Unsere Geduld ist zu Ende!

Nico Lutz. Für die BauarbeiterInnen geht es dieses Jahr um sehr viel: Ende Jahr läuft der Landesmantelvertrag (LMV) für das Bauhauptgewerbe, der Branchen-Gesamtarbeitsvertrag, aus. Die Bosse wollen die Arbeitsbedingungen verschlechtern. Die BauarbeiterInnen treten deshalb in den Ausstand.

Der Baubranche geht es derzeit ausgezeichnet. Die Erträge der Firmen sind in den letzten Jahren gestiegen, es stehen so viele Kräne wie nie zu vor, die BauarbeiterInnen machen eine riesige Arbeit. In der Schweiz wurde in den letzten 10 Jahren mit weniger festangestellten BauarbeiterInnen über 20 Prozent mehr Umsatz erzielt. Das heisst auch: Der Druck auf den Baustellen in der Schweiz ist brutal gestiegen: Nach wie vor verunfallt jeder fünfte Bauarbeiter pro Jahr. In den letzten fünf Jahren liessen über 100 BauarbeiterInnen ihr Leben auf den Baustellen der Schweiz. Auch darum verlangen die BauarbeiterInnen einen Gesamtarbeitsvertrag mit mehr Schutz.

Vertragsbruch des Baumeisterverbandes
Es gibt noch einen zweiten Gesamtarbeitsvertrag für die BauarbeiterInnen: den GAV FAR (flexibler Altersrücktritt), also die Rente mit 60 für die BauarbeiterInnen. Dieser GAV ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Hier geht das darum, dass wir vorübergehend die Finanzierung verstärken müssen. Bis 2024 steigt die Zahl der RentnerInnen an: Erstens weil die BabyboomerInnen der 60er Jahre in Rente kommen; zweitens weil in der Hochkonjunktur der 80er Jahre viele BauarbeiterInnen eingestellt wurden. Nach 2024 wird die Zahl der RentnerInnen wieder sinken und der FAR braucht weniger Geld. Wir wissen seit mehr als einem Jahr, dass es beim FAR vorübergehend zusätzliche Massnahmen braucht. Die Gewerkschaften haben darum im Herbst 2017 gefordert, Verhandlungen aufzunehmen, um das Problem zu lösen. Der GAV FAR schreibt in einer solchen Situation eine Verhandlungspflicht vor. Der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) hat sich bis im August 2018 jedoch geweigert, dieser Verhandlungsplicht nachzukommen, und hat so den geltenden GAV verletzt.
Statt zu verhandeln, haben die BaumeisterInnen versucht, die Rente mit 60 abzuschaffen. Sie forderten Rentenalter 61,5 oder 62. Oder eine Kürzung der Renten um 30 Prozent. Die durchschnittliche FAR-Rente beträgt heute 4400 Franken. Eine Kürzung der Rente um 30 Prozent wäre auch einer Abschaffung der Rente mit 60 gleichgekommen, da sich kaum mehr jemand eine Frühpensionierung hätte leisten können. Das Kalkül des SBV war – das ganz und gar nicht aufgegangen ist –, die Stiftungsaufsicht Zürich das Problem lösen zu lassen.

Erpressung des Baumeisterverbandes
Am 23. Juni 2018 gingen 18 000 BauarbeiterInnen in Zürich auf die Strasse – das ist fast ein Viertel der BauarbeiterInnen in der Schweiz. Eine zentrale Forderung war: Hände weg von der Rente mit 60! Das hat auch der Baumeisterverband zur Kenntnis genommen. Im August 2018 haben die BaumeisterInnen ihre Verweigerungshaltung aufgegeben. Wir haben im letzten Monat eine tragfähige Lösung verhandelt: Die Beiträge werden vorübergehend erhöht, das Rentenalter und die Rentenhöhe bleiben, es gibt eine Reduktion der Leistungen bei der Altersgutschrift, die der FAR zusätzlich zur Rente bezahlt. Die BauarbeiterInnen sind so bereit, die Kosten für die Sanierung weitgehend zu übernehmen, wenn im Gegenzug der Baumeisterverband eine anständige Lohnerhöhung bezahlt: 150 Franken für 2019 oder je 100 Franken 2019 und 2020. Das zeigt: Lösungen sind möglich. Das ist leider aber nur ein Teil der Wahrheit.
Der Baumeisterverband will der Sicherung der Rente mit 60 und der Lohnerhöhung nur zustimmen, wenn die Gewerkschaften gleichzeitig einen Kahlschlag beim Landesmantelvertrag akzeptieren. Die BaumeisterInnen versuchen, die BauarbeiterInnen zu erpressen. Was sie verlangen, ist aber völlig inakzeptabel: ein System von Arbeit auf Abruf, das die Gesundheit der BauarbeiterInnen brutal angreifen würde. Freie Bahn für Lohndumping sowie die Abschaffung der Schutzbestimmungen bei Schlechtwetter. Die BauarbeiterInnen haben die Nase voll. Zuerst haben die BaumeisterInnen mit einer Verhandlungsverweigerung neun Monate lang die Sicherung der Rente mit 60 verhindert. Und jetzt versuchen sie, die BauarbeiterInnen zu erpressen. Kein Wunder platzt ihnen der Kragen und sie organisieren Protesttage.

Ein Massaker!
Wir haben heute im Bauhauptgewerbe im Vergleich zu anderen Branchen eine der flexibelsten Arbeitszeitregelungen. Zusammengerechnet, sind heute im Sommer schon Arbeitstage von 12 Stunden möglich. Bei grösster Hitze 12 Stunden auf der Baustelle oder unterwegs zur Baustelle zu sein – das ist gesundheitsgefährdend. Jetzt wollen die BaumeisterInnen aber die Anzahl flexibler Stunden verdreifachen und auch kein Mindestarbeitszeit mehr pro Woche. Konkret bedeutet das ein System von Arbeit auf Abruf. Januar und Februar könnten die Baumeister die BauarbeiterInnen dauernd zu Hause lassen. Dafür müssten sie dann von März bis Dezember jeden Tag – als Normalfall – 12 Stunden unterwegs sein. Das ist unmenschlich und unmöglich. Das wäre ein Massaker an der Gesundheit der BauarbeiterInnen. Das wären 300 Gratisarbeitsstunden, ohne Zuschlag und ohne Auszahlung. Die BauarbeiterInnen sagen zu recht: Das kommt nicht in Frage. Die Gesundheit der BauarbeiterInnen steht nicht zum Verkauf.

Gewerkschaften wollen Lösungen
Die Gewerkschaften haben viele berechtigte Forderungen: eine Begrenzung der heute gesundheitsschädigenden Flexibilität und der überlangen Arbeitstage. Eine Begrenzung der höchst prekären Temporärarbeit. Ein Ausbau des Kündigungsschutzes für ältere BauarbeiterInnen, die heute zum Teil absolut respektlos nach jahrelanger harter Arbeit entlassen werden. Oder auch mehr Schutz bei Schlechtwetter. Die Gewerkschaften sind aber auch vernünftig. Entgegen den falschen Behauptungen des Baumeisterverbandes haben sie keine Maximalforderungen. Die Gewerkschaften wären auch bereit, den bestehenden Vertrag mehr oder weniger unverändert zu verlängern. Es ist der Baumeisterverband, der verantwortungslose und maximalistische Forderungen stellt.
Nach fast einem Jahr Blockade der Verhandlungen und Erpressung haben die BauarbeiterInnen nun genug. Die Gewerkschaft Unia hat bereits im Juni 2018 eine Streikabstimmung bei über 20 000 BauarbeiterInnen durchgeführt und diese gefragt, ob sie bereit sind, zu kämpfen und zu streiken, falls der Baumeisterverband weiterhin Lösungen verhindert. Die Antwort war klar: 93,1 Prozent der BauarbeiterInnen habe sich für Streiks ausgesprochen. Im Oktober haben die Protesttage der BauarbeiterInnen begonnen. Am 15. Oktober wurde im Tessin protestiert, am 16. Oktober in Genf. In vielen weiteren Regionen werden bis Anfang November weitere Protesttage folgen. Unser Ziel bleibt klar: Wir wollen eine Lösung für die Sicherung der Rente mit 60, eine anständige Lohnerhöhung und lehnen den geplanten Kahlschlag beim LMV ab. Wir sind bereit, weiter zu verhandeln, und wollen Lösungen.

Nico Lutz ist Leiter Sektor Bau bei der Unia

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