Ganz Spanien würdigt den Genossen Carrillo

Am Dienstag, 18. September ist Santiago Carrillo im hohen Alter von 97 Jahren gestorben. Er kämpfte im spanischen Bürgerkrieg und war 1960 bis 1982 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Spaniens. Fast jedes Jahr veröffentlichte er ein Buch. 2012 erschien «Gegen den Strom schwimmend», ein Titel, der sein Leben prägnant zusammengefasst. 

In allen politischen Lagern wird Carrillo für seine grossen Verdienste geehrt. König Juan Carlos de Borbón hob seine «zentrale Rolle im Übergang» von der Diktatur zur Demokratie ab 1975 hervor. Nach 38 Jahren war Carrillo 1976 aus dem Exil nach Spanien zurückgekehrt. Im Exil gehörte er der republikanischen Exilregierung an. Seit 1960 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) war Carrillo daran beteiligt, dass der von Franco 1975 als Nachfolger eingesetzte König Juan Carlos mit einer neuen Verfassung abgesichert wurde. Deshalb würdigt auch die rechte Volkspartei (PP) seine Verdienste. Die PP wurde von Manuel Fraga Iribarne gegründet, der im Januar verstarb und Informationsminister in Francos Diktatur war. Mariano Rajoy, Fragas politischer Ziehsohn, hob als spanischer Ministerpräsident den Beitrag Carrillos «zur verfassungsmässigen Ordnung und dem neuen Rahmen des Zusammenlebens» hervor.

Eine umstrittene grosse Persönlichkeit

Die von der PCE geführte Vereinte Linke (IU) unterstrich, dass er sein «Leben für die Verteidigung des Kommunismus» eingesetzt habe. Der Stalin treu ergebene Carillo hatte 1936 und 1937 als Offizier und Polit-Kommissar des Zentralkomitees den Ausschuss zur Verteidigung Madrids gegen Francos-Putschtruppen geleitet, die schliesslich mit Hilfe Nazi-Deutschlands den Bürgerkrieg 1939 gewannen. Der frühere IU-Chef Gaspar Llamazares sagte, nicht nur eine «grosse Persönlichkeit der Linken» gehe verloren, sondern auch eine «Stück unserer Geschichte mit ihren Idealen und Fehlern».

Zwar hatten sich Carrillo und die IU in den letzten Jahren wieder genähert, doch abgebrochene Brücken konnten nicht erneut aufgebaut werden. Die Koalition sprach deshalb auch «politische Differenzen» an. In der Linken war Carrillos strikter Versöhnungskurs stets umstritten. Den hatte Carrillo angestimmt, nachdem er sich nach dem Einmarsch der UdSSR 1968 in die Tschechoslowakei von dieser zu distanzieren begann. Statt für ein Einparteiensystem trat er in Spanien für einen «pluralistischen Wettbewerb» der Parteien ein. Und: Nicht nur die Monarchie wurde durch die Versfassung abgesichert, sondern auch eine Amnestie für die zahllosen Verbrechen der Diktatur. Auch viele PCE-Mitglieder fielen ihr zum Opfer und liegen noch heute in Massengräbern. Die Widersprüche in der Partei wuchsen, weshalb er 1982 zum Rücktritt vom Posten des Generalsekretärs gezwungen wurde. 1985 wurde er sogar aus der PCE ausgeschlossen. Der IU, die ein Jahr später als Koalition unter Führung der PCE entstand, traute Carrillo nicht zu, eine «Neuorientierung» der KommunistInnen «in Richtung Sozialisten und Sozialdemokraten» zu führen. Die lange von Streit zerrissene IU verschwand fast in der Bedeutungslosigkeit. Von einst 23 Sitzen blieben 2008 noch ganze zwei übrig. Das lag vor allem daran, dass Llamazares sie auf einen Schmusekurs zu den regierenden Sozialisten (PSOE) geführt hatte. Seit sie unter Cayo Lara auf Abstand zu den SozialdemokratInnen geht, erholt sie sich wieder langsam.

Gewalt hat Probleme verstärkt

Carillo reflektierte in seinen letzten Jahren immer kritischer die verfassungsmässige Ordnung in Spanien. Er trat für einen «zweiten Übergang» ein, da die «Transición»  im Ansatz stecken geblieben sei. Vor allem forderte er, die Dezentralisierung Spaniens voranzutreiben: «Katalonien, das Baskenland, Galicien und Gemeinschaften wie Andalusien sollten das Gewicht erhalten, was ihnen in der Vergangenheit im spanischen Staat negiert wurde», schrieb er. «Gewalt und Unterdrückung»  gegen Unabhängigkeitsbestrebungen «haben das Problem der Einheit nicht gelöst, sondern verstärkt».  Carillo hat stets daran erinnert, dass viele Rechte die Verfassung nun zum unveränderlichen Dogma stilisierten. Dabei hätten sie einst gegen sie gestimmt, weil sie im Autonomiemodell eine Gefahr für die Einheit Spaniens sahen. Stets haben sie die Re-Zentralisierung betrieben und die Übertragung von Kompetenzen verhindert, sodass KatalanInnen und BaskInnen den Glauben an dieses Modell verloren.

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