Freiheit und Papiere für O.!

01_liberty for O_webDer Fall von O., einem schwulen Flüchtling aus Nigeria, macht zur Zeit das wahre Gesicht der schweizerischen Asylpolitik? sichtbar: Homosexualität wird faktisch nicht als Asylgrund anerkannt. Dadurch wird die Unterscheidung von echten und unechten Flüchtlingen zementiert.

Das Asylwesen in der Schweiz hat sich längst selbst pervertiert und kommt einer bitterbösen Satire gleich. Eisern ist die Botschaft, die täglich neue Verbreitung findet: Es gibt echte und unechte Flüchtlinge. Es gibt Menschen, die auf der Flucht vor Gewalt in der Schweiz Asyl beantragen und echte Flüchtlinge sind. Sie haben ein wirkliches Anrecht auf Schutz, aber wenn es zu viele von den wirklich Verfolgten gibt, kontigentiert die Schweiz, wie im Fall des Syrienkrieges, auch die echten Flüchtlinge. Dieses Lotterieverfahren ist schon sehr wichtig, denn würden wir die Grenzen öffnen, kämen alle Menschen aus Afrika oder dem Osten in die Schweiz. Es wäre diesen Menschen dann auch ganz egal, ob sie in der Schweiz eine Arbeit finden würden und sich ein Leben aufbauen könnten – sie kämen einfach mal alle und blieben dann für immer. Diese Menschen übrigens nennen wir unechte Flüchtlinge oder Wirtschaftsflüchtlinge, am besten versteht man aber die Bezeichnung «ScheinasylantIn». Das Selektionieren von Menschen an der Grenze auf hegemoniale Machtansprüche oder gar auf die Einteilung in Rassen zurückzuführen, wäre absurd. Polizei- und Justizministerin Simonetta Sommaruga besitzt als linke Politikerin ein historisches Bewusstsein und weiss, was es bedeutet, Grenzen nur für Auserwählte zu öffnen. Deshalb hilft sie dem BFM, wo sie nur kann, damit die Auswahl der Menschen nach ihrer Herkunft gelingt. 2011 zum Beispiel hat Sommaruga mit Nigerias Aussenminister, Odein Ajumogobia, ein Abkommen unterzeichnet, das die Rückführung von nigerianischen Flüchtlingen in ihr Heimatland regelt. Seit 2013 gilt für die Prüfung von Asylgesuchen nigerianischer Staatsangehöriger ein beschleunigtes Asylverfahren (fast track). Erst kürzlich traf sich eine Delegation der Migrationspartnerschaft Schweiz Nigeria, um «Lösungen der irregulären Migration in die Schweiz zu finden», wie es im online Newsletter der Schweizer Bundesverwaltung heisst.

Der Fall O.

Für die sogenannte Reintegration der Flüchtlinge sichert die Schweiz Nigeria weitgehende Unterstützung bei der Rückführung zu. Gerade solche Entscheide geben dem BFM freilich Zuversicht, hatte sie doch bereits Ende 2010 das Asylgesuch von O. und seinem Freund nach nur einem Monat abgelehnt. Die beiden Männer mussten aus ihrem Dorf im südlichen Teil Nigerias fliehen, nachdem sie sich in der Öffentlichkeit als Paar gezeigt hatten. O.’s Freund ist bereits ausgeschafft worden, die Reintegration mit Hilfe der Schweiz hat perfekt geklappt – O.’s Freund wurde nackt auf einem Anhänger durchs Dorf gezogen, musste exorzistische Rituale über sich ergehen lassen und der gleichgeschlechtlichen Liebe abschwören. O. wird nicht müde zu erzählen, wie alles war, bevor sein Leben 2005 eine krasse Wende nimmt. Als Naturheilpraktiker entwickelt O. eine entzündungshemmende Arznei aus Pflanzen, mit der er sich auch ausserhalb seines Dorfes einen Namen machen kann. Sowohl schwangere Frauen als auch Kranke vertrauen sich ihm an. Nachdem sich aber O. öffentlich zu seinem Partner bekennt, beginnt eine Hetze, deren Anführer O.’s Vater wird, der Pastor des Dorfes. Er prangert seinen Sohn als Sündenbock an und macht ihn für jedes Unglück im Dorf verantwortlich. Eines nachts dringen schliesslich Bekannte in O.’s Haus ein. Sie fesseln das Paar – in letzter Minute gelingt ihnen die Flucht. Die Narben am Rücken O.’s erinnern noch heute an die Messerschnitte. O. und sein Freund fliehen zunächst in die Grossstadt Lagos, wo sie in der Anonymität ein neues Leben aufbauen, ohne sich als Paar zu erkennen zu geben. Nach vier Jahren finden Bekannte ihren Aufenthaltsort heraus, sodass sie erneut fliehen müssen. Sie bezahlen Schlepper und werden auf einem Transporter durch die Wüste nach Marokko gefahren. Von dort aus geht die Flucht in einem Schlauchboot weiter nach Spanien. O. berichet, wie er glaubte, dass er auf offenem Meer sterben werde, da zeitweise der Motor ausfiel.

Illegalisierung und Solidarität

Ende 2010 gelangt das Paar dann in die Schweiz, wo es einen Erstasylantrag stellt. Bereits nach einem Monat schmettert das BFM ihr Gesuch ab, mit der Begründung, ihr Fluchtgrund sei nicht glaubwürdig. Seitdem lebt O. illegalisiert und ohne Papiere in der Schweiz. Das Wiedererwägungsgesuch, welches Dank dem CCSI (Centre de Contact Suisses-Immigrés) Fribourg 2013 eingereicht werden kann, wird erneut abgelehnt. Das BFM zweifle die sexuelle Orientierung O.’s nicht an, heisst es im zweiten Negativentscheid, sie sei aber im Rahmen des Gesuchs unwichtig, da es für O. möglich sei, in Nigeria zu leben, wenn er seine Homosexualität diskret lebe. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt jedoch gerade fest, dass von Asylsuchenden nicht verlangt werden dürfe, ihre sexuelle Orientierung im Herkunftsland verdeckt zu halten. Inzwischen steht diese Regelung auch auf dem Handout für die GutachterInnen des BFM. Grundsätzlich ist die Schweiz aber nicht an den EuGH gebunden, was ein krasser Missstand darstellt, dem O. zum Opfer fällt. Auch das Bundesverwaltungsgericht sieht im Fall O. keinen Handlungsbedarf. Mittlerweile hat sich die homophobe Gesetzeslage (14 Jahre Gefängnis) in Nigeria weiter verschärft. Wer sich weigert, eine LGBT–Person zu denunzieren, läuft selbst Gefahr, sich strafbar zu machen. Lynchjustiz und Gewaltübergriffe haben keine rechtlichen Konsequenzen, so werden zum Beispiel lesbische Frauen vergewaltigt, um sie zu «heilen». Im Süden Nigerias wird die Hatz von evangelikalen Christen geschürt, was die katholische Bischofskonferenz Nigerias unlängst zur Gratulation veranlasste. Ende März 2014 wird O. wegen illegalem Aufenthalt in Bern in Haft genommen. Ihm droht die Ausschaffung. Innert kürzester Zeit haben sich Menschen in Bern mit O. solidarisiert und fordern nun die sofortige Freilassung und die Annahme seines Asylgesuches.

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