Antifaschismus neu denken

antifaAm 29. März 2014 hätten in Bern auf der einen Seite Rechtskonservative, FaschistInnen und Neonazis, auf der anderen Seite AntirassistInnen und die Antifa demonstrieren sollen. Die Stadt wurde von circa 1000 PolizistInnen ­belagert und am Schluss fand keine Demo statt. Angesichts der Entwicklungen in der Schweiz und in Europa sollten wir uns wieder genauer mit Fragen des Faschismus und des Antifaschismus auseinanderzusetzen.

Ende 2012 versuchte die Gruppe «Stopp Kuscheljustiz» in Bern eine Kundgebung «gegen Ausländerkriminalität und gegen die Ausbeutung der Schweiz [sic!]» durchzuführen. Eine starke antifaschistische Gegenmobilisierung und die Erinnerungen an die Ereignisse rund um das SVP-Familienfest 2007 führten dazu, dass die VeranstalterInnen einen Rückzieher machten und die Kundgebung abgesagt wurde. Am 29. März 2014 versuchten sie erneut eine Kundgebung unter dem Namen «Volksversammlung» zu organisieren. Bewusst distanzierten sie sich diesmal von rechtsextremen Ideologien. Doch ihr Facebook-Auftritt zeigt, dass die Gruppe ein Sammelbecken für rechtskonservative und rechtsextreme Ideologien darstellt. Die «Helvetia» wird zur Heimat der «Eidgenossen» hochstilisiert und populistische Hetzberichte gegen AusländerInnen, Asylsuchende und Kriminelle von Seiten rechtsextremer Parteien wie der PNOS (Partei National Orientierter Schweizer) folgen regelmässig. Und auch Auf­forderungen wie «Schweiz erwache» in Anlehnung an das SA-Kampflied «Deutschland erwache», Aufrufe zu ethnischen Säuberungen oder die Forderung der Todesstrafe gegenüber Andersdenkenden oder MigrantInnen sind die Regel. Häufig findet sich zudem Werbung für die rechtspopulistische SVP. Obwohl sich die SVP von jeglichen rechtsextremen Positionen und Gruppen distanziert, wird damit ersichtlich, dass die SVP auch in diesen Kreisen gewählt wird. Auch die «Volksversammlung» vom 29. März wurde schlussendlich abgesagt. Angekündigte antifaschistische Gegenmobilisierungen im Rahmen von «Bern bleibt Nazifrei» hatten erneut so grossen Druck aufgesetzt, dass die VeranstalterInnen das Demogesuch zurückzogen. Das Polizeiaufgebot blieb jedoch bestehen und so war an jenem Samstag die gesamte Innenstadt von circa 1000 PolizistInnen besetzt. Einzelne rechtsextreme Personen und Gruppen begaben sich trotzdem in die Stadt, ­konnten sich aber nie zu einer Demo formieren. Und die Aktivitäten von «Bern bleibt Nazifrei» konzentrierten sich auf die Reitschule und auf das «FEST gegen Rassismus».

Überall Faschismus??

Es ist mit Sicherheit schwierig, einen Überblick über dieses Amalgam an rechtskonservativen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Positionen und Organisationen zu behalten. Umso schwieriger gestaltet sich die Formulierung eines ideologischen und praxisorientierten Antifaschismus, der sich einerseits über die Historie des Faschismus, des Nationalsozialismus und der antifaschistischen Widerstandsbewegung bewusst ist, andererseits aber nicht alles als Faschismus bezeichnet, was sich im rechten politischen Spektrum positioniert. Gerade in der Schweiz, wo wir weder einen Faschismus kennen, der in Zeiten akzentuierter Klassenkämpfe von der Bourgeoisie als staatstragende Macht eingesetzt wurde, noch eine antifaschistische Bewegung, die sich in einer mehr oder weniger gemeinsamen Tradition sieht, ist das Risiko gross, voreilig für alles die Bezeichnung «Faschismus» zu gebrauchen. Diese Einsicht ändert aber nichts an der Tatsache, dass faschistoide Tendenzen tatsächlich auch in Gruppen und Organisationen zu erkennen sind, die sich von rechtsextremen Positionen distanzieren. Historisch sind solche Züge in den national-konservativen und populistischen Positionen von James Schwarzenbach wiederzufinden, vorwiegend in der Konstruktion einer «generalisierten Masse» (damals die ItalienerInnen), die als Bedrohung für das angeblich Schweizerische definiert wird, von der direkten Demokratie bis hin zu den kulinarischen Gewohnheiten. Genauso verhält es sich bei der Gruppe «Stopp Kuscheljustiz»: Obwohl sich die VeranstalterInnen von rechtsextremen Positionen distanzieren und sich nicht als FaschistInnen oder Neonazis wissen wollen, zieht eine solche «Volksversammlung» sehr wohl offen deklarierte RassistInnen, FaschistInnen und RechtspopulistInnen an. Die faschistoiden Züge der Rechten in der Schweiz haben sich also durch rassistische Komponenten («zu viele AusländerInnen») und den Schutz der eigenen «Identität» und «Tradition» charakterisiert. Und sie sind vor allem auch immer bis in die «Mitte der Gesellschaft» vorzufinden.

Woran anknüpfen??

Die Verhinderung der «Volksversammlung» durch den Aufruf zu einer linken und antifaschistischen Gegendemo hat gezeigt, dass die Antifa «auf der Strasse» eine wichtige Arbeit leistet. Doch die faschistoiden Tendenzen in der «Mitte der Gesellschaft» manifestieren sich heute in der Annahme der Ausschaffungsinitiative von kriminellen AusländerInnen und der Masseneinwanderungsinitiative. Der Umgang mit Faschismus und Antifaschismus in der Antifa und vor allem die Aktualitätsbezogenheit einer antifaschistischen Intervention muss heute darum vermehrt auch die Frage stellen, warum diese faschistoiden Tendenzen bei unseren Nachbarn und ArbeitskollegInnen auf fruchtbaren Boden stossen. Eine Analyse zur Abstimmung am 9. Februar hat gezeigt, dass sich in erster Linie 50- bis 59-Jährige mit obligatorischem Schulabschluss und weniger als 3000 Franken Monatseinkommen aus den städtischen Agglomerationen für die Masseneinwanderungsinitiative ausgesprochen haben. Auch wenn solche Analysen mit Vorsicht zu geniessen sind, zeigen sie auf, dass vor allem ArbeiterInnen, die vom aktuellen Restrukturierungsprozess des schweizerischen Kapitalismus getroffen sind, auf rechtskonservative, rechtspopulistische und zum Teil auch rechtsextreme Positionen aufspringen. Das ist der Ausdruck davon, dass faschistische Tendenzen in der «Mitte der Gesellschaft» existieren. Eine Antifa sollte also dieses Spezifische aufnehmen und im Zusammenhang mit den heutigen Schwierigkeiten der Klassenkämpfe reflektieren. Dies bedeutet aber auch, dass sich die antifaschistische Intervention nicht auf die Strasse beschränken lässt, sondern vermehrt auch in den Quartieren, in den Schulen und an den Arbeitsplätzen anknüpfen muss.

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