Der Robin Hood der Finanzwelt

Ralf Streck / sit. 130’000 Datensätze von 24’000 KundenInnen der HSBC-Bank hat Harvé Falciani «gestohlen». In der Schweiz wurde er 2015 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Spanien bot Falciani der Eidgenossenschaft so quasi im Tausch gegen zwei Katalaninnen an, die in der Schweiz im Exil und in Spanien wegen Rebellion angeklagt sind.

Spanien macht auf Rechtsstaat: Am 18. September hat der Nationale Gerichtshof in Madrid entschieden, Hervé Falciani nicht an die Schweiz auszuliefern. Soweit eigentlich gut, wäre da nicht die Tatsache, dass genau das schon das Ergebnis der ersten Verhaftung und des ersten Verfahrens gegen den «Robin Hood der Finanzwelt» vor einigen Jahren in Spanien war. Bizarr, aber wahr. Und es sei an dieser Stellte noch mehr verraten: Falciani wird in einem Prozess freigesprochen, den es nie hätte geben dürfen.

Wirtschaftsspionage
Blicken wir kurz zurück, es lohnt sich: Falciani wird 2012 in Spanien auf Basis eines Schweizer Haftbefehls für fünf Monate inhaftiert. Im Verfahren im Frühjahr 2013 berichtet er über das «skandalöse Vorgehen» der britischen HSBC-Bank, für die er arbeitete. Dort hatte der italienisch-französische Informatiker 130 000 Datensätze von 24 000 KundenInnen «gestohlen». Er wird in der Schweiz wegen Wirtschaftsspionage, Datendiebstahls und der Verletzung des Bank- und Geschäftsgeheimnisses angeklagt. 2015 wird er in Abwesenheit vom Bundesgericht dann allerdings nur noch wegen «Datenspionage», konkret wegen «wirtschaftlichen Nachrichtendienstes» zu fünf Jahren Knast verurteilt. Vom Vorwurf der Verletzung des Bankgeheimnisses und der unbefugten Datenbeschaffung wird er freigesprochen.
Mit den Falciani-Daten können in etlichen Ländern SteuerbetrügerInnen ermittelt und massive Steuernachzahlungen durchgesetzt werden. Allein in Spanien sind es fast 700, mehrere hundert Millionen Euro fliessen in die leere Staatskassen. Somit gibt es gute Gründe, dass die spanische Justiz die Auslieferung von Falciani im Mai 2013 an die Schweiz ablehnt. Sogar das Ministerium für Staatsanwaltschaft, vertreten durch Dolores Delgado, spricht sich gegen eine Auslieferung aus. Denn auch Delgado sieht es nicht als erfüllt an, dass die Vorwürfe in Spanien strafbar seien. Gesetze gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung schreiben in Spanien gar vor, dass diesbezügliche Straftaten angezeigt werden müssen, wenn man Kenntnis davon erlangt. «Wir können nicht die bestrafen, die strafbare Handlungen feststellen und anzeigen», erklärt die Staatsanwältin angesichts eines Steuerbetrugs im Umfang von etwa 300 Milliarden Euro, der sich allein bei der HSBC aus den Falciani-Listen ergab.

Heroische Wahrheit
Falciani ist nun wieder ein freier Mensch. Doch warum wurde er überhaupt ein zweites Mal verhaftet und warum kam es zu einem erneuten Prozess? Anfang April kommt Falciani wieder in den Knast. An der Regierung sitzt Mariano Rajoy mit seiner postfaschistischen Partido Popular. Die Verhaftung steht in völligem Widerspruch zur Argumentation, mit der selbst die Staatsanwaltschaft 2013 die Auslieferung ablehnte. So drängt sich der wohl berechtigte Verdacht auf, dass die Verhaftung einen politischen Grund haben muss. «Ist die Festnahme des Whistleblowers, der die Menschenrechte verteidigt, ein Gefallen Spaniens, um die Auslieferung von Anna Gabriel und anderer ExilantInnen von der Schweiz zu fordern?», fragt der Podemos-Chef im Europaparlament Miguel Urbán gleich nach der Festnahme von Falciani. Urbán hielt in der Hauptstadt einem Vortrag an einer Universität über Korruption und Steueroasen. Der Titel nahm die Vorgänge praktisch schon vorweg: «Wenn es heroisch ist, die Wahrheit zu sagen».
Tatsächlich drängt sich die Vermutung von Urbán geradezu auf, dass Spanien mit der Festnahme die Auslieferung der Katalaninnen Anna Gabriel und Marta Rovira erreichen will, die sich ins Schweizer Exil begeben haben. Die Antikorruptionsaktivistin Simona Levi, die Falciani gut kennt, hat keinerlei Zweifel daran, dass die spanische Regierung genau diesen Kuhhandel vorhat: «Das kann ein fünfjähriges Kind analysieren», erklärte sie. Auch Falcianis Anwalt sieht einen Zusammenhang und spricht von einer «Rechtsumgehung». Er möchte sich «nicht einmal vorstellen», dass es zum Tausch mit der ehemaligen Sprecherin der linksradikalen CUP Anna Gabriel und der Generalsekretärin der Republikanischen Linken kommen könne.

Kein Ermessensspielraum für Deals
Eine Vorstellung, die an Filme über die Zeit des Kalten Kriegs erinnert, wo nachts in einer dunklen Gasse in Berlin in der Nähe des berühmt-berüchtigten Checkpoint Charlie die politischen Gefangenen gegen die aufgeflogenen SpionInnen ausgetauscht wurden. Doch so ganz abartig ist die Vorstellung eben doch nicht, wenn man die Reaktion der Schweiz dabei in Betracht zieht: Wenige Wochen nach der Verhaftung Falcianis besucht der damalige spanische Aussenminister Alfonso Dastis die Eidgenossenschaft. Ihm wird dabei freundlich, aber bestimmt gesagt, dass für Rechtshilfe nur Verträge und Gesetze gelten. «Deshalb gibt es auch überhaupt keinen Ermessensspielraum für irgendwelche Deals», erklärt der Chef des Bundesamts für Justiz Folco Galli. Und zu den beiden Katalaninnen im Schweizer Exil fügt er hinzu, dass es nur dann zu einer Auslieferung kommen kann, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt seien. Selbst der Schweizer Ausenminister Ignazio Cassis unterstreicht beim Besuch seines spanischen Amtskollegen, dass die KatalanInnen als EU-BürgerInnen das Recht haben, in die Schweiz zu kommen. Er bietet sogar an, zwischen Spanien und Katalonien zu vermitteln, was Madrid natürlich ausschlägt.
Die Odyssee von Falciani nimmt mit dem erzwungenen Abgang der korrupten Regierung der PostfaschistInnen im Mai ein Ende. Mit dem Wechsel im Ministerium kommt es auch zu einer Umbesetzung in der Generalstaatsanwaltschaft. Diese macht dann kurzen Prozess: Sie hält fest, dass über den Fall bereits verhandelt und entschieden sei. Auf dieser Basis wird Mitte September der «Robin Hood der Finanzwirtschaft» in einem Prozess freigesprochen, den es nie hätte geben dürfen

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