Gruusig und truurig!

USRIII_voteflyer_d.inddFür die Unternehmen geht es bei der USRIII um ihre Interessen, um ihre Profite, um rund vier Milliarden Franken an Steuern, die sie sparen können. Entsprechend präsent und penetrant sind sie mit ihrer Abstimmungskampagne im öffentlichen Raum und den sozialen Medien. Die Kampagne kostet Millionen über Millionen. Für die Unternehmen ist die Abstimmung über die USRIII ein Business, in das es sich zu investieren lohnt. Sie wissen genau, dass bei einem Ja zur USRIII die Investitionen in die Abstimmungskampagne reichlich Gewinn ausschütten werden. Oder gibt es für sie einen anderen Grund, die Kampagne zu finanzieren?

Die unterschwellige Botschaft
Von den wohl teuer bezahlten Werbeprofis bestens durchdacht, sprechen die BefürworterInnen in ihrer Abstimmungskampagne immer von einer «Steuerreform» und nicht von der «Unternehmenssteuerreform». Eine taktische Meisterleistung auf psychologischer Ebene, das muss man neidlos anerkennen: Beim Wort «Unternehmenssteuerreform» ist sofort klar, dass die Reform die Unternehmen betrifft, und nur sie. Mit dem Begriff «Steuerreform» hingegen wird suggeriert, dass es uns alle betrifft. Um dieses noch diffuse «Uns» klar beim Namen zu nennen, fügt man eine grosse Portion Nationalismus hinzu. So wird mit einem Ja zur Reform «die Schweiz gestärkt». Es geht also um unser Land. Das diffuse «Uns» ist zu einem greifbaren «Wir» geworden. In diesem «Wir» gibt es auch die oft berechtigte und manchmal wiederum diffuse Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. So wird dem «Wir» gesagt, dass die Reform «Arbeitsplätze sichert». Dies alles mündet im folgenden Slogan der BefürworterInnen: «Arbeitsplätze sichern. Schweiz stärken. Steuerreform Ja.» Die Unternehmenssteuerreform, welche die rund 24 000 international tätigen Unternehmen in der Schweiz betrifft, wird zu einer «Steuerreform», die uns stärkt und unsere Arbeitsplätze sichert. Ergo lautet die unterschwellige Botschaft: Ein Ja ist für uns alle das Beste. Und diese Botschaft wird jetzt täglich und über Wochen hinweg überall dort verkündet und wiederholt, wo es nur möglich ist. Die Millionen von Franken, die dazu freilich nötig sind, stellen für die BefürworterInnen kein Problem dar. Natürlich hat dies nichts mit Demokratie im Sinne der Herrschaft des Volkes zu tun. Aber seit wann ist dies das Problem der KapitalistInnen?

In der Natur der Sache
Auf der Homepage des Komitees, das aus PolitikerInnen aller bürgerlichen Parteien besteht, ist zu lesen: «Die Steuerreform ist eine Grundlage, um bestehende Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. Ein Ja sichert alleine bei den international tätigen Unternehmen über 150 000 Arbeitsplätze.» Korrekt ist, dass die von der Reform betroffen internationalen Grossunternehmen etwa 150 000 Personen beschäftigen. Es wird daher behauptet, dass dank der USRIII alle Unternehmen hier bleiben werden. Doch auf welche Grundlage stützt sich diese Behauptung? Gibt es eine Garantie dafür? Nein! Gleiches gilt für die folgende Aussage: «Die Steuerreform stellt sicher, dass die heute besonders besteuerten Unternehmen ihre Steuern auch künftig in der Schweiz zahlen. Insgesamt werden diese Unternehmen sogar mehr Steuern zahlen als bisher.» Genauso gut kann behauptet werden: Ohne neue Steuerprivilegien ziehen 20 Prozent der Firmen weg, aber der Steuerertrag für Bund und Kantone der restlichen 80 Prozent wird um zwei Milliarden höher ausfallen, da die Steuerprivilegien abgeschafft wurden. Oder: Im Paradies fliesst Honig in den Flüssen und aus den Brunnen springt Champagner bester Qualität.

Fakt ist, dass niemand weiss, was die Unternehmen nach einer Reform tun werden – egal wie diese auch aussehen wird. Alle Studien über die möglichen Auswirkungen der USRIII halten fest, dass eine genaue Voraussage nicht gemacht werden kann! So auch jene bemerkenswerte der Firmen «BBS Volkswirtschaftliche Beratung» in Basel und «Mundi Consulting» in Bern. In der Studie ist zu lesen: «Es liegt in der Natur der Sache, dass Prognosen zum Verhalten einzelner Firmen schwierig sind.» Das wissen auch die BefürworterInnen. Daher werden Behauptungen bar jeder Grundlage erstellt, um bei den StimmbürgerInnen eine Meinung zu ihren Gunsten zu schaffen. Sie tun dies auch im Wissen darum, dass es bei der USRIII nur eine Tatsache gibt, die so sicher ist wie das Amen in der Kirche: Es kommt zu Steuerausfällen von mehreren Milliarden Franken. Geld, das dann dem Bund und den Kantonen fehlt und zu Sparmassnahmen in der öffentlichen Hand führt. Dazu gibt es ganz konkrete Beispiele wie etwa den Kanton Luzern: Mit der «Steuergesetzrevision 2011» hat der Kanton in zwei Jahren die Gewinnsteuer für Unternehmen um 50 Prozent gesenkt. Im Herbst 2014 legte der Regierungsrat ein Sparprogramm von jährlich 110 Millionen Franken vor. Unter anderem wurde beim Personal um ein Prozent gespart und im Gesundheits-, Sozial-, Kultur- und Bildungsdepartement kam es zu Kürzungen von fünf Prozent.

«HeldInnen» von links
Bestandteil der Kampagne sind auch «Persönlichkeiten» der Sozialdemokratischen Partei (SP). Ja, man lese und staune. Und zwar jene, die sich für die USRIII ausgesprochen haben. Als wäre dies allein nicht schon schlimm genug, unterstützen sie jetzt aktiv das Ja-Lager. Zu den prominentesten gehören die StänderätInnen Daniel Jositsch, Pascale Bruderer, Hans Stöckli und Claude Janiak. Sie alle werden mit Foto in der Abstimmungszeitung des Schweizerischen Gewerbeverbandes als «HeldInnen» gepriesen, die sich gegen den «Klassenkampf» der SP zur Wehr setzen. Zur Königin der HeldInnen hat der Gewerbeverband Eva Herzog erkoren, die Basler Finanzdirektorin. Gleich auf Seite 2, gemeinsam mit Bundesrat Ueli Maurer, erklärt die SP-Frau ihre Gründe für das Ja. «Es handelt sich nicht um eine Steuersenkung, sondern um einen Umbau des Steuersystems», wird sie zitiert. Na ja, ob Steuersenkung oder Umbau – das Resultat bleibt das gleiche: Steuerausfälle von mehreren Milliarden Franken. Herzog ist sich auch nicht zu schade, den eigenen Parteipräsidenten anzukreiden: «Die Vorwürfe von Christian Levrat sind schlicht falsch. Offenbar müssen wir noch Aufklärungsarbeit leisten.» Was dazu sagen? Es ist nur noch gruusig und truurig.

Wir sind gewarnt!

usriiiAm 12. Februar 2017 wird über die Unternehmenssteuerreform III (USRIII) abgestimmt. Es geht um Steuerausfälle von mehreren Milliarden Franken. Die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) zeigt in ihrer Abstimmungskampagne auf, dass Steuergeschenke direkt zu Sparprogrammen auf dem Buckel der breiten Bevölkerung führen. Nein zur USRIII!

Der Abstimmungskampf gegen die USRIII ist auch ein Zahlenkrieg: Wie hoch werden die Steuerausfälle, sprich die Steuergeschenke an die Unternehmen, sein? Fest steht, dass es beim Bund zu Einnahmeausfällen von deutlich über einer Milliarde Franken kommen wird. Fest steht weiter, dass die Kantone und Gemeinden stark bluten werden. Der Städteverband errechnete allein für die Gemeinden einen Ausfall von 1,3 Milliarden. Das grosse Fragezeichen bilden aber die Steuerausfälle bedingt durch die verschiedenen, auf kantonaler Ebene möglichen Massnahmen (Instrumente) wie zum Beispiel die zinsbereinigte Gewinnsteuer. Realistisch ist wohl mit Mindereinnahmen von 2,5 bis 3 Milliarden Franken zu rechnen, was eine Gesamtsumme von über vier Milliarden Franken an Einnahmeverlusten bedeutet.

Zahlreiche Unsicherheitsfaktoren

Wie problematisch die Sache mit den Zahlen ist, zeigt auch das Beispiel aus dem Kanton Zürich: Im Auftrag der Kantonsregierung hat das Forschungsinstitut BAK Basel ein dynamisches Modell entwickelt, um die Steuerausfälle zu berechnen, ein Modell, das auch sogenannte Zweitrunden-effekte wie Zu- und Wegzüge von Firmen einkalkuliert. Gestützt darauf rechnet der Kanton mit eigenen Ertragsausfällen von 296 bis 339 Millionen Franken und 373 bis 429 Millionen Franken für die Gemeinden, was ein Total von mindestens 669 Millionen und höchstens 758 Millionen Franken ergibt. Bezeichnend für die Ungewissheit über die realen Steuerausfälle ist die Bandbreite von knapp 90 Millionen Franken zwischen dem Minimum und Maximum. Unter dem Strich, das heisst nach Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen des Bundes und den Einnahmen durch die Erhöhung der Besteuerung der Dividenden, wird die USRIII dem Kanton Zürich gut eine halbe Milliarde Franken kosten. Aber eben, es handelt sich dabei um Schätzungen. Selbst das BAK unterstreicht, dass zahlreiche Unsicherheitsfaktoren bestehen.

Die Tatsache, dass niemand auch nur annähernd auf zehn Millionen Franken genau sagen kann, wie hoch die effektiven Steuerausfälle tatsächlich sein werden, ist von wesentlicher Bedeutung. Es bedeutet konkret: Herr und Frau Schweizerin stimmen am 12. Februar 2017 über eine Vorlage ab, über dessen Auswirkungen sie völlig im Nebel stehen. Eigentlich sollte dies alleine genügen, um ein überzeugtes Nein in die Urne zu legen.

Achtung Schätzung! Achtung Lüge!

Nützlich an dieser Stelle ist auch, das Kurzzeitgedächtnis zu aktivieren und sich an die zweite Reform der Unternehmenssteuer (USRII) zu erinnern: «Die Abstimmung über die USRII gilt als ein Tiefpunkt der Schweizer Demokratie», schrieb dazu der «Tages-Anzeiger» im Juni 2015. Am 24. Februar 2008 scheiterte das Referendum gegen die USRII mit 49,5 Prozent Nein-Stimmen denkbar knapp. Der Bundesrat ging von Steuerausfällen in der Höhe von rund 80 Millionen Franken pro Jahr aus. Drei Jahre später, am 14. März 2011, musste die Regierung auf Druck des Parlaments jedoch zugeben, dass Bund, Kantone und Gemeinden wegen der USRII mit Steuerausfällen von über sieben Milliarden Franken in den nächsten zehn Jahren rechnen müssen, etwa das Neunfache vom Vorausgesagten!

Selbst das Bundesgericht sprach von einer «krassen Verletzung der Abstimmungsfreiheit», von «Fehlinformation durch Unterdrückung», einzelne RichterInnen gar von einer «systematischen Irreführung» der StimmbürgerInnen. Wir sind gewarnt!

Die Sache beim Namen nennen

Der Abstimmungskampf ist in die entscheidende Phase eingetreten. Die SP setzt in ihrer Kampagne stark auf den Mittelstand und so lautet der sozialdemokratische Kampfruf gegen die USRIII: «Bschiss am Mittelstand! Wir bezahlen, Grossaktionäre profitieren! Jetzt reichts!» Die PdAS hingegen stellt die politischen Zusammenhänge ins Zentrum ihrer Abstimmungskampagne. Sie zeigt auf, dass Steuerausfälle direkt «Sparprogramme» zur Folge haben, die auf Kosten der breiten Bevölkerung durchgeführt werden und ArbeiterInnen hart treffen. So hat der Bundesrat bereits im Oktober 2015 für seinen «Haushaltsplan 2017 – 2019» ein Sparpaket im Umfang von einer Milliarde Franken vorgelegt. Besonders stark betroffen ist das Bundespersonal, denn hier sind laut Medienmitteilung des Bundesrats «namhafte Kürzungen» vorgesehen.

Ein Musterbeispiel aus dem Bilderbuch ist der Kanton Luzern: Mit der «Steuergesetzrevision 2011» wurden in zwei Jahren die Gewinnsteuer für Unternehmen um 50 Prozent gesenkt. Im Herbst 2014 legte der Regierungsrat ein Sparprogramm von jährlich 110 Millionen Franken vor, in dem unter anderem beim Personal generell um 1 Prozent gespart wurde und das eine Kürzung von fünf Prozent im Gesundheits-, Sozial-, Kultur und Bildungsdepartement beinhaltete. Wie bereits gesagt, wir sind gewarnt!

Der politische Kern der Vorlage ist im Grunde einfach zu verstehen: Die Unternehmen und ihre AktionärInnen sollen mehr vom gesellschaftlich produzierten Reichtum erhalten. Und damit sie mehr kriegen können, soll unter anderem im öffentlichen Dienst, in der Bildung und im Sozial- und Gesundheitswesen gespart werden. Früher, vor einigen Jahren, als die Klassenfrage noch eine Bedeutung in den politischen Auseinandersetzungen hatte, nannte man so eine Vorlage wie die USRIII Klassenkampf von oben gegen unten. Es ist an der Zeit, die Sache wieder beim Namen zu nennen und die Klassenfrage wieder zu stellen.

Aus dem vorwärts vom 23. Dezember 2016 Unterstütze uns mit einem Abo.

Ja zur dritten Generation

Junge Menschen ohne Pass, die in der dritten Generation in der Schweiz leben, sollen erleichtert – nicht automatisch – eingebürgert werden. Der Abstimmungskampf dürfte trotz starker Verwässerung der Vorlage hart werden. Ein Ja, zu dem auch die Partei der Arbeit (PdA) aufruft, ist Pflicht.

Noch bevor die jüngste Abstimmungsrunde vergangen war, wurde vom Komitee «Ja zur dritten Generation» bereits die Kampagne für die nächste wichtige Abstimmung eröffnet. Am 12. Februar im nächsten Jahr sollen AusländerInnen der dritten Generation leichter eingebürgert werden können: Menschen, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind – so wie mindestens ein Elternteil von ihnen – und die noch keinen Schweizer Pass besitzen, soll eine erleichterte Einbürgerung ermöglicht werden. Das überparteiliche Komitee bis nach rechts zur FDP fordert, dass «AusländerInnen der dritten Generation nicht mehr gleich behandelt werden dürfen wie solche der ersten Generation».

«Föderalistischer Unsinn»

Kommenden Februar wird über eine kleine Änderung des Artikels 38 der Bundesverfassung, der über den Erwerb und Verlust der Bürgerrechte bestimmt, entschieden. Das geltende Bundesrecht sieht bisher keine Einbürgerungserleichterungen für Kinder ausländischer Eltern vor. Der Verfassungsartikel hält fest, dass der Bund den Erwerb und den Verlust der Bürgerrechte durch Abstammung, Heirat und Adoption selbst regelt. Die Kompetenz zur Einbürgerung von AusländerInnen hingegen überlässt er weitgehend den Kantonen und beschränkt sich diesbezüglich auf den Erlass von Mindestvorschriften. Für AusländerInnen in einer gemischtgeschlechtlichen Ehe mit SchweizerInnen gelten besondere Regelungen für eine erleichterte Einbürgerung; für homosexuelle AusländerInnen gibt es diese Regelung jedoch nicht.

Mit der erleichterten Einbürgerung für die dritte Generation werden zwei Dinge geändert: Die einbürgerungswillige Person muss nicht mehr beweisen, dass sie integriert ist. «Sie müssen deshalb nicht im ordentlichen Einbürgerungsverfahren mit Interviews und Sprachtests beweisen, was schon alle wissen, nämlich: Die dritte Generation ist hier geboren und aufgewachsen», sagt das Komitee. Falls sich die Gemeinde oder der Kanton gegen die Einbürgerung stellen, müssten diese nun beweisen, dass die betreffende Person nicht integriert ist. Zweitens gäbe es eine Harmonisierung auf nationaler Ebene. Gegenwärtig gibt es grosse Unterschiede zwischen den Kantonen: In neun Kantonen gibt es überhaupt keine Erleichterungen, während die Kantone Waadt und Neuenburg für AusländerInnen der zweiten Generation keinen Integrationstest machen. Dazwischen gibt es sechs verschiedene Mitteldinge: In Bern und Basel wird auf Sprachtests verzichtet für BewerberInnen unter 16 Jahren. In Zürich wird zwischen Menschen mit oder ohne «Anspruch» auf Einbürgerung unterschieden. Das Komitee spricht hierbei zu Recht von einem «föderalistischen Unsinn».

Keine automatische Einbürgerung

Anstoss für die Möglichkeit des Volksentscheids hat eine parlamentarische Initiative der waadtländischen Sozialdemokratin Ada Marra von 2008 gegeben. Darin hiess es: «Die Schweiz muss ihre Kinder anerkennen und aufhören, Menschen als ‹Ausländerinnen und Ausländer› zu bezeichnen, die keine sind. In der Schweiz geborene Personen, deren Eltern ebenfalls in der Schweiz geboren wurden und deren Grosseltern mehr als zwanzig Jahre ihres Lebens überwiegend in der Schweiz verbracht haben, sind keine Ausländer mehr. Die Mehrheit dieser Personen spricht die Sprache der Grosseltern nur mangelhaft oder gar nicht. Müssten sie in ihrem Herkunftsland einen Integrationstest machen, würden sie den Sprachtest auf keinen Fall bestehen. Die dritte Generation unterhält fast nur noch eine symbolische Beziehung zum ‹geheimnisvollen Land› der Grosseltern.» An der Medienkonferenz erklärte Marra, dass die Vorlage alles andere als revolutionär sei und dass es kein leichtes Unterfangen sein wird, die Abstimmung zu gewinnen. 2004 wurde die Vorlage zur erleichterten Einbürgerung der zweiten Generation mit fast 57 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Gleichzeitig scheiterte auch der Bundesbeschluss über den automatischen Bürgerrechtserwerb der dritten Generation relativ knapp. Die Nationalrätin der BDP, der «anständigen» SVP, Rosmarie Quadranti stellte auch sofort klar: «Es geht nicht um eine automatische Einbürgerung, sondern um eine erleichterte Einbürgerung.»

Ein starkes Zeichen

Die Möglichkeit der Einbürgerung soll ausserdem auf junge Menschen beschränkt werden, «die bis zu 25 Jahre alt sind, die hier geboren sind, bei denen mindestens ein Elternteil hier geboren ist, sich mindestens zehn Jahre hier aufgehalten und mindestens fünf Jahre hier in die Schule gegangen ist». Es wird aber eine Übergangsregelung geben. «Während fünf Jahren nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes sollen auch alle unter 35-Jährigen ein Gesuch stellen dürfen», beschwichtigte das Komitee. Revolutionär ist die Vorlage tatsächlich nicht.

Die Partei der Arbeit der Schweiz sowie alle linken Parteien sprechen sich für ein Ja zur erleichterten Einbürgerung der dritten Generation aus. Es ist klar, dass ein Ja bei der Abstimmung ein Zeichen wäre gegen die Diskriminierung von Menschen ohne Pass. Es wäre ein Signal an diese Menschen, dass wir sie haben wollen und sie zu uns gehören. Und es wäre ein kleiner Schritt hin zur Überwindung der Spaltung der Arbeiterschaft in AusländerInnen und SchweizerInnen.

Aus dem vorwärts vom 2. Dezember 2016 Unterstütze uns mit einem Abo.

Die Industrie blutet

Die Richemont-Gruppe, die Luxusuhren produziert, entlässt über 200 ArbeiterInnen. Gemeinsam mit der Gewerkschaft Unia fordern die ArbeiterInnen die Rücknahme des «Restrukturierungsplans».

Die Richemont-Gruppe, zu der die Luxusmarken Vacheron Constantin und Piaget gehören, hat kürzlich den Abbau von 211 Stellen angekündigt. Davon betroffen sind Produktionsstandorte im Vallée de Joux (VD), in Genf und in La Côte-aux-Fées (NE). Als Protest gegen den geplanten Stellenabbau riefen am 24. November die betroffenen ArbeiterInnen und die Gewerkschaft Unia zu Protestkundgebungen auf. Unter dem Slogan «Unsere Leben zählen mehr als euer Profit!» versammelten sich am Mittag in Le Sentier rund 400 Personen, darunter viele Beschäftigten der dortigen Uhrenfabriken. In einer Resolution forderten sie das Unternehmen auf, die Abbaupläne zu stoppen und stattdessen Kurzarbeit einzuführen, denn Richemont geht es finanziell blendend: Die Gruppe hat im ersten Halbjahr 2016 einen Gewinn von über zwei Milliarden erzielt! Am späteren Nachmittag versammelten sich auch in Genf rund 300 Beschäftigte vor den Betrieben von Vacheron Constantin und Piaget. Sie unterstützten die von den ArbeiterInnen im Vallée de Joux verabschiedete Resolution.

Klare Forderungen gestellt

Unia-Sekretärin Derya Dursun aus Neuenburg erklärt auf Anfrage des vorwärts, dass es bereits im Frühling eine erste Entlassungswelle gab. «Dafür wurde zwischen der Unia und der Geschäftsleitung von Richemont ein Sozialplan ausgehandelt», erklärt Derya. Gefragt nach dem Grund der Entlassungen, antwortet sie: «Es heisst, es gäbe einen Einbruch bei den Uhrenexporten, namentlich durch das Gesetz zur Korruptionsbekämpfung in China. Auch werden die gegenwärtige Instabilität auf der Welt und sogar die letzten Terroranschläge in Europa als Grund angegeben. Wir glauben jedoch, dass die Richemont-Gruppe mit den Entlassungen warten kann. Sie hat in der ersten Hälfte dieses Jahres einen saftigen Gewinn eingefahren. Von daher ist es klar, dass sie mit den Entlassungen nur ihre AktionärInnen zufrieden stellen und die Dividenden erhöhen will.» Und die Gewerkschafterin fügt hinzu: «Die Entlassungen sind für das Unternehmen notwendig, da es in diesem System zum Überleben eine ständige Krisensituation braucht.» Die Gewerkschaft hat vorgeschlagen, zuerst eine Reduktion der Arbeitszeit durchzuführen, um unter anderem den «Salon international de la haute horlogerie» in Genf und die «Basler Herbstwarenmesse» abzuwarten. Die Mehrheit der ArbeiterInnen pocht darauf, dass der «Restrukturierungsplan» zurückgezogen wird. «Dies war das klare Resultat der Betriebsversammlungen, die wir durchgeführt haben und an denen gesamthaft über 700 betroffene ArbeiterInnen teilgenommen haben», erklärt Kollegin Derya. Die Forderungen sind in einer Resolution zusammengefasst, die dem Unternehmen überbracht worden ist. Die betroffenen ArbeiterInnen haben auch von den lokalen politischen Behörden konkret Unterstützung gefordert, die sich für den Erhalt der für die Region wichtigen Arbeitsplätze einsetzten sollen. Der Kampf steht erst am Anfang und so hält Kollegin Derya fest: «Was wir sonst noch für Aktionen in Zukunft durchführen werden, wird an den Betriebsversammlungen entschieden. Klar ist natürlich, dass wir nur das tun, was die ArbeiterInnen wollen.»

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Trump gewann – Leute, organisiert euch!

donald-trumpDie nachfolgende Darstellung zum Wahlsieg von Donald Trump befasst sich mit dem Wahlverhalten der US-amerikanischen ArbeiterInnen. Sie wurde von «People’s World» veröffentlicht, die der Kommunistischen Partei der USA nahe ist. Der Autor ist ehemaliger Gewerkschaftsorganisator und in der Bürgerrechtsbewegung im Süden der USA aktiv.

Gewerkschafts- und FortschrittsaktivistInnen im ganzen Land sind bereits dabei, Strategien einer Antwort auf die gestrige Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu formulieren. Der Milliardär war in der Lage, die Unterstützung der Rechten zu gewinnen, die bereits das Repräsentantenhaus und den Senat, die meisten Bundesstaaten und viele Gerichte kontrollieren, indem er ihnen vertrauenswürdig versicherte, dass er die Anti-ArbeiterInnen-Politik verstärken werde, die die Reichen reicher macht. Gleichzeitig nutzte er Lügen, Angstmache und Sündenböcke, um die Unterstützung von vielen Opfern dieser Politik zu gewinnen. Trump wurde an die Spitze gehievt, weil er rund 60 Prozent der WählerInnen aus der weissen ArbeiterInnenklasse und 27 Prozent der WählerInnen bei den Latinos gewann, ein höherer Prozentsatz als für Mitt Romney (Kandidat der RepublikanerInnen bei der Präsidentenwahl 2012 gegen Obama). Alle Wählerbefragungen bei Verlassen der Wahllokale zeigten, dass diejenigen, die Bernie Sanders bei den Vorwahlen der DemokratInnen unterstützten, in voller Stärke zur Abstimmung für Hillary Clinton gingen, während nur etwa 1 Prozent der Wählerschaft die Grüne Partei unterstützte, nicht genug, um etwas zu bewegen. Die Libertäre Partei holte 3,3 Prozent der Stimmen, wobei die meisten andernfalls für Trump gestimmt hätten.

«Zornig und frustriert»

Die grosse Mehrheit der Trump-WählerInnen sagte, dass sie für ihn stimmten, weil er «das Establishment durcheinanderschütten» werde. Gleichzeitig sagten rund 61 Prozent, dass sie wissen, dass Trump nicht qualifiziert ist, Präsident zu sein. Viele sagten, dass sie Obama-DemokratInnen gewesen waren, aber nun das Gefühl haben, dass ihre Partei sie «aufgegeben» hat. Sie verwiesen auf die Tatsache, dass ihr Lebensstandard eingebrochen ist und dass sie sich nicht länger der wirtschaftlichen Sicherheit erfreuen, die sie einst hatten. Sie sagten, dass sie sich «zornig und frustriert» durch die Regierung fühlen und «einen Wechsel wollen». In Nachwahlumfragen in den Staaten des oberen Mittleren Westens, die unter der Deindustrialisierung gelitten haben, bezeichnete sich die Hälfte der WählerInnen, die für Trump gestimmt haben, selbst als Gewerkschaftsmitglieder. Rund 30 Prozent der GewerkschafterInnen in den umkämpften Swing-Bundesstaaten sollen Trump-UnterstützerInnen sein. Trump verstand es, den Ärger und die Angst vieler ArbeiterInnen in den sogenannten «Rostgürtel»-Staaten zu manipulieren, indem er ihre Meinung aufgriff, dass sie Jobs verloren hätten, weil das Nafta-Freihandelsabkommen (mit Kanada und Mexiko, Übers.) die Unternehmen ermutigt habe, ihre Tätigkeit nach Übersee zu verlagern. Er erinnerte unaufhörlich daran, dass Clinton als First Lady für die Annahme von Nafta geworben hat. De facto wurde Nafta aber gegen den Widerspruch der Mehrheit der DemokratInnen durchgesetzt, die zu jener Zeit im Repräsentantenhaus und Senat waren. Während seines Wahlkampfs hat Trump, obwohl er versprach, die durch Nafta und andere Handelsabkommen verlorenen Jobs «nach Amerika zurückholen», niemals einen Plan vorgelegt, um das zu tun. Stattdessen stachelte er Rassismus und Fremdenfeindlichkeit an, indem er MigrantInnen für viele der wirtschaftlichen Nöte Amerikas verantwortlich machte. Trumps Sieg widerspiegelt den Erfolg von fremdenfeindlichen Rechten in vielen Ländern Europas. Zum Beispiel gelang es jenen, die den Rückzug Grossbritanniens aus der EU unterstützen, die «Brexit»-Abstimmung zu gewinnen, weil sie die Unterstützung der arbeitslosen und unterbeschäftigten britischen ArbeiterInnen fanden, die im deindustrialisierten zentralen Teil von England lebten. Die ökonomische Landschaft dort sieht sehr stark so aus wie das, was überall in den «Rostgürtel»-Staaten zu sehen ist.

Auch eine Chance

Clinton richtete ihren Wahlkampf darauf aus, «Gemässigte» anzusprechen, obwohl die Zahl der WählerInnen, die sich mit diesem Label identifizieren, seit der letzten Präsidentenwahl stark abgenommen hat. Die Tatsache, dass die USA so gespalten sind, stellt für ArbeitervertreterInnen und progressive AktivistInnen auch eine Chance dar. Tatsache ist, dass fast die Hälfte der WählerInnen nicht für Trump gestimmt hat. Darüber hinaus sagen viele von den arbeitenden Menschen, die für ihn gestimmt haben, dass sie ihn nun strikt dafür haftbar machen wollen, dass er seine Versprechen einhält. Die Schlacht gegen die Rechten wird nicht im Fernsehen oder im Internet gewonnen. Sie wird gewonnen durch die Organisierung der arbeitenden Menschen von Angesicht zu Angesicht. Die Gewerkschaftsbewegung muss reale Lösungen für reale Probleme finden, vor denen viele amerikanische ArbeiterInnen aller ethnischen Gruppen stehen. Jetzt, da Trump das Weisse Haus und die RepublikanerInnen die Kontrolle über alle Zweige der US amerikanischen Bundesregierung gewonnen haben, ist für die US-AmerikanerInnen, die eine gerechtere Gesellschaft anstreben, der Aufbau einer machtvollen Volksbewegung entscheidender denn je.

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Armee zum «Alänge»?

01_armeeMit der Wehrshow «Thun Meets Army & Air Force» unterhielt die Schweizer Armee Tausende Besucherinnen und Besucher auf dem riesigen Waffenplatz Thun. Es geht um grosse finanzielle Begehrlichkeiten und Ablenken von den grossen Flops der Armee.

Die Staaten rüsten auf, die Rüstungsindustrie fährt deftige Profite ein und die kleine Schweiz will zuvorderst dabei sein. Der schweizerische Nationalismus feiert im Zuge dieses neoliberal-konservativen Rollbacks Urstände in der Form von gross angelegten Schwingfesten und Wehrschauen. Trendig und US-cool muss es natürlich tönen, man will mit den Wehrschauen besonders die 15- bis 20-Jährigen ansprechen. Das faschisierende «Stahlgewitter» von Ernst Jünger wurde am letzten Oktoberwochenende in Thun deshalb zur verharmlosenden «Steelparade» und sollte wohl mehr an hedonistisches Abtanzen als an furchtbares Massensterben und flächendeckende Zerstörung und Verseuchung erinnern. Auf dem Regional-TV «Telebärn» (Schlagzeile «Stadt im Ausnahmezustand») vorgeführte ZuschauerInnen fanden es ein tolle Sache und eine Riesenfreude für die Kinder, hier über rotweisse Flugzeuge am Himmel, Cyber-War im Büro, Teenie-Schwarm Luca Hänni auf der Bühne und nostalgische Kavallerie-Rössli auf der grünen Wiese staunen zu können sowie Panzer und andere Fahrzeuge «alänge» zu dürfen. Die Kampagne «Deine Armee», in deren Rahmen die Wehrschau stattgefunden hat, will also mit populistischer Didaktik einen kindlich-naiven und sinnlichen Zugang zur Vorbereitung der gross angelegten Massenzerstörung und des fröhlichen Völkermordens vermitteln – vielleicht wird die lustige Vorbereitung demnächst mit der todernsten Liveperformance «Nato-Krieg gegen Russland auf dem gesamteuropäischen Schlachtfeld» gekrönt.

Armee wittert Morgenluft

Eine «gute Akzeptanz» der Armee in der Bevölkerung sieht Organisator René Wallinger nicht nur im überschwänglichen Publikumsbesuch – 200 000 statt der erwarteten 160 000 laut den VeranstalterInnen –, sondern auch in den letzten Ergebnissen von einschlägigen Volksabstimmungen. Die Bevölkerung habe laut Wallinger «ihre» Armee nicht mehr erleben dürfen, diese habe sich in die Kasernen zurückgezogen und die würden jetzt von der Armee geöffnet. Lange vermied die Armee Defilees und Wehrschauen auf öffentlichem Grund, um Gegenaktionen und -demonstrationen aus dem Weg zu gehen, doch jetzt wittert sie Morgenluft.

Stadtentwicklung wird blockiert

Die Gruppe Schweiz ohne Armee (Gsoa) liess es sich nicht nehmen, in der Thuner Altstadt eine Infoaktion durchzuführen. VBS-Vorsteher Guy Parmelin sagte harmlos in ein SRF-Mikrofon, man wolle nur «zeigen, dass das Material nicht einfach in der Garage steht, sondern, dass es auch draussen im Gelände funktioniert». Stadtpräsident Raphael Lanz sang vor Mikrofonen und Kameras den öden Standard der Einheit zwischen Wirtschaft und Armee, der Arbeitsplätze und Umsätze, welche die edle Institution der Bevölkerung und den Unter-nehmen der Region beschere. Die grüne Politikerin Andrea De Meuron durfte medial kurz darauf hinweisen, der Waffenplatz blockiere mit Sicherheitsargumenten die nötige Stadtentwicklung und verhindere beispielsweise, dass die Uttigenstrasse auf dem Armeeterrain des Bundes dem Verkehr geöffnet werde. Damit unter anderem SchülerInnen der umliegenden Gemeinden mit dem Velo auf ihrem Schulweg nicht einen beschwerlichen Umweg machen müssten. Mehr Armeekritik lag bei SRF und der Grünen nicht drin.

Fünf Abstürze und fünf Tote

Natürlich geht es VBS und Armee auch darum, die Stimmbevölkerung – trotz permanentem Sparkahlschlag in wichtigen Finanzbereichen – für die kommenden happigen Militärausgaben zu erwärmen sowie die vier Kampfjet-Abstürze und den Superpuma-Absturz mit insgesamt fünf Toten der letzten drei Jahre zu verwedeln. Man könnte auch meinen, das nonchalante Motto sei da: Das Material zu Schrott fliegen, damit neue Jets angeschafft werden müssen – die besser kleine Ziele auf dem Boden wie übermütige Fussballfans, politische Streiks, Demonstrationen und Aktionen beschiessen können. So ketzerisch aber dachte in der Thuner Festfreude kaum jemand. Auch an den im Juni beim Flugshow-Training abgestürzten Patrouille Suisse Tiger F5 dachte der Wehrchilbi-Besucher vor der «Telebärn»-Kamera wohl nicht, als er jubelte, die Patrouille-Suisse-Vorführung sei «der Hammer» gewesen. Ein anderer meinte gleich darauf, er sei glücklich, «heute so viele Leute und nur ein halbes Dutzend Gsoa-Krawallbrüder» gesehen zu haben.

Milliarden über Milliarden

Zu den exorbitanten Kosten der Kaprizen der Todesengel: Ende Oktober deckte der «Blick» auf, dass die Armee 55 neue Kampfjets für 10 Milliarden Schweizer Franken beschaffen will. Die Kosten über die gesamte Lebensdauer werden sich laut Gsoa zusätzlich auf 20 bis 30 Milliarden Franken belaufen. In den nächsten Jahren sollen weiter 5,6 Milliarden Franken für neue Panzer, mindestens 1,6 Milliarden für das Luftabwehrsystem Bodluv und sowie 10 Milliarden Franken für neue Kampfjets ausgegeben werden. «Wenn bei diesen Anschaffungen die ge-samten Lebensdauerkosten berechnet werden, belaufen sich die Ausgaben auf Dutzende Milliarden Franken», schreibt die Gsoa auf ihrer Webseite. Vergessen sei die Abstimmung vom Frühling 2014, bei der sich die Schweizer Stimmbevölkerung klar gegen neue Gripen-Kampfjets für 3,1 Milliarden Beschaffungspreis und 10 Milliarden für die gesamte Lebensdauer aussprach.

Aus dem vorwärts vom 4. November 2016 Unterstütze uns mit einem Abo.

Ergänzungsleistungen droht der Abbau

renteAm 16. September hat der Bundesrat die Botschaft zur Änderung des Gesetzes über die Ergänzungsleistungen (EL) zur AHV veröffentlicht. Mit verschiedenen Massnahmen will er die Kosten eindämmen. Diese betragen rund 4,7 Milliarden Franken und sollen um gut 152 Millionen Franken gesenkt werden. So sollen unter anderem die Möglichkeiten des Kapitalbezugs in der 2. Säule eingeschränkt werden. Man will verhindern, dass jemand das bezogene Kapital verbraucht und dann wegen fehlender oder zu kleiner Rente der Beruflichen Vorsorge (BVG) auf Ergänzungsleistungen angewiesen ist. Dagegen ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil. So hat sich die RentnerInnenvereinigung Avivo sogar dafür ausgesprochen, dass auch kein Kapitalbezug zum Zweck des Erwerbs von Wohneigentum möglich sein soll, und dass das Verbot des Kapitalbezugs auch auf den überobligatorischen Bereich ausgedehnt werden soll.

Empfindliche Einbussen

Negativ ist allerdings, das die Mindesthöhe der EL gesenkt werden soll. Die EL sollen nur noch mindestens so hoch sein wie die höchste Prämienverbilligung in der Krankenkasse bzw. 60 Prozent der Durchschnittsprämie. Dies kann unter Umständen für die EL-EmpfängerInnen zu einer empfindlichen Einbusse führen. Des Weiteren kann bei den Krankenkassenprämien die effektive anstelle der Durchschnittsprämie berücksichtigt werden, sofern diese kleiner ist. Auch der Freibetrag des Vermögens, der für die Berechnung der EL nicht berücksichtigt wird, soll nach dem Willen des Bundesrates gekürzt werden. Dieser Freibetrag beträgt heute 37 500 Franken für Einzelpersonen und 60 000 Franken für Ehepaare. In Zukunft soll er noch 30 000 Franken bzw. 50 000 Franken betragen. Dies ist völlig inakzeptabel, wenn man berücksichtigt, dass EL-BezügerInnen, die in einem Heim wohnen, nur über rund 450 Franken monatlich frei verfügen können. Dieser Betrag muss Ausgaben für Kleider, die Steuern, den Besuch kultureller Anlässe, den täglichen Nachmittagskaffee usw. abdecken. Wie man leicht ausrechnen kann, sind die EL-BezügerInnen darauf angewiesen, dass sie noch etwas vom eigenen Vermögen zehren können, um einigermassen in Anstand und Würde leben zu können.

Anstelle von Abbaumassnahmen wäre es dringend nötig, die für die Berechnung der EL möglichen Wohnkosten zu erhöhen und damit der Entwicklung der Mieten anzupassen. Die Entschädigungen für die Betreuung zuhause sollten auch soweit angehoben werden, dass niemand gezwungen ist, in ein Heim einzutreten, sofern dies möglich ist. Wäre ja auch kostengünstiger!

Ein Verteilungsproblem

Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass gemäss Bundesverfassung die AHV den Existenzbedarf angemessen zu decken hat. Die berufliche Vorsorge muss die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise ermöglichen. Und sofern der Existenzbedarf durch die AHV nicht gedeckt ist, werden laut Verfassung Ergänzungsleistungen ausgerichtet. Das heisst also, die AHV allein, ohne die BVG-Rente, muss den Existenzbedarf decken, und die Ergänzungsleistungen sollen nur solange nötig sein, bis das Verfassungsziel erreicht ist. Davon sind wir aber weit entfernt, nachdem die AHVplus-Initiative, die eine moderate Erhöhung der AHV-Rente um 10 Prozent vorsah, an der Urne gescheitert ist. Irgendwelche Abbaumassnahmen bei den Ergänzungsleistungen sind daher nicht zu verantworten. Leider verfängt die bürgerliche Schwarzmalerei bei grossen Teilen der Bevölkerung. Es soll an dieser Stelle klar festgehalten sein: Die Sicherung der Renten ist kein Demografie-sondern ein Verteilungsproblem.

1. Säule stärken!

Die Bürgerlichen behaupten, sie wollten das Rentenniveau, also die Summe der AHV und der BVG-Rente, erhalten. Sie sind aber gegen jede noch so geringe Erhöhung der AHV. Gleichzeitig wollen sie den Umwandlungssatz für die BVG-Rente senken. Das geht nur, indem man noch viel mehr Geld in das BVG-System reinbuttert. Noch mehr Kapital drängt auf den Anlagemarkt, der Druck auf die Immobilienpreise und somit auf die Mieten wird noch mehr steigen. Und die privaten Versicherungen werden weiter Geschäfte machen können auf Kosten der Versicherten. Die Gewinne sind zwar beim momentan niedrigen Zinsniveau etwas kleiner, aber das wird sich mit Sicherheit wieder ändern. Es wäre dringend nötig, dass die 1. Säule (AHV) auf Kosten der 2. Säule (Berufliche Vorsorge) gestärkt würde, besser noch, dass die 2. Säule überhaupt verschwinden und in der 1. Säule aufgehen würde. Das Umlageverfahren bei der AHV ist dem Kapitaldeckungsverfahren bei der beruflichen Vorsorge sowohl bei den Kosten als auch bezüglich der Sicherheit weit überlegen. Das wird sogar von bürgerlichen ÖkonomInnen nicht bestritten. Seit einiger Zeit versucht daher eine Arbeitsgruppe der Partei der Arbeit, Wege zu finden, wie man dieses Ziel mittels einer Volksinitiative erreichen kann.

Die Herrschaft der Gedanken

Logo_D_webBereits ein Monat vor dem Ablauf der Sammelfrist stand fest, dass das Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform III (USRIII) problemlos zustande kommt. Die Steuergeschenkvorlage für die Unternehmen im Wert von über vier Milliarden Franken kommt somit vors Volk. Stellt man die Vorlage in den gesellschaftspolitischen Zusammenhang, wird klar, dass es bei der Abstimmung um weit mehr geht als ein Ja oder Nein zur Reform.

Das Referendum gegen die USRIII ist mit über 60000 Unterschriften unter Dach und Fach. Das Mindeste ist getan – alles andere wäre für die Linke in diesem Lande die komplette Bankrotterklärung gewesen. Ein gutes Zeichen ist, dass die benötigten Unterschriften bereits ein Monat vor Ablauf der Sammelfrist beisammen waren. Die Abstimmung findet mit grosser Wahrscheinlichkeit im Februar 2017 statt. Ein langer und schwieriger Abstimmungskampf steht bevor. Hoffnung und Mut machen aber die Reaktion der Menschen auf der Strasse: «Das ist eine Frechheit», «Die müssen gestoppt werden», «Dann wird wieder bei der Bildung gespart», waren Sätze, die beim Unterschriftensammeln oft zu hören waren. Vielen ist sehr bewusst, dass die massiven Steuerausfälle durch die USRIII zu «Sparmassnahmen» auf Kosten der breiten Bevölkerung führen.

Von Fakten…

Im Detail ist die Vorlage kompliziert, in ihrer Gesamtheit aber simpel zu verstehen, so wie zum Beispiel jene über den Kauf der Kampfflugzeuge «Gripen» im Mai 2014. Da lautete die Frage an die Abstimmenden: Wollt ihr die 22 Kampfjets für über zehn Milliarden Franken kaufen, ja oder nein? Bei der USRIII lautet die Frage: Wollt ihr Steuerausfälle von über vier Milliarden Franken, Ja oder Nein? Hilfreich um diese Frage entschieden mit Nein zu beantworten, ist die Tatsache, dass die Folgen eines Jas bekannt sind. Man muss sie nur sehen wollen, so wie etwa in Luzern: Mit der «Steuergesetzrevision 2011» hat der Kanton Luzern in zwei Jahren die Gewinnsteuer für Unternehmen um 50 Prozent gesenkt. Die Folgen? Im Herbst 2014 legte der Regierungsrat ein Sparprogramm von jährlich 110 Millionen Franken vor. Konkret: Beim Personal wurde generell um 1 Prozent gespart, im Gesundheits-, Sozial-, Kultur und Bildungsdepartement wurde das Budget um 5 Prozent gekürzt und die Pensen für LeherInnen in den Gymnasien wurden um eine halbe Lektion, bei der Berufs- und Weiterbildung und der Sonderschulen gar um eine Lektion erhöht. Und das ist noch lange nicht alles: Per 2018 wird die Fachklasse Grafik geschlossen, das Schuljahr wurde bei den Gymnasien sowie Berufs- und Weiterbildung um eine Woche gekürzt (!), 1,2 Millionen für die Prämienverbilligung sind gestrichen worden und die Luzerner Polizei führt täglich eine Patrouille weniger durch. Der Kanton Zürich hat angekündigt, dass die Umsetzung der USRIII ein jährliches Loch von 500 Millionen Franken in die Kasse reissen wird. In Genf belaufen sich die Ausfälle auf 300 bis 400 Millionen Franken, während im Kanton Basel-Stadt die Mindereinnahmen gut 140 Millionen Franken betragen werden. Auch der Bund hat ein Sparpaket von einer Milliarde Franken angekündigt. Er begründet dies unter anderem mit den Einnahmeausfällen, welche die USRIII verursachen wird. Eine «Sparmassnahme», die besonders stark das Bundespersonal betreffen wird. Wie bereits erwähnt, die Folgen der USR-III sind bekannt, man muss sie nur sehen wollen!

…und Vermutungen

Diesen Fakten stehen Vermutungen der BefürworterInnen gegenüber. Das liest sich dann so: «Bei ersatzloser Streichung der Steuerprivilegien würden die bisher privilegierten Gesellschaften massiv höher besteuert (um bis zu 10 Prozentpunkte), was vermutlich zu starker Abwanderung und hohen Einnahmenverlusten für den Fiskus führte.» (NZZ vom 8. September 2016) Sicher, es gibt Studien von bekannten WirtschaftsprofessorInnen, welche die Vermutung bekräftigen. Vermutung bleibt aber Vermutung. Wie gross die Abwanderung sein wird, kann niemand genau voraussehen, weil bei der Standortwahl viele Faktoren eine Rolle spielen. Laut einer Umfrage der SwissHoldings, dem Verband der multinationalen Konzerne in der Schweiz, zu den zehn wichtigsten Standortkriterien, belegt der Faktor Steuerprivilegien gerade mal den achten Rang. Sollten steuerliche Privilegien wegfallen, bleiben die neun anderen Kriterien wie etwa «Gut ausgebildete Fachkräfte» (auf Position 1!), «Politische und gesellschaftliche Stabilität» und «Rechtssicherheit» weiterhin bestehen. Angeführt von der FDP/Liberalen malen die Bürgerlichen als VasallInnen der Wirtschaftsbosse wie üblich den Teufel an die Wand, machen den Menschen Angst, um die eigenen Interessen zu festigen und die Profite zu erhöhen.

Alles im Sinne des Kapitalismus?

Vier Milliarden Franken, viel Geld für die angeblich leeren Staatskassen. Jedoch ist es ein Trinkgeld gemessen am immensen Reichtum und Besitz der Grossunternehmen, wie zum Beispiel jenem der Pharma- und der Chemieindustrie, die von der Reform stark profitieren würden. Novartis, Roche, Syngenta und Lonza, um nur einige zu nennen, generieren zusammen über 115 Milliarden Franken Umsatz pro Jahr. Bei diesen Unmengen an Umsatz und Profit von Novartis und Co. gleicht ihre Steuerlast einem Fünffrankenstück, das eine Normalverdienerin dem Strassenmusikanten in die Mütze wirft. So steht die USRIII auch in einem gesellschaftspolitischen Zusammenhang, der wesentlicher ist als «nur» das Bezahlen von Steuern: Es geht um die Machtfrage, genauer um die Herrschaft der Gedanken. Was das heisst? Karl Marx und Friedrich Engels helfen da weiter. In ihrer Schrift «Die Deutsche Ideologie» halten sie fest: «Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, das heisst, die Klasse, welche die herrschenden materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht.» Dem kapitalistischen, neoliberalen Credo der Herrschenden soll alles unterworfen werden, um ihre Macht, Interessen und Profite zu festigen. In diesem Sinne ist die USRIII Mittel zum Zweck. Ein Mittel der Herrschenden, um ihrer Vorstellungen der Gesellschaftsordnung einen Schritt näher zu kommen. Wer in diesem Lande herrscht, zeigt auch ein Blick auf die Steuerfakten im Kanton Basel-Stadt: Nicht weniger als 85 Prozent der steuerbaren Gewinne im Kanton kommen von Gesellschaften, die bis anhin Steuerprivilegien geniessen. Der Pharmasektor ist dabei besonders prominent vertreten. Wenn diese Unternehmen den Drohfinger heben, kriegt der oder die FinanzministerIn kalte Füsse, Alpträume in der Nacht und tut alles daran, die Wirtschaftsbosse wieder zu besänftigen. Die Politik kuscht vor der Wirtschaft. So lautet die gesellschaftspolitische Grundsatzfrage, über die Herr und Frau EidgenossIn im Zusammenhang mit der USRIII abstimmen werden: Wollen wir in einem Land der Wirtschaftsdiktatur leben, ja oder nein?

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Blockiert vor der Grenze

Seit Juli stecken hunderte Personen, die in Europa Asyl suchen, an der Grenze zwischen Como und Chiasso fest. Während die für die prekäre Situation Verantwortlichen ungeschoren davon kommen, werden solidarische Menschen kriminalisiert.

Ein Telefonanruf am Donnerstag, 1. September. Ich werde darüber informiert, dass die Tessiner Grossrätin Lisa Bosia Mirra verhaftet wird. Sie hätte vier papierlosen Jugendlichen geholfen, in die Schweiz einzureisen. Die Präsidentin der Flüchtlingshilfsorganisation Firdaus unterstützt schon seit Juli Hunderte von Asylsuchenden, die in Como von Schweizer GrenzwächterInnen blockiert werden. Gegen Lisa, die gegenwärtig wieder auf freiem Fuss ist, wird nun strafrechtlich ermittelt.

Eine Entscheidung «von oben»

Vom 21. bis 22. August reiste ich mit einem Tessiner Genossen nach Como. In Chiasso haben wir Lisa getroffen, wo ihre Organisation jeden Tag das Mittag-essen für die MigrantInnen auf der anderen Seite der Grenze zubereitet. An diesem Tag hatte Firdaus etwa 900 Teller in dem Park ausgeteilt, der ein paar Meter vom Bahnhof San Giovanni entfernt liegt und wo hunderte Männer, Frauen und Kinder auf die Weiterreise warten. Warum hat man ihre Flucht vor den Toren der reichen Schweiz aufgehalten? Die Bundesregierung behauptet, dass alles bestens sei, dass man nichts ändern werde und dass das Grenzwachtkorps (GWK) seine Arbeit gut mache. «Alles läuft korrekt ab», so Bundesrat Ueli Maurer. Wie die Asylrechtsexpertin von Amnesty International Schweiz jedoch feststellt, schicken die GrenzwächterInnen 60 Prozent der Personen ohne gültige Reisepapiere zurück nach Italien, zuvor waren es 10 Prozent. Mehrere Organisationen haben nachgewiesen, dass Personen, die eindeutig die Absicht hatten, in der Schweiz Asyl zu beantragen, nach Italien abgeschoben wurden, darunter Minderjährige ohne Begleitung, die zu ihrer Familie in der Schweiz wollten. Die Abschiebungen stützen sich auf ein Rückübernahmeabkommen, das im Jahr 2000 von der Schweiz und Italien ratifiziert wurde, und nichts zu tun hat mit einer strengen Durchsetzung der Dubliner Verträge, wie dies unter anderem die Bundesrätin Simonetta Sommaruga behauptet. Eine solche Kehrtwende in der Praxis kann nur durch eine Entscheidung «von oben» stammen. Aber das Wer, Was und Warum sind Fragen, auf die der Bundesrat bis heute die Antwort verweigert.

Ueli Maurer als Chef des GWK

Die Verschärfung des Grenzregimes hat man schon seit einiger Zeit erwartet. Angesichts der «Notfallplanung Asyl», die vom Bundesrat zusammengeschustert und im vergangenen April veröffentlicht wurde, gibt es nicht mehr den Schatten eines Zweifels: Falls die Schweiz mit einer grösseren Zahl von Asylgesuchen konfrontiert ist, «verstärkt das GWK mit Schwerpunktbildungen die Kontrolle der Landesgrenzen an den neuralgischen Grenzabschnitten und sorgt für die Umsetzung der Rückübernahmeabkommen mit den Nachbarstaaten.» Gleichzeitig verkündete der Bundesrat die Schaffung von 130 neuen Stellen im GWK bis 2017. Offensichtlich gelten Sparmassnahmen nicht für alle staatlichen Sektoren. Maurer traf sich im Juli mit seinem italienischen Pendant Angelino Alfano, um die Kooperation beider Länder zu verbessern und sich mit ihm auf drei Punkte bezüglich des Grenzschutzes zu verständigen. Erstens soll die Präsenzzeit der italienischen Behörden an der Tessiner Grenze deutlich ausgedehnt werden, damit illegale MigrantInnen «sofort und effizient» abgeschoben werden könnten. Zweitens sollen «in den grenzüberschreitenden Zügen von Mailand über die Schweiz nach Paris gemischte Patrouillen italienischer und schweizerischer Grenzbeamter eingeführt werden». Geplant ist ausserdem ein Krisenstab im Tessin, das beide Länder über die Migrationslage informiert. Mitte Juli schlug der Bundesrat das 48-Stunden-Verfahren, das bisher bei Menschen aus dem Westbalkan angewendet wurde, für «MigrantInnen aus Afrika» vor.

Die Geflüchteten werden bleiben

Das Ziel dieser Verschärfungen ist in den Worten Maurers «eine schnelle Rückführung von illegalen Migranten». Aber: Genauso wie Krieg, Verfolgung und Armut nicht einfach verschwinden werden, weil man die Auge verschliesst, werden sich die Personen, die nach Europa fliehen, nicht einfach in Luft auflösen, wenn man die Zahl der GrenzwächterInnen erhöht. Die Geflüchteten werden da bleiben, blockiert, sichtbar, störend, auf eine Lösung wartend, damit sie ihren Weg fortsetzen können. Man darf also nicht erstaunt sein, wenn diese sich an FluchthelferInnen wenden. Es stimmt, einige davon sind kriminell. Sie profitieren von der Not anderer und bereichern sich an ihnen. Aber ihre Abwesenheit von Moral ist nicht weniger verwerflich als die der Verantwortlichen in der Schweiz und in Europa, die eine unmenschliche Asylpolitik verteidigen, die Menschen tötet. Und diejenigen HelferInnen wie Lisa, die aus Solidarität Widerstand leisten, um anderen auf der Flucht, auf der Suche nach einem besseren Leben zu helfen, verdienen unseren Respekt. Jeder Versuch, sie zu kriminalisieren, muss bekämpft werden.

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Lohndumping in Sainte-Croix

baustelleAuf einer Baustelle im Kanton Waadt haben sechs polnische Arbeiter gestreikt und ein Gebäude besetzt. Sie mussten seit Februar für 2200 Franken im Monat 51 Stunden die Woche schuften.

Bereits zum zweiten Mal hängen Unia-Fahnen aus den Fenstern der Bacab-Fabrik an der Rue de l‘Industrie in Sainte-Croix. Und wieder ein Transparent, auf dem in grossen Buchstaben «Grève» steht. Das Gebäude in der waadtländischen Stadt nahe Yverdon war schon 2014 der Ort eines Streiks. 40 ArbeiterInnen stellten damals Heizkabel für die Firma Bacab her, bis die ChefInnen beschlossen, den Betrieb nach Deutschland auszulagern. 32 Leute wurden entlassen, ein mieser Sozialplan drohte. Die Gewerkschaft Unia organisierte in der Folge zusammen mit den ArbeiterInnen Widerstand und stellte die Arbeit ein. Die Aktion hatte Wirkung: Im Sozialplan wurde die Entschädigung für die Entlassenen verdoppelt. Die Arbeitsstellen konnten allerdings nicht gerettet werden.

Drei-Zimmer-Wohnung für 4000 Franken

Der Betrieb ist weg, das Gebäude steht noch. Nun soll es umgebaut werden. Bis Redaktionsschluss stand die Baustelle jedoch still; wieder hängen Unia-Fahnen aus den Fenstern und wieder verkündet ein Transparent Streik. Das Gebäude wurde von sechs polnischen Bauarbeitern und der Gewerkschaft besetzt. Grund ist ein schwerer Fall von Lohndumping. Seit Februar dieses Jahres waren die Männer bei dem Neuenburger Unternehmen Alpen Peak International beschäftigt. Angeworben wurden sie über das Internet. Sie mussten auf der Baustelle in Sainte-Croix sechs Tage die Woche für einen Lohn von 12 Franken die Stunde schuften. Anders gesagt: Im Durchschnitt arbeiteten sie eine 51-Stunden-Woche für 2200 Franken Lohn. Noch dazu wohnten sie zu sechst in einer Drei-Zimmer-Wohnung, die 660 Franken Miete pro Monat und Person, also zusammen fast 4000 Franken, kostete. Seit dem 28. August befanden sich die Arbeiter im Streik und fordern den nicht gezahlten Teil der Löhne ein, der ihnen zustehen würde. Unia Vaud und Unia Neuchâtel haben Klage gegen das Unternehmen erhoben. «Nach unseren Berechnungen schuldet das Unternehmen den sechs Arbeitern 60000 bis 80000 Franken Lohnzahlungen», sagt die Gewerkschaft.

Streik suspendiert

Nun stehen Verhandlungen an. Die zwei Streitparteien – Arbeiter und Unternehmen – wollen sich über die Gespräche nicht äussern. «Was ich sagen kann, ist, dass wir den Streik suspendiert und das besetzte Gebäude geräumt haben», sagt Lionel Roche von der Unia Vaud gegenüber der Tageszeitung «24 heures». Ein Beteiligter bestätigt dem vorwärts, dass sie bis zum Verhandlungsende von der Gewerkschaftsleitung zum Schweigen verpflichtet sind. Man kommentierte momentan nicht, weil man sich unter ruhigeren Bedingungen als bisher mit der Sache beschäftigten möchte, heisst es von der Alpen Peak.

Noch ist unklar, was mit den sechs Arbeitern aus Polen geschieht. Laut Unia haben sie ihre Arbeit nicht wieder aufgenommen, weil ihre Arbeitsverträge gebrochen wurden. «Sie haben keine Kündigungsbriefe erhalten, aber ihr Chef hat sie nicht wieder zur Arbeit aufgefordert», sagt Roche. Ihre Arbeitsverträge seien Ende August ausgelaufen, erklärt der Manager von Alpen Peak. Und er behauptet trotz grosser Beweislast: «Ich habe mich immer an die Regeln gehalten.»

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Wir wollen keinen Sitz an einem kaputten Tisch!

451376028.0Lily Zheng. In den USA sollen Transmenschen offen im Militär dienen «dürfen». Eine Kritik an der Mainstream-LGBT-Bewegung und was diese als Erfolg bezeichnet.

Transgender Menschen in den USA haben viele Erfahrungen damit, von der Mainstream-LGBT-Bewegung ignoriert zu werden. Diese Bewegung, die auch aus den Kämpfen von TransaktivistInnen in den 60er-Jahren hervorging und schnell von weissen Schwulen und Lesben aus der Mittel- und Oberschicht vereinnahmt wurde, hat sich auf Assimilierung, Ehe und Normalität, nicht aber auf Gerechtigkeit konzentriert.
Nachdem das Oberste Gericht der USA im Juni 2015 zugunsten der Legalisierung der Homoehe entschieden hat, hat diese Bewegung ihr nächstes Ziel gefunden: Transgender-Rechte. Aber was für Rechte sind damit gemeint? Die «Transgender-Rechte», die die Mainstream-LGBT-Bewegung fordert – etwa die Intergration von transgender Armeeangehörigen – gerhören derselben assimilierenden Rhetorik an, die zu den anderen Erfolgen geführt hat.

Assimilation für die Privilegierten
Die Politik von «Don’t Ask, Don’t Tell», die es schwulen, lesbischen und bisexuellen Armeeangehörige verboten hat, geoutet im Militär zu dienen, wurde 2011 aufgehoben. In diesem Entscheid waren nur drei der vier Buchstaben der Abkürzung LGBT eingeschlossen, transgender SoldatInnen blieben zurück. Man schätzt, dass sich gegenwärtig 15 500 transgender Personen im Aktivdienst oder in den Reserveeinheiten befinden. Diese Personen sehen sich zahlreichen Schwierigkeiten gegenüber aufgrund der restriktiven und unzeitgemässen Richtlinien, die die Auslebung ihrer Identität einschränken: Die Drohung der unehrenhaften Entlassung, wenn sie ihre Transidentität bekannt machen; das Verbot, eine ihrem Geschlecht entsprechende Uniform zu tragen und mit dem Namen und den Pronomen ihrer Wahl angesprochen zu werden; potenzielle Belästigung und Diskriminierung wegen ihrer Genderidentität. Die Gesetzeslage zu aktualisieren, um Transmenschen zu ermöglichen, offen der Armee beizutreten, würde ihr Leben erleichtern und die Effektivität der Armee erhöhen – so lautet die Argumentation der Mainstream-LGBT-Bewegung.
Es ist eine Taktik, die die Mainstream-LGBT-Bewegung mit Erfolg angewendet hat: Sich für die Integration in die angesehensten Institutionen der Gesellschaft einzusetzen, ob Ehe oder Militär. Diese Taktik beruht darauf, «Normalität» vorzuschützen und zu beweisen, dass LGBT-Menschen genauso sind wie alle anderen. Sie beruht letztlich darauf, die privilegierten (die wohlhabenden, weissen und cisgender) Lesben und Schwulen zu assimilieren, damit sie die gleichen gesellschaftlichen Vorteile geniessen können wie ihre gleichermassen privilegierten Hetero-FreundInnen.

Mitschuldig an der globalen Ungerechtigkeit
US-Verteidigungsminister Ashton Carter hat die Bildung einer Arbeitsgruppe angeordnet, um herauszufinden, ob die Integration von Transmenschen einen «negativen Effekt auf die Effektivität und Bereitschaft der Armee» hat. Wir wissen bereits, zu welchem Schluss die Arbeitsgruppe kommen wird: Transgender SoldatInnen können genauso wie alle anderen eine Waffe bedienen. Transgender SoldatInnen können genauso wie alle anderen Befehle folgen. Transgender SoldatInnen können genauso wie alle anderen im Namen des Staates Mord begehen.
Als eine nicht-weisse Transfrau finde ich es besonders ironisch, dass ich bald die Möglichkeit hätte, einem Land zu dienen, dass meine schwarzen und braunen Schwestern auf den Strassen, in den Gefängnissen und in anderen Ländern misshandelt und tötet. Ich finde es ironisch, dass dies für die Mainstream-LGBT-Bewegung ein Sieg darstellt. Das Recht, sich an der US-Kriegsmaschine zu beteiligen, hilft uns Transmenschen nicht. Die Assimilation in ein unterdrückerisches System, das die fortwährende Besetzung von anderen Ländern antreibt, den sogenannten Krieg gegen den Terror, der die Menschen im Mittleren Osten terrorisiert und im eigenen Land Islamophobie fördert, sowie die Assimilation in einen aggressiven Neoliberalismus, der die Armee als Werkzeug für die Ausdehnung des ökonomischen Gewinns benutzt, ist kein Sieg. Keine Rhetorik, die inhaltsleer Patriotismus und Nationalismus im Namen der Transmenschen wiederholt, kann die Tatsache beseitigen, dass das US-Militär mitschuldig ist an der globalen Ungerechtigkeit.

Die wirkliche Arbeit liegt woanders
Intergrationskampagnen helfen denjenigen nicht, die bereits systematisch von der Gesellschaft aufgrund ihrer Identität ausgeschlossen werden. Für nicht-weisse Transmenschen, Transfrauen, behinderte und neurodiverse Transmenschen, nicht-binäre Transmenschen und viele andere ist die Integration ins Militär kein relevantes Thema.
Das bedeutet nicht, dass ich dagegen eintreten möchte – mit aller Wahrscheinlichkeit wird es durchgesetzt werden. Aber wirkliche Erfolge bestehen nicht daraus, einen Sitz an einem bereits kaputten Tisch zu besetzen, sondern daraus, das unterdrückende System zu überwinden und wirkliche Alternativen aufzubauen. Echte Erfolge bestehen nicht aus Pinkwashing, sondern aus einem bezahlbaren Gesundheitssystem und sicheren Wohnraum, im Stopp von Deportationen, von Kriminalisierung und Polizeibrutalität. Die übliche Antwort darauf ist immer eine Variation von «Das kommt als nächstes» oder «Eins nach dem anderen». Davon sind wir Transmenschen nie überrascht. Während sich TransaktivistInnen für die genannten Forderungen, die ihren Gemeinschaften wirklich helfen, eingesetzt haben, hat sich die Mainstream-LGBT-Bewegung abgemüht, Themen zu finden, die nichts mit Befreiung zu tun haben – von Befreiung können reiche weisse queere Männer und Frauen und ihre WirtschaftssponsorInnen nicht profitieren. Es macht Sinn, dass eine Bewegung, die sich nicht für arme, nicht-weisse Trans- und queere Menschen interessiert, sondern dafür, dass eine Biermarke oder eine Bank ihre Gayprides sponsert, nach Ablenkungen sucht. Die Integration von Transmenschen ins Militär ist bestenfalls eine solche Ablenkung. Natürlich wird es transgender SoldatInnen helfen, ein Leben mit etwas weniger Angst und Unannehmlichkeiten zu führen, das ist positiv. Aber die wirkliche Arbeit liegt woanders: anständige Löhne, bezahlbares Gesundheitssystem und Wohnraum, Black Lives Matter, Gefängnisarbeit.

Die Folgen der USRIII sind bekannt!

rotstiftDie in der Unternehmenssteuerreform III (USRIII) neu vorgeschlagenen Steuerprivilegien führen zu Steuerausfällen von 1,5 Milliarden für den Bund. Ganz besonders stark betroffen sind die Gemeinden und Kantone mit Steuerausfällen von 2,5 bis 3 Milliarden Franken. Auf dem Spiel stehen somit mindestens 4 Milliarden Steuereinnahmen. Die Mindereinnahmen müssen dann mit «Sparmassnahmen» kompensiert werden, die auf Kosten der breiten Bevölkerung erfolgen und Tausende von Arbeitsplätzen gefährden, die mit dem öffentlichen Dienst in Verbindung stehen. Was dies in der Praxis bedeutet, ist an den Erfahrungen im Kanton Luzern sichtbar. Mit der «Steuergesetzrevision 2011» hat der Kanton Luzern in zwei Jahren die Gewinnsteuer für die Unternehmen um 50 Prozent gesenkt. Die Folgen: Im Herbst 2014 legte der Regierungsrat ein Sparprogramm von jährlich 110 Millionen Franken vor. Konkret:

– Beim Personal wird generell um 1 Prozent gespart;
– Kürzungen im Gesundheits-, Sozial-, Kultur und Bildungsdepartement von 5 Prozent;
– Schliessung der Fachklasse Grafik bis 2018;
– Höhere Pensen für LeherInnen in den Gymnasien um eine halbe Lektion, bei der Berufs- und Weiterbildung und der Sonderschulen um eine Lektion;
– Verkürzung des Schuljahres um eine Woche bei den Gymnasien und der Berufs- und Weiterbildung;
– Die Luzerner Polizei führt täglich eine Patrouille weniger durch;
– Kürzung der Prämienverbilligungen um 1,2 Millionen Franken;
– Nein zu Steuerausfällen von über 4 Milliarden Franken – Nein zur USRIII.

Die PdA ruft alle Bürgerinnen und Bürger auf, sich aktiv an diesem wichtigen Kampf zu beteiligen.

Unterschriftenbögen und weitere Infos zur USRIII hier

Nein zur USRIII – Referendum unterschreiben!

Logo_D_webDie Ausgangslage ist schnell und einfach auf den Punkt zu bringen: Kommt die Unternehmenssteuerreform III (USRIII) so durch, wie sie vom Parlament in der soeben abgelaufenen Sommersession beschlossen wurde, wird der Bund jährlich 1,3 Milliarden Franken weniger Steuereinnahmen verbuchen. Das ist aber noch lange nicht alles: Die weitaus grösseren Steuerausfälle werden die Kantone und die Gemeinden zu verzeichnen haben. Hier beziffert der Bundesrat den Ausfall auf zwei Milliarden Franken. Doch in diesem Betrag fehlt zum Beispiel der Steuerausfall für den geplanten Abzug auf Forschung und Entwicklung. Der Städteverband hat allein für die Gemeinden einen Ausfall von 1,3 bis 1,5 Milliarden Franken errechnet. «Realistisch ist wohl mit Mindereinnahmen für die Kantone und Gemeinden von 2,5 bis 3 Milliarden Franken zu rechnen», hält daher die Partei der Arbeit der Schweiz in ihrer Informationsbroschüre zur USRIII fest. Auf dem Spiel stehen somit über vier Milliarden Steuereinnahmen, die das Parlament den Unternehmen schenken will.

Zur USRIII schreibt Rudolf Strahm, ehemaligen Preisüberwacher sowie SP-Nationalrat und alles andere als ein radikaler Linker, in seiner Kolumne im «Tages-Anzeiger» vom 30. Mai: «Ein so einschneidendes – man darf ruhig sagen: schamloses und einseitiges – Steuersenkungs-programm hat die Eidgenossenschaft noch nie erlebt.»

Wer bezahlt die Zeche?

Grund der Ausfälle in Milliardenhöhe für die Kantone und Gemeinden ist die geplante, massive Senkung der kantonalen Gewinnsteuersätze für die Unternehmen. Im vorauseilenden, unterwürfigen Gehorsam hat es der Kanton Waadt bereits vorgemacht und den Steuersatz von 21,6 auf 13,8 Prozent zusammengestrichen. Marschrichtung und Ziel sind für die Bürgerlichen auch im Kanton Zürich klar: «Wir müssen runter auf 16 Prozent, um den Industrie- und Unternehmerkanton zu stärken», verlangt der Winterthurer SVP-Kantonsrat und Unternehmer Peter Uhlmann im «Landbote» vom 18. Juni. Eine Forderung, die logischerweise auch von der FDP/Liberalen unterstützt wird. Der aktuelle Steuersatz im Kanton Zürich liegt bei 21,8 Prozent.

Was würde dies konkret für eine Stadt wie Winterthur heissen? Der Stadtrat hat ein Szenario durchgerechnet mit einer Senkung auf 19,5 Prozent. Bereits das würde zu «massiven Ausfällen» führen, berichtet der «Landbote». Der Stadtrat spricht von Ausfällen in der Höhe von 10,5 Millionen oder mehr als drei Steuerprozenten. Und eine Senkung der Gewinnsteuer auf 16 Prozent – so wie von SVP und Liberalen gefordert – entspricht einer Einbusse von über 30 Millionen Franken oder elf Steuerprozenten. Eine hübsche Summe für eine Stadt, die seit Jahren kräftig den Rotstift ansetzt und ihren EinwohnerInnen vorjammert, wie nötig die «Sparmassnahmen» seien. Ein treffendes Beispiel dieser «Sparmassnahmen» schildert das Winterthurer Kulturmagazin «Coucou» in der Aprilausgabe 2015. Eine Gruppe junger MusikerInnen, die sich einen kleinen Proberaum teilten, bekam im März 2015 von der Stadt einen Brief. Darin wurde angekündigt, dass der Mietzins von 350 auf 618 Franken pro Monat erhöht wird, also um 77 Prozent. Im letzten Absatz des Schreibens steht: «Aufgrund des Sparauftrages des Grossen Gemeinderates müssen wir die Mietzinsbasis = Mietpreis/Quadratmeter anpassen.»

Fromme Wünsche und reale

Auswirkungen

Ein Kanton, der in den letzten Jahren die Steuersätze für Unternehmen kontinuierlich gesenkt hat, ist Luzern. Das Resultat? Die Einnahmen sind in den Keller gesunken. Die angeblich angestrebte dynamische und nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft durch die Steuersenkungen entpuppte sich im besten Fall als frommer Wunsch. Ganz real sind aber die Folgen dieser neoliberalen Politik auch im Kanton Luzern: Für das Jahr 2016 wurde beim Personal generell um ein Prozent gespart. Im Gesundheits- und Sozialdepartement und teils im Kultur- und Bildungsdepartement wurden Kürzungen von fünf Prozent durchgeführt. «Entlassungen seien dabei nicht ausgeschlossen», erklärte der Luzerner Finanzminister Marcel Schwerzmann. Weitere Sparmassnahmen: Schliessung der Fachklasse Grafik bis 2018; höheres Pensum für die LehrerInnen in den Gymnasien um eine halbe Lektion, bei der Berufs- und Weiterbildung und der Sonderschulen um eine Lektion; Verkürzung des Schuljahres um eine Woche bei den Gymnasien und der Berufs- und Weiterbildung; die Luzerner Polizei führt täglich eine Patrouille weniger durch; Kürzung der Prämienverbilligungen.

Staatliche Subventionen für die

Unternehmen

Grund der Reform ist der Druck von Seiten der EU und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. In den Erläuterungen des Bundesrats ist zu lesen: «Die steuerliche Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Einnahmen ist für die EU eine unerlaubte staatliche Unterstützung und bildet somit eine Verletzung des Freihandelsabkommens aus dem Jahr 1972 zwischen der Schweiz und der EU.» Konkret gemeint sind die sogenannten Statusgesellschaften (Domizilgesellschaften, Holdings und gemischte Gesellschaften), welche auf Kantonsebene grosszügige Steuervorteile geniessen. Zu nennen sind insbesondere der Wegfall der Gewinnsteuer, Steuererlass bei Erträgen aus Beteiligungen (Aktien und Anteilscheine), ein reduzierter Kapitalsteuersatz und die tiefere Besteuerung der Einkünfte aus dem Ausland. Mit der USR-III sollen die Statusgesellschaften abgeschafft, dafür aber neue Steuerprivilegien gewährt werden. So soll eine sogenannte Patentbox eingeführt werden. Dies erlaubt, dass «Erträge aus geistigem Eigentum» künftig in den Kantonen reduziert besteuert werden und zwar bis zu 90 Prozent weniger. Von Patentboxen profitieren praktisch nur Grosskonzerne. So war im 2014 der grösste Schweizer Patentanmelder ABB gefolgt von Nestlé, Roche und Novartis. Unternehmen, die in Bundesbern über eine äusserst starke Lobby verfügen. Eine weitere Massnahme ist der Abzug auf Forschung und Entwicklung. Die «NZZ» vom 18. Juni erklärt dies so: «Die Kantone erhalten die Möglichkeit, bei inländischem Forschungsaufwand von Firmen nicht mehr nur 100 Prozent der Kosten, sondern bis zu 150 Prozent als Geschäftsaufwand anzurechnen. Faktisch entsprechen Aufwandanrechnungen über 100 Prozent einer Subvention.» In anderen Worten: Unternehmen kriegen Geld vom Staat. Und zwar so, als dürften normalsterbliche ArbeiterInnen, die brav ihre Steuer bezahlen, 150 Prozent ihrer Kosten für die Krankenkassenprämien von der Steuerrechnung in Abzug bringen. Schon fast undenkbar, aber im übertragenen Sinne machbar für die Unternehmen dank der USRIII.

Der Kampf gegen die USRIII ist Pflicht! Die PdAS hatte das Referendum schon lange angekündigt. Getragen wird es jetzt auch von der SP, den Grünen, den Gewerkschaften und weiteren linken Organisationen und Parteien. Erster landesweiter Sammeltag ist am 2. Juli. Jede Unterschrift zählt!

Protest gegen Atomlobby

Am 19. Juni haben 6000 Menschen dem Wetter getrotzt und nahmen an der Grosskundgebung «Menschenstrom gegen Atom» in der Region Brugg teil. Die BesucherInnen reisten aus der ganzen Schweiz und dem benachbarten Ausland, insbesondere aus Süddeutschland und Österreich, an.

«Der Menschenstrom 2016 war ein voller Erfolg», freut sich Organisator Leo Scherer. Das Wetter habe zwar nicht mitgespielt – dennoch nutzte die atomkritische Bewegung den Anlass, um ihren Unmut und ihr Unverständnis gegenüber der Atomlobby zu demonstrieren. «Das ist ein starkes Signal an die Atomwirtschaft, an die Behörden und an die Politik», zieht Scherer sein Fazit. «Diese Botschaft muss erhört und im Herbst bei der Abstimmung über die Atomausstiegsinitiative deutlich bekräftigt werden.»

Regula Rytz, Präsidentin der Grünen Schweiz, sieht die Grosskundgebung ebenfalls als eigentlichen Auftakt zur Abstimmungskampagne: «Die Atomkraft verstopft den erneuerbaren Energien die Leitung, auch der Wasserkraft.» Der geordnete Atomausstieg schaffe die nötige Planungssicherheit für die Energiewende. Die Zeichen stünden gut, zeigt sich Rytz zuversichtlich: «Wir werden den Durchbruch schaffen. Wir wollen die gefährliche alte Technologie wegräumen, damit die neuen Produktionsverfahren Platz haben, rentieren können und in der Schweiz tausende von Arbeitsplätzen schaffen und sichern.» Die Energiestrategie 2050, wie sie derzeit in den Eidgenössischen Räten beraten wird, beinhalte zwar viel Positives, jedoch weise sie in zentralen Punkten entscheidende Lücken auf. Es gebe keine einzige Regelung für das Abschalten der bestehenden Atomkraftwerke, monierte Kaspar Schuler, Geschäftsführer der Allianz Atomausstieg. «Sogar die von der Atomaufsicht geforderten gesetzlichen Verbesserungen hat das Parlament abgelehnt.»

Volksabstimmung zum Atomausstieg folgt

Der vierte «Menschenstrom gegen Atom» begann am frühen Morgen des 18. Juni als Sternmarsch über drei unterschiedlich anspruchsvolle Wanderrouten in der Region des AKW Beznau – dem ältesten Atommeiler der Welt. Über 60 atomkritische Umwelt- und Friedensorganisationen, medizinische und kirchliche Kreise hatten zur Demonstration mit Schlusskundgebung im Amphitheater Windisch bei Brugg aufgerufen. Im Mittelpunkt stand die Forderungen nach der sofortigen und definitiven Ausserbetriebnahme des AKW Beznau 1. In dessen sicherheitstechnischem Herzstück – in den Wänden des Reaktordruckbehälters – wurden letztes Jahr 925 Schwachstellen entdeckt. Trotz ungeklärter Ursachen und laufender Untersuchungen beabsichtigt die Betreiberin Axpo den Reaktor Beznau 1 Ende Jahr wieder in Betrieb zu nehmen.

2016 ist ein energiepolitisch zentrales Jahr: voraussichtlich am 27. November wird die Schweizer Bevölkerung über die Initiative «für den geordneten Atomausstieg» abstimmen. Dieses Volksbegehren schreibt die Ausserbetriebnahme der Reaktoren von Beznau im Jahr 2017 fest und setzt den gesamten Atomausstieg durch die Festsetzung maximaler Laufzeiten von 45 Jahren in geordneter Art und Weise bis 2029 um.

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Tisa und TTIP: Diktatur der Konzerne

05_TisaDie Freihandelsabkommen Tisa und TTIP bedrohen die Demokratie und Souveränität der Schweiz, sagt ein neu gegründetes Bündnis. Es werden mehr Transparenz und die Offenlegung der Verhandlungen gefordert.

Am 21. Juni wurde das Bündnis «Gemeinsam gegen TTIP, Tisa & Co.» gegründet, das sich aus linken Parteien, Gewerkschaften und NGOs zusammensetzt. Für das Bündnis sind die Verträge TTIP und Tisa eine drohende Gefahr für Demokratie, Umweltschutz, Arbeitnehmerschutz, Datenschutz und den Service public. Tamara Funiciello, die frisch gewählte Präsidentin der Juso Schweiz, zeichnete ein düsteres Bild der Zukunft, falls die Verträge zustande kämen: «Nach einem Abschluss wäre nicht länger die Demokratie der entscheidende Rahmen für unser Zusammenleben, sondern die Diktatur der Konzerne. Denn beide Abkommen räumen den multinationalen Firmen zahlreiche mächtige Instrumente zur Durchsetzung ihrer Profitinteressen ein.»

Tiefere Standards

In einem offenen Brief, der an den Bundesrat adressiert ist und auch von der Partei der Arbeit (PdA) unterzeichnet wurde, formuliert das Bündnis zwei Forderungen: Erstens soll unverzüglich Transparenz über den Inhalt der Verhandlungen hergestellt werden. Die Abkommen werden momentan unter Ausschluss der Öffentlichkeit und des Schweizer Parlaments geführt, was «den fundamentalen demokratischen Werten» widerspreche, wie es im Schreiben heisst. Bisher wurde nur durch das Leaken von Informationen überhaupt etwas Konkreteres über das Abkommen bekannt. Zweitens müsse für den Abschluss der beiden Verträge zwingend das Staatsvertragsreferendum gelten. «Sollte allein das Parlament über die beiden Abkommen entscheiden können, käme dies einer unvergleichlichen Entmachtung der Bevölkerung gleich», so Funiciello. Aus der Sicht des Bündnisses haben die Abkommen verfassungsgebenden Charakter, was ein Referendum zwingend macht.

Die Verträge würden die «Etablierung einer intransparenten und nicht rechtsstaatlichen Paralleljustiz» bedeuten. Zum einen würden damit die Klagerechte von ausländischen InvestorInnen gegenüber den Staaten stark ausgebaut, zum anderen würden die Rechtsfälle vor privaten Schiedsgerichten ausgetragen. Die Folgen sind absehbar: Staaten würden sich zukünftig eher gegen Gesetze entscheiden, die die Rechte von Firmen einschränken.

Gewisse (bessere) Standards, die das Schweizer Recht für im Inland vertriebene Produkte vorschreibt, würden mit den Verträgen fallen, weil sie als Diskriminierung der ausländischen Unternehmen angesehen würden. In den USA sind Dutzende Pestizide und Tausende chemische Zusatzstoffe erlaubt, die in der Schweiz und der EU verboten sind. Die EU hat auf Druck der USA im Rahmen der TTIP-Debatte bereits darauf verzichtet, 31 neue Pestizide zu verbieten, damit die Verhandlungen erleichtert werden. Das zeigt, dass die EU selbst vor dem Zustandekommen des Abkommens ihre eigenen Standards tiefer setzt.

Deregulierung von Dienstleistungen

Stefan Giger von der Gewerkschaft VPOD sieht im Tisa-Abkommen eine besondere Gefahr für den Service public. Seit 2012 verhandeln 24 Staaten unter der Führung der USA das Tisa-Abkommen, ein «Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen». Ziel dabei ist die Deregulierung aller Dienstleistungen, von der Bildung über die Müllabfuhr bis zum Gesundheitswesen. Während Gewerkschaften und NGOs von den Verhandlungen ausgeschlossen sind, sind Wirtschaftsverbände und -lobbys hingegen vertreten. Verhandlungen über solche Verträge müssen im Rahmen der internationalen Vereinbarungen der Welthandelsorganisation (WTO) geführt werden. Giger empfindet es als Skandal, dass sich die Schweiz als Sitz der WTO an den Abkommen Tisa und TTIP beteiligt, die sich direkt gegen die WTO richten. Die Regeln von Tisa werden von den Ländern des Nordens festgelegt und in die WTO zurückgebracht. Die restlichen Länder sind dann gezwungen, diese Regeln zu übernehmen. Funiciello machte zum Schluss klar: «Wir geben hier einen Teil unserer Souveränität ab und das wollen wir nicht.»

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Die Zivilgesellschaft fordert eine Kehrtwende

Im Rahmen des internationalen Flüchtlingstags übergaben am 20. Juni zivilgesellschaftliche Organisationen Bundesrätin Sommaruga zwei Petitionen mit mehreren Tausend Unterschriften. Sie verlangen die rasche Aufnahmen von 50 000 Flüchtlingen und den sofortigen Stopp der Dublin-Ausschaffungen.

Belgeitet wurde die Petitionsübergabe mit einer Aktion, in der mittels Schwimmwesten die unmenschliche Abschottungspolitik in Europa, das zynische Rückschaffungsabkommen mit der Türkei und die daraus resultierenden menschlichen Dramen im Mittelmeer symbolisiert wurden. Der Aufruf «Für die rasche Aufnahme von 50 000 Flüchtlingen» wurde Ende April von GewerkschafterInnen aus der Westschweiz lanciert, die an der serbisch-kroatischen Grenze Zeugen der unhaltbaren Zustände auf der Balkanroute wurden. Wie Mitinitiant Alessandro Pelizzari vor den Medien erklärte, erreichte die Petition innert weniger Wochen über 10 000 Unterschriften. «Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass es in diesem Land viele Menschen gibt, die für eine radikale Kehrtwende in der schweizerischen Flüchtlingspolitik einstehen». Das sei umso wichtiger angesichts dessen, dass sich die Schweiz schon schwer damit tue, die vor einem Jahr angekündigte Aufnahme von 3000 schutzbedürftigen syrischen Flüchtlingen umzusetzen.

Mit Mut statt mit Angst

Die bei der Übergabe anwesenden Organisationen wollen sich aber nicht darauf beschränken, die Schweizer Grenzen für Schutzbedürftige zu öffnen. Luzian Franzini, Co-Präsident der Jungen Grünen, welche gleichzeitig die Petition «Für eine menschliche Flüchtlingspolitik» übergaben, führte aus, dass es ebenso wichtig sei, die Dublin-Abschiebungen sofort zu stoppen und sich mit den europäischen Grenzstaaten solidarisch zu zeigen. «Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt», so Franzini, «umso beschämender ist die aktuelle Flüchtlingspolitik, vor allem auch weil die Schweiz durch ihre Waffenexporte mitverantwortlich für die Flucht von Tausenden von Menschen ist.» Auch die Unia unterstütze die Forderungen, erklärte Präsidentin Vania Alleva: «500 Menschen sterben jeden Monat an den verschlossenen Toren Europas Tendenz steigend. Oder anders gesagt: Europa ist für den Tod von 90 Prozent aller Menschen mitverantwortlich, welche heute weltweit auf der Suche nach einem sicheren Asyl sterben.» Klar sei, dass die Gewerkschaften diesem Skandal nicht tatenlos zuschauen wollen, nicht zuletzt weil die Unia selber Mitglieder aus 169 Herkunftsländern versammle. «Für uns gilt das Recht auf eine sichere und würdige Existenz für alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft», so Alleva. Eine Ansicht, die auch von Juso-Vizepräsidentin Muriel Waeger geteilt wurde, die darauf pochte, «die politische Sackgasse, in die uns die SVP seit Jahren drängen will, um jeden Preis zu verhindern. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Flüchtlinge für unsere Gesellschaft nicht eine Last, sondern ein immenser Gewinn sind, wenn ihnen eine Chance gegeben wird.» Auch für Balthasar Glättli, Nationalrat der Grünen, muss die Schweiz «mit Mut statt mit Angst auf die aktuelle historische Flüchtlingskrise reagieren» und insbesondere aus den Lagern in Griechenland, Libanon und der Türkei mehr Flüchtlinge aufnehmen. «Wer Schlepper wirklich bekämpfen will, darf nicht mit dem Autokraten Erdogan völkerrechtswidrige Verträge abschliessen, sondern muss Flüchtlingen einen legalen Zugang zum Asylverfahren in Europa und in der Schweiz ermöglichen», so Glättli.

 

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Frankreichs ArbeiterInnen machen mobil

06_FrankreichNach Demonstrationen und Militanz kommt jetzt der Arbeitskampf: Um die drohende Reform des Arbeitsgesetzes zu verhindern, treten Frankreichs ArbeiterInnen in den Ausstand. Streiks legen Raffinerien und Häfen lahm, der öffentliche Verkehr soll folgen.

Streikunterstützung heisst Volltanken. Dieser Auffassung ist jedenfalls eine wachsende Zahl von UnterstützerInnen der französischen Sozialprotestbewegung. Ökologisch motivierte Bedenken gegen den motorisierten Individualverkehr seien vorläufig einmal zurückgestellt: Jetzt muss ein Autotank her, den man möglichst voll macht, und wenn es geht, auch noch ein paar Kanister dazu. Denn der Streik, der rund um den 20. Mai in den französischen Raffinerien begonnen hat, soll möglichst schnell seine Wirkung zeigen.

Mit dem Arbeitskampf in der petrochemischen Industrie werden nun von Seiten der Gewerkschaften und der Sozialprotestbewegungen andere Saiten aufgezogen – und zugleich eine Perspektive geschaffen, um aus dem Dilemma herauszukommen, das wochenlang darin bestand, zwischen folgenlosen «Latschdemonstrationen» – nach deren Ende man brav nach Hause geht – einerseits, und militanten Kleingruppenaktionen mit strategischer Ausrichtung auf «Glasbruch» andererseits, wählen zu müssen.

Härtere Repression gegen Proteste

Beide Optionen haben längst ihre engen Grenzen gezeigt. Auf Demonstrationen reagiert die Regierung unter dem rechten Sozialdemokraten Manuel Valls ganz offensichtlich nicht. Stattdessen hat sie, unter Rückgriff auf einen Verfassungstrick (die Anwendung des Artikels 49-3, die es erlaubt, die Sachdebatte zu einem Gesetz durch das Stellen der Vertrauensfrage zu unterbinden), die parlamentarische Opposition kurzerhand ausgeschaltet. Die Militanz der Aktionen von kleinen Gruppen ihrerseits ist indes nicht mehr steigerbar, sowohl aufgrund der brachialen Antworten des Staatsapparats als auch wegen der Notwendigkeit, unvertretbare Gewaltübergriffe auf Personen zu vermeiden. Am 18. Mai zündeten einige Individuen am Rande einer Spontandemonstration einen Streifenwagen an. Darin sassen zu diesem Zeitpunkt ein schwarzer Polizist und eine Kollegin. Der männliche Polizist zückte zunächst seine Waffe, beherrschte sich jedoch und steckte sie wieder ein, obwohl er zum selben Zeitpunkt Schläge abbekam. Am Freitag darauf wurde er, vor laufenden Kameras zu Tränen gerührt, für sein Verhalten mit einer Auszeichnung versehen. Es dürfte unschwer zu erkennen sein, wer aus dieser Aktion als politischer und moralischer Sieger hervorging.

Umgekehrt spart der Staatsapparat nicht mit ins Extreme gesteigerten Repressionsmitteln. Gegen eine Studentin, Manon Chelmy, Mitglied der Jugendorganisation der Französischen Kommunistischen Partei, forderte die Staatsanwaltschaft eine fünfjährige Haftstrafe ohne Bewährung. Bei der Räumung eines besetzten Saals in Amiens hatte sie mit ansehen müssen, wie einer ihrer Freunde von PolizistInnen gewalttätig behandelt wurde und spontan ein Saalmikrophon durch den Raum geworfen. Dieses fiel zu Boden, niemand wurde verletzt. Das irrsinnige Strafmass, das durch die Staatsanwaltschaft gefordert wurde, führte zu Petitionen und Protestbriefen.

Auch gegen die Gewerkschaften wird die Repression weiter ausgebaut. In mehreren Fällen wurden Gewerkschaftsräume polizeilich durchsucht, um im Anschluss an Demonstrationen TeilnehmerInnen zu ergreifen. Am 24. Mai drangen PolizistInnen in Räumlichkeiten der Gewerkschaft CGT in Fos-sur-Mer ein und setzte gegen die anwesenden Personen Tränengas ein. Bis dahin hatte die Polizei noch faktisch die Unverletzlichkeit von Gewerkschaftsräumen respektiert.

ArbeiterInnen im Ausstand

Die Mehrwertproduktion zu stören, indem Transportmittel oder die Treibstoffversorgung beeinträchtigt werden, erweist sich jedoch als geeigneter Ausweg aus dem Dilemma. Streiks und Blockaden in der petrochemischen Industrie erweisen sich dabei als am wirkungsvollsten.

Am Vormittag des 24. Mai erklärte die CGT, alle acht französischen Grossraffinerien würden inzwischen bestreikt. Weil die Staatsmacht aufgrund der strategischen Bedeutung der Petrochemie das Personal – unter Androhung einer Haftstrafe – jedoch zur Arbeit verpflichten könnte, wurden die Raffinerien und Treibstoffdepots vielerorts zudem von externen UnterstützerInnen blockiert. Etwa durch die HafenarbeiterInnen in Le Havre und Mitglieder der Platzbesetzerbewegung «Nuit debout».

Daraufhin löste die Polizei die Blockaden im südfranzösischen Fos-sur-Mer, und am nächsten Tag, am 25. Mai, im nordfranzösischen Douchy-les-Mines auf. Gleichzeitig entschied sich jedoch das Personal des Ölterminals am Hafen von Le Havre, über den fast die Hälfte des Rohölimports in Frankreich laufen, mit 95 Prozent Zustimmung, ebenfalls in den Streik zu treten. Am nächsten Tag folgten die Hafenbediensteten in Marseille.

Premierminister Manuel Valls mahnt seitdem dazu, nicht «der Panik» zu verfallen und keine Hamsterkäufe zu tätigen, während die soziale Opposition dazu aufruft, genau dies zu tun. Auch unsere LeserInnenschaft sei, sofern sie sich in der Nähe zur französischen Grenze befindet, etwa im Raum Basel, ausdrücklich zum Volltanken auf der westlichen Seite der Grenze aufgefordert!

Rückhalt in der Bevölkerung

Am 25. Mai wurde vermeldet, dass ein Drittel der französischen Tankstellen inzwischen vollständig oder teilweise trocken liegen würden. Bei einer Reportage in den Warteschlagen am südlichen Stadtausgang von Paris fand die liberale Pariser Abendzeitung «Le Monde» zur selben Zeit allerdings keine Personen, die auf die Gewerkschaften schimpften. Vielmehr erklärten die Befragten, dass die eben erforderlich seien, um sich durchzusetzen.

Auch in den Umfragen der bürgerlichen Meinungsforschungsinstituten vom 24. und 25. Mai gab stets eine deutliche Mehrheit von über 60 Prozent der Regierung und den Kapitalverbänden die Schuld an der «Blockadesituation». Im Vorgriff auf die am 10. Juni beginnende Fussball-Europameisterschaft, deren Eröffnung empfindlich gestört werden könnte, machen 61 Prozent bereits jetzt die Regierung für eine Beeinträchtigung verantwortlich und lediglich eine Minderheit von 37 Prozent die Gewerkschaften.

Am Wochenende vom 28./29. Mai wurde zunächst vermeldet, die Situation an vielen Tankstellen habe sich entspannt. Dies erklärt sich damit, dass die Regierung im Laufe der Woche die – normalerweise für Armeezwecke bestimmten – «strategischen Reserven» angezapft hat und alle Blockaden vor Treibstoffzwischenlagern hat räumen lassen. Die daraus resultierende Atempause für die TreibstoffanbieterInnen wird jedoch nicht ewig dauern: Ab dem 31. Mai wollen die EisenbahnerInnen in den unbefristeten, und alle vierundzwanzig Stunden in Personalabstimmungen verlängerbaren, Streik treten. Ab dem 2. Juni werden ihnen die Beschäftigten der Nahverkehrsbetriebe RATP – also der Métro- und Buslinien im Raum Paris – folgen. Vom 3. bis 5. Juni sollen zudem die Lohnabhängigen der Fluggesellschaften und Flughäfen in den Ausstand treten. Premierminister Manuel Valls hat derweil angekündigt, er würde dennoch eisern durchhalten. Der Kampf geht weiter.

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Entsorgbare BürgerInnen

01_demo-bernDer 19-jährige Christian I. wird ausgebürgert, weil er dem «Ansehen der Schweiz» schadet. Es ist das erste Mal seit 70 Jahren, dass diese Form der Ausbürgerung zur Anwendung kommt. Damit beugen sich die Behörden vorzeitig der SVP, die den Automatismus in der Justiz durchsetzen will.

In der Schweiz sind Ausbürgerungen normal. Der SBB-Mitarbeiter A. aus Angola heiratete 1998 eine Schweizerin aus Hütwangen. Im Rahmen der erleichterten Einbürgerung erhielt er ein paar Jahre später den Schweizer Pass. Die Ehe verlief nicht gut und ging 2007 in die Brüche. Als Scheidungsgrund nannte die Frau die Persönlichkeitsentwicklung ihres Ehepartners, nachdem er einer Freikirche beigetreten war. Der Präsident ihrer Wohngemeinde stellte nach der Trennung eine Anzeige wegen «Scheinehe». A. wurde vom Amt für Migration ausgebürgert. Er ist nicht der einzige. In den letzten zehn Jahren wurde 567 Menschen das Bürgerrecht aberkannt, meist wegen Verdachts auf «Scheinehe» und «falschen Angaben» bei der Einbürgerung.

«Unwürdige Elemente»

Am 10. Mai 2016 eröffnete das Staatssekretariat für Migration ein Verfahren gegen Christian I., um ihm das Schweizer Bürgerrecht zu entziehen. Der Fall von Christian I. stellt ein Novum des Schweizer Regimes im Umgang mit dem Bürgerrecht dar: Zum ersten Mal seit siebzig Jahren wird eine Person wegen «sicherheitspolitischer oder rufschädigender Vergehen gegen die Schweiz» ausgebürgert. Der 19-jährige Doppelbürger mit italienischem Pass ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Eingebürgert wurde Christian I. im Alter von acht Monaten. Der junge Mann gilt in den Medien als «Jihadist». Er soll sich 2015 dem Islamischen Staat angeschlossen haben und im syrischen Bürgerkrieg an Kampfhandlungen beteiligt gewesen sein. Sein gegenwärtiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Gegenüber dem Schweizer Fernsehen sagte der Journalist Kurt Pelda, dass der Mann umgekommen sei.

Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und darüber hinaus galt in der Schweiz das Vollmachtenregime: Mit Bundesratsbeschlüssen wurden NazisympathisantInnen ausgebürgert. Henri Guisan, Oberbefehlshaber der Schweizer Armee während des Zweiten Weltkriegs und Nationalheiliger, forderte die Ausbürgerung von «unwürdigen Elementen», die im Ausland gegen die Schweiz agierten. Der Staat müsse sich damit «vor der ausländischen Infiltration schützen». Die Ausbürgerung war ein Mittel zur politischen Säuberung und um sich unerwünschten Personen zu entledigen.

Einbürgerungsverbot für KommunistInnen

Ein Mittel, das jedoch sehr viel häufiger zu Anwendung kam, war die Verhinderung der Einbürgerung. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs konnte dies für die Verfolgten des Naziregimes tödliche Folgen haben: Achtzig Prozent der aus politischen Gründen abgewiesenen BewerberInnen damals waren zwar mutmassliche Nazis, den Rest bildeten aber KommunistInnen und GewerkschafterInnen.

In Zürich beantragte der FDP-Stadtrat Joachim Hefti 1933 zunächst erfolglos, KommunistInnen generell vom Bürgerrecht auszuschliessen. 1957 wurde schliesslich hinter verschlossenen Türen ein Antrag, der wiederum von der FDP stammte, angenommen, womit «die Aufnahme von aktiven Kommunisten ins Bürgerrecht» prinzipiell abgelehnt wurde. Das Einbürgerungsverbot blieb bis 1966 bestehen. Im Gegensatz zu den KommunistInnen gab es für Nazis nie ein offizielles Einbürgerungsverbot.

Heutzutage können die Behörden den Artikel 48 des Bürgerrechtsgesetzes von 1952 nutzen. Dieser legt fest, dass einer Person das Bürgerrecht entzogen werden kann, wenn ihr Verhalten «den Interessen oder dem Ansehen der Schweiz erheblich nachteilig ist». In Grossbritannien ist diese Praxis schon länger üblich. Seit 2006 kann der britische Innenminister eine Staatsbürgerschaft für nichtig erklären, wenn dies «dem öffentlichen Wohlergehen» diene. Seither wurden mindestens 27 Personen aus Sicherheitsgründen ausgebürgert. Theoretisch würde sich der Entscheid anfechten lassen. Bisher hat nur Hilal A. Beschwerde eingereicht. Er hatte nach seiner Ausbürgerung geklagt, ohne britischen Pass werde er staatenlos. Die britischen Behörden änderten daraufhin das Gesetz kurzerhand. Neu wird Staatenlosigkeit durch Ausbürgerung in Kauf genommen. Hilal A. verlor sein Bürgerrecht 2013 ein zweites Mal.

Justiz aushebeln

Mit der Ausbürgerung von Christian I. entledigt sich die Schweiz ihrer Verantwortung. Christian I. ist in diesem Land aufgewachsen und wurde von dieser Gesellschaft geprägt. Es ist die schweizerische, «abendländische» Kultur, die diesen jungen Mann in den «Jihad» getrieben hat.

Mit der Ausbürgerung kommen die Behörden den Forderungen der antidemokratischen SVP nach. Es ist die Fortsetzung des Prozesses, der zuletzt in der zum Glück verhinderten «Durchsetzungsinitiative» gipfelte, um die Justiz auszuhebeln und unter die Kontrolle des von der SVP dominierten Parlaments zu bringen

SVP-Präsident Toni Brunner forderte Ende letzten Jahres mit einer parlamentarischen Initiative, dass «schweizerisch-ausländischen DoppelbürgerInnen, die in der Schweiz oder im Ausland extremistische Gewalttaten verüben oder an Kampfhandlungen teilnehmen, das Bürgerrecht zwingend aberkannt wird». Man dürfe den Vollzugsbehörden dabei keinen Ermessensspielraum geben. Der Nationalrat hat die Initiative angenommen, im Ständerat wurde sie kürzlich abgelehnt – der geplante Automatismus war einer der Gründe für die Ablehnung.

Angesichts dieser Entwicklung erklärt die Tageszeitung «Der Bund» richtig: «Wer mehr als einen Pass besitzt, lebt offenbar ein Stück unsicherer. Das Ausbürgerungsgesetz schafft zwei Kategorien Bürger: einfarbige, denen nichts passieren kann, und bunte, die entsorgbar sind.»

 

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