Demokratie des Vorurteils

03_WahlurneEine aktuelle Studie zeigt auf, dass sich Urnenabstimmungen diskriminierend auf Einbürgerungsentscheide auswirken. Insbesondere rassistisch Marginalisierte wurden ohne Begründung massenhaft abgelehnt. Unter den Bedingungen der -kapitalistischen Gesellschaft stellt sich die Frage, inwiefern eine radikale Linke für die direkte Demokratie einstehen kann.

Aus dem vorwärts vom 15.Februar 2013. Unterstütze uns mit einem Abo!

Im Amtsbulletin der meisten Schweizer Gemeinden gab es bis vor etwa zehn Jahren auf den hinteren Seiten eine veritable Menschenschau. Da wurden jene Menschen abgebildet und beschrieben, die seit mindestens zwölf Jahren in der Schweiz lebten und sich nun anmassten, vollwertige Schweizer BürgerInnen werden zu wollen. Über diese Gesuche durften dann die alteingesessenen Schweizer StimmbürgerInnen an der Gemeindeversammlung entscheiden. Noch 1990 wurde in 80 Prozent der Schweizer Gemeinden bei Einbürgerungen auf diese Weise auf die direkte Demokratie gesetzt. Einen Wechsel gab es erst vor zehn Jahren aufgrund eines Entscheides des -Bundesgerichtes. Dessen Richter hatten Negativentscheide an der Urne für unrecht erklärt. Jede abgelehnte BewerberIn habe das Recht auf einen Rekurs, dieser sei aber an der Urne nicht möglich, argumentierte das Gericht. Die SVP ging damals auf die Barrikaden. Sie wusste genau, auf welche Sorte stolzer Stimm-bürgerInnen sie zählen konnte. Und so setzte sie auf eine politische Offensive für die Abstimmung an der Urne. Ihre Volksinitiative «für demokratische Einbürgerungen» wurde allerdings 2008 mit über 63 Prozent klar abgelehnt. Heute entscheiden nur noch 30 Prozent der Gemeinden an der Urne über Einbürgerungen. Eine aktuelle Studie förderte nun zu Tage, welche Diskriminierung die Einbürgerungspraxis der direkten Demokratie zur Folge hatte und in einigen Gemeinden immer noch hat.

 

Diskriminierung an der Urne

Im Rahmen der vom «Schweizerischen Nationalfonds» geförderten Studie analysierten ForscherInnen die Daten von mehr als 2400 Einbürgerungsanträgen, über die in den Jahren 1970 bis 2003 in 44 Gemeinden entschieden wurde. Die Untersuchung kam zu einem wenig überraschenden Resultat: Menschen aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei wurden an der Urne zehnmal so oft abgelehnt wie die AntragstellerInnen aus Italien oder Spanien. Die xenophoben Präferenzen verhalten sich dabei dynamisch und reagieren auf den Zustrom neuer MigrantInnen: Immer diejenige Gruppe von EinwandererInnen, die zuletzt ins Land kommen, wird am stärksten abgelehnt. Dabei haben Faktoren wie Sprachkenntnisse, Stellung im Arbeitsleben oder die überall so hoch gelobte Integration praktisch keinen Einfluss. In Gemeinden mit einem hohem Anteil an SVP-WählerInnen ist die Diskriminierungsrate am höchsten. Man muss es so drastisch sagen, wie es ist: An der Urne entschied und entscheidet in den allermeisten Fällen das Ressentiment über die Einbürgerungen.

Die Studie untersuchte auch den Wechsel der Einbürgerungspraxis von der Urnenabstimmung zur Bearbeitung durch gewählte PolitikerInnen. Im ersten Jahr nach dem Wechsel stiegen die Einbürgerungsraten sprunghaft um 50 Prozent an. Innerhalb von zwei Jahren verdoppelten sie sich. Je marginalisierter die Gruppe der AntragstellerInnen war, desto stärker stieg die Einbürgerungsquote: Für Menschen aus der Türkei um 65 Prozent, für jene aus Ex-Jugowslawien gar um 75 Prozent, während die Rate für italienischstämmige GesuchstellerInnen mit einem Anstieg von 6 Prozent nur leicht zunahm. «Ohne den Wechsel wären zwischen 2005 und 2010 rund 12?000 Immigranten weniger eingebürgert worden», erklärt Dominik Hangartner, einer der Wissenschafter. Die Studie empfiehlt, dass künftig Einbürgerungen von GemeinderätInnen, Parlamenten oder spezialisierten Kommissionen vorgenommen werden sollen, um Diskriminierungen zu vermeiden.

Direkte Demokratie von rechts

Die Gründe für den frappanten Unterschied in der Einbürgerungsquote sieht die Studie nicht etwa darin, dass die gewählten PolitikerInnen weiter links oder offener seien als ihre WählerInnen. Der Grund sei ein anderer: Wenn ein Antrag gestellt wird, dann können die WählerInnen an der Urne frei nach Gutdünken und Vorurteil walten, ohne jemandem Rechenschaft darüber ablegen zu müssen. Anders sieht das bei den gewählten VertreterInnen aus. Diese müssen bei einer Ablehnung eine schriftliche, stichhaltige und allenfalls rekursfähige Begründung -abgeben.

Man muss dem hinzufügen, dass es der SVP in den vergangen Jahren immer wieder gelungen ist, die vorhandenen Ressentiments in der Bevölkerung zu schüren und ihr die entsprechenden -Objekte zu bieten. Ob es dabei um «Scheininvalide», «Sozial-schmarotzerInnen» oder eben jene «kriminellen Aus-län-derIn-nen» ging, man konnte sie an der Urne abstrafen. Auch wenn der Aufstieg der SVP in den letzten Jahren – auch durch interne Machtkämpfe – etwas gebremst wurde, es gelang ihr nach wie vor, über die direkte Mobilisierung des Stimmvolkes Erfolge zu erzielen. Darum griff die SVP in der Vergangenheit immer wieder im Namen des Plebiszits rechtsstaatliche Institutionen an. Sie weiss genau, mit welchen StimmbürgerInnen sie rechnen kann. Was die SVP anstrebt, ist nicht weniger, als eine autoritäre Herrschaft in direkt-demokratischer Form. Eine formierte Gesellschaft, die fremde und störende Elemente immer wieder marginalisiert und aussondert. Die tragenden Ressentiments werden dabei nicht von der SVP erschaffen – auch wenn sie sie immer wieder forciert und verstärkt –, sondern von einer Gesellschaft hervorgebracht, die auf der Konkurrenz basiert und den Einzelnen als Warenmonade atomisiert und gegen alle anderen wirft.

Emanzipatorische Perspektive?

Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, inwiefern sich eine radikale Linke für die direkte Demokratie stark machen kann. Es ist eben gerade nicht jener atomisierte Stimmbürger, der für das Projekt der Emanzipation stehen kann. Gleichzeitig kann man sich auch nicht für jene Strukturen einsetzen, die die Verwaltung der kapitalistischen Gesellschaft rationaler organisieren – wie etwa Expertenkommissionen oder Parlamente. Es zeigt sich hier in aller Deutlichkeit, dass die kommunistische Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft mit ihrer Totalität brechen und neue Formen finden muss, statt sich auf politische Formen der alten Gesellschaft zu stützen. Es ginge darum, den Inhalt der gesellschaftlichen Reproduktion und damit auch das Bewusstsein darüber zu ändern und damit zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden. Darunter ist die emanzipatorische Mitbestimmung aller Gesellschaftsmitglieder leider nicht zu haben.

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Ein Kommentar

  • Patrick Vögelin

    Ich finde Ihr solltet euch wieder zusammenraufen und hoffedass euch das gelingt. Ich weiss auch dass Ihr die Partei die Arbeitnehmer besser vertretet als die SP und Grünen zusammen macht weiter so!!!

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