Sportstadien statt Panzer

geldwaschenAm 7. Februar beginnen die Olympischen Winterspiele in Sotschi. In den neu errichteten Sportpalästen am Schwarzen Meer wird zwar auch Sport betrieben, sie weisen aber schnell auf die augenfälligen politischen Hintergründe des Grossereignisses hin: auf eine schonungslose Ausbeutung und Russlands Herrschaftsansprüche in der Region.

 

Wenn Wladimir Putin Englisch spricht, dann meint er es ernst. So auch im Jahr 2007 bei einer Rede in Guatemala, als er für die Olympischen Winterspiele in seiner Heimat geworben hat. Seine schwülstigen Sätze scheinen Wirkung gezeigt zu haben, bald findet in Sotschi die grösste Veranstaltung im postsowjetischen Russland statt. «Millionen russischer Bürger sind vereint durch den olympischen Traum», sagte Putin damals. Das Gegenteil ist der Fall, weiss man heute.

Was auf der derzeit grössten Baustelle der Welt passiert, ist ein Paradebeispiel für den Raubtierkapitalismus russischer Art. In Sotschi basiert dieser auf der massiven Bereicherung einer kleinen, privat verbandelten Elite, die sich die Staatsmacht zunutze macht, und einer grenzenlosen Ausbeutung, vor allem ausländischer GastarbeiterInnen. Das wachsende Olympiagelände am Schwarzen Meer bietet ein riesiges Profitvolumen. Fast die gesamte Infrastruktur musste neu aufgebaut werden. Nach den Spielen soll daraus eine Tourismus-Maschinerie werden, die das ganze Jahr über rattert. Am Strand unter den Palmen liegen und einen warmen Frühlingstag geniessen, dann in den nahen Bergen Skifahren: So kündete Putin das süsse Leben von Sotschi an.

Der Rest für die Freunde von früher

Doch die Pläne haben ihren Preis: Aus den von Putin anfangs veranschlagten Kosten von 12 Milliarden Franken sind mittlerweile über 50 geworden. Sotschi ist damit teurer als alle früheren Winterspiele zusammen. Der russische Oppositionelle Boris Nemzow stellt in einem Bericht die Vermutung an, dass davon 25 bis 30 Milliarden Franken in der Korruption versandet sind. Seine Berechnungen, die auf Vergleichen zu früheren Austragungen basieren, ergeben, dass die Bauarbeiten in Sotschi im Schnitt zweieinhalb Mal teurer sind als in anderen Ländern.

Die im russischen Staat gebündelte Macht erlaubt die Ausschüttung dieser Überschüsse innerhalb der Elite. Die zwei grössten Profiteure sind enge Vertraute Putins: Arkady Rotenberg ist ein Jugendfreund und Judopartner des Präsidenten. Seine Firmen haben in Sotschi Aufträge über fast 7 Milliarden Franken erhalten. Laut Forbes wuchs sein Vermögen in den letzten Jahren um zwei Milliarden Franken an. Wladimir Jakunin ist ehemaliger KGB-Offizier, Sowjetfunktionär und Putins Datscha-Nachbar. Er ist auch Präsident der russischen Eisenbahn, die für gut 8 Milliarden Franken eine Schnellstrasse und eine Eisenbahn von der Stadt Sotschi ins 50 Kilometer entfernte Skigebiet bauen lässt.

Die andere Seite der Medaille ist die Lage der ArbeiterInnen, die die Geldflüsse aus Moskau in strahlende Sportpaläste verwandeln. Die russische Ausländerbehörde gibt an, dass von den 74000 ArbeiterInnen, welche die zur Durchführung der Winterspiele ins Leben gerufene Staatsholding Olympstroi derzeit beschäftigt, 16000 aus dem Ausland stammen. Unabhängige ExpertInnen schätzen jedoch, dass es bis zu 50000 sein könnten. Egal wie viele es sind, sie arbeiten unter Bedingungen, die mit denjenigen vergleichbar sind, die Marx persönlich für die englische Arbeiterklasse beschrieben hat. Nachlesen lässt sich das in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), der auf Befragungen der ArbeiterInnen vor Ort basiert. Die Befragten stammen meist aus den nahe gelegenen ehemaligen Sowjetrepubliken in Osteuropa und Zentralasien.

Arbeitsbedingungen in Sotschi

Die meisten ArbeiterInnen arbeiten für einen Lohn von 1,8 bis 2,6 Dollar pro Stunde. Das ist viel weniger als ihnen ursprünglich versprochen wurde. Meist wird die Auszahlung der Löhne jedoch monatelang verzögert. Die meisten verfügen über keine Papiere, die ihre Anstellung belegen. Persönliche Papiere werden oft entwendet. Es wird in Schichten von zwölf Stunden gearbeitet, einen Freitag gibt es alle zwei Wochen. Geschlafen wird in Unterkünften, in die bis zu 200 ArbeiterInnen gepfercht werden –Unterkunft und Essen werden vom Lohn abgezogen.

Gesetze, die all das theoretisch verbieten würden, gibt es in Russland. Eine Normalschicht dürfte etwa nicht länger als acht Stunden dauern, eine Woche nicht mehr als 40 Arbeitsstunden enthalten. Ein freier Tag pro Woche wäre Pflicht. Doch hier muss es eben etwas schneller gehen.

Die staatsnahen russischen Gewerkschaften sind wohl nicht dazu in der Lage, dieser grenzenlosen Ausbeutung etwas entgegensetzen. Vielmehr droht den Spielen eine andere Gefahr, die sich kürzlich in Wolgograd zu Wort gemeldet hat. Auch aus Angst vor TerroristInnen wird Russland 40 000 Sicherheitskräfte bereitstellen. Dass die Winterspiele ausgerechnet im kriegsversehrten und noch immer politisch spannungsreichen Nordkaukasus abgehalten werden, wird von manchen Beobachtern als Machtdemonstration interpretiert. Es wirkt, als strebe Russland den Triumph an, das Grossereignis gerade in dieser Region durchzuführen.

Auch für Putin selbst ist das eine Prüfung, denn vor seiner Präsidentschaft hat ihn Boris Jelzin beauftragt, in der Region die TschetschenInnen zu befrieden. 1999, kurz bevor Putin die Macht von Jelzin übernehmen sollte, begann der zweite Tschetschenienkrieg. Weil Putin fürchtete, Russland könnte das gleiche Schicksal ereilen wie Jugoslawien – dass es nach dem Niedergang des Realsozialismus in seine Teile zerlegt wird – griff er in Tschetschenien mit aller Härte ein und schlug die separatistischen Bestrebungen nieder. Blutige Geiselnahmen und Terroranschläge haben seither immer wieder bewiesen, dass die Repression die Probleme nicht beseitigt hat.

Die spektakulären Olympiaparks können also auch als Mahnmal des territorialen Anspruchs Russlands in einer Region gesehen werden, in der ethnische Russen, für die Putin in seinem Land die Führungsrolle beansprucht, oft in der Minderheit sind. Da passt es ganz gut, dass sie von denjenigen Ex-SowjetbürgerInnen – vor allem aus Zentralasien – erbaut werden, die in Russland immer wieder heftigstem Rassismus ausgesetzt sind.

Aus der Printausgabe vom 17. Januar 2014. Unterstütze uns mit einem Abo.

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