«Der Kostendruck ist enorm»

Wie viele Berufe leidet auch die Pflege- und Betreuungsbranche unter dem Druck der Ökonomisierung. Mit einer Petition startet die Gewerkschaft Unia jetzt einen neuen Anlauf, um die Arbeitsbedingungen der PflegerInnen und BetreuerInnen zu verbessern. Ein Gespräch mit Udo Michel, Branchenleiter für Pflege und Betreuung der Unia.

 

Udo, warum hat die Gewerkschaft die Petition lanciert?

Es gibt massiven Druck auf das Personal: Mit immer weniger Leuten muss immer mehr und schneller gepflegt werden. Das ist auf die Dauer nicht auszuhalten, weil auch die Qualität der Pflege leidet und insbesondere die Beschäftigten derart stark unter Druck kommen, dass sie teilweise krankheitsbedingt ausfallen oder Burnouts haben. Unregelmässige Arbeitszeiten, geteilte Dienste, immer wieder schnell einspringen müssen – das ist für das soziale Umfeld auch enorm schwierig.

Weshalb ist der Druck auf die Pflege- und Betreuungsbranche derzeit so gross?

Der Kostendruck ist enorm. Die Heime sind immer mehr gezwungen, zu sparen und die Kosten zu optimieren. Das ist die eine Seite; die andere Seite ist, dass zu wenig Leute ausgebildet werden, die dann effektiv die Nachfrage nach Personal abdecken können.

Du nimmst Bezug auf die jungen BerufseinsteigerInnen. Wie sehen denn die Auszubildenden ihre Zukunft in der Branche?

In einer Umfrage haben wir herausgefunden, dass sich nur noch 50 Prozent der Auszubildenden in zehn Jahren noch auf diesem Job sehen. Auch bei ihnen ist der Druck enorm und auch bei den jüngeren Leuten in diesem Beruf zeigt sich, dass ihnen die Zeit fehlt, um umfassend gut ausgebildet zu werden, aber auch, um den Job überhaupt gut machen zu können.

Der Druck auf die Fachkräfte zieht sich also wie ein roter Faden durch den Pflegebereich. Es wird immer mehr kontrolliert, die Krankenkasse übernimmt beispielsweise nur messbare Leistungen. Welche Folgen bringt das im Alltag mit?

Es führt dazu, dass man «minütelen» muss. Die Leistungen müssen notiert werden und es sind nur diese Leistungen, die Geld geben. Alle anderen Leistungen geraten dann ins Hintertreffen, zum Beispiel ein eingehendes Gespräch hier und dort. Das ist auch das, was die Leute wahrnehmen, das belegen auch die Studien. Den PflegerInnen bleiben viel zu wenig Zeit, um zwischenmenschliche Kontakte zu pflegen. Die Leute, die diesen Job machen, haben eigentlich diesen Arbeit gewählt, damit sie auch den Umgang mit den Menschen pflegen können, damit sie Gespräche führen können. Das bleibt im Moment leider auf der Strecke. Die ganze Geschichte funktioniert eigentlich nur noch, weil die PflegerInnen ein übermässig grosses Engagement an den Tag legen und oftmals auch in ihrer Freizeit einspringen oder Dienste abtauschen.

Was fordert ihr in eurer nationalen Kampagne, um dem entgegenzuwirken?

Es ist klar: Der Mensch muss wieder mehr im Mittelpunkt stehen und nicht nur der Profit. Man muss sich über neue Finanzierungsmodelle Gedanken machen. Es braucht klar bessere Arbeitsbedingungen, geregelte Arbeitszeiten, höhere Löhne. Und es braucht eine Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie, die möglich sein muss, in diesem Job.

Was geschieht, wenn sich die Arbeitsbedingungen nicht ändern würden?

Ich befürchte, dass es dann umso schwieriger wird, neue Leute zu rekrutieren, die es unbedingt braucht. Und ich glaube auch, dass es unter dem Strich eine teure Übung sein wird für die Volkswirtschaft; es hat keinen Sinn, wenn immer mehr Leute ausfallen und keine Pflege und Betreuung mit hoher Qualität mehr erbracht werden kann.

Petition online unterschreiben: www.bit.ly/211Cm2X

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