nur unsere Dossiers, und das sie diese stattdessen eines Tages schliessen. Wir sind auch. Wir brauchen auch ein Leben als Menschen.»

Ein paar Tage nach der Besetzung zogen wir lautstark demonstrierend mit 300 Personen durch Luzern. Zur Demonstration aufgerufen hatte Bleiberecht Luzern. Wir hatten einen Gastauftritt: Die Stimmen der betroffenen Menschen erschallten wieder in den Strassen und stimmten die PassantInnen nachdenklich. Hört man die persönlichen Geschichten der sonst in der anonymen Masse der «AusländerInnen» untergehenden Individuen, kann sich niemand taub stellen. Die vergangenen Wochen (auch mit der Kirchenbesetzung in Lausanne) haben gezeigt, dass es mit hartnäckigem Aktivismus eben doch möglich ist, Menschen wachzurütteln. Gemeinsam können wir so laut sein, dass die tägliche Unterteilung in wertvolle, also erwünschte, und wertlose, unerwünschte Menschen nicht mehr totgeschwiegen werden kann. Wir kommen wieder. Das war erst der Anfang!

Mehr Infos: https://aktion2303.wordpress.com

 

Aus der Printausgabe vom 10. April 2015. Unterstütze uns mit einem Abo

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