Frankreichs politische Landschaft in Bewegung

Können sich die alternativen Linkskräfte noch auf ein erfolgversprechendes Bündnis verständigen?
Der Wahlkampf in Frankreich zur Präsidenten- und Parlamentswahl im Mai/Juni 2017 hat die politische Landschaft mit unerwarteten Wendungen in Bewegung gebracht.

Noch zu Jahresbeginn 2017 herrschte weithin die Ansicht, dass die Entscheidung bei der Präsidentenwahl im zweiten Wahlgang zwischen der Rechtsextremistin Marine Le Pen vom Front National (FN) und dem rechtskonservativen Kandidaten von Les Républicains (Republikaner), François Fillon, fallen werde. Sechs Wochen später haben sich die Gewichte beträchtlich verschoben.

Le Pen nach wie vor vorn

Die einzige Konstante scheint allerdings leider zu sein, dass den RechtsextremistInnen mit Frau Le Pen in allen Umfragen übereinstimmend mit etwa 26 Prozent im ersten Wahlgang am 23. April nach wie vor die Spitzenposition zugeschrieben wird. Mit ihrer «Anti-System»-Agitation, kombiniert mit nationalistischen Appellen an das französische Nationalgefühl und fremdenfeindlicher Demagogie gegen EinwandererInnen und Flüchtlinge gelingt es den RechtsextremistInnen offenbar anhaltend, rund ein Viertel der von den «etablierten» Parteien enttäuschten WählerInnen über ihre wahren Ziele zu täuschen.
In jüngster Zeit kamen zwar einige Enthüllungen ans Licht, wonach Frau Le Pen ihren persönlichen Leibwächter und ihre Büroleiterin in Paris rechtswidrig als «parlamentarische Assistenten» aus Mitteln des EU-Parlaments bezahlen liess. Die Anti-Betrugs-Agentur der EU (OLAF) und die französische Justiz ermitteln, die FN-Zentrale in Paris wurde von der Polizei durchsucht. Es ist aber zu befürchten, dass dies vielleicht den RechtsextremistInnen eher noch helfen wird, ihr falsches Image als «Anti-System-Partei» zu verstärken.
Angenommen wird allerdings weiterhin, dass es der FN-Kandidatin nicht gelingen kann, auch den zweiten Wahlgang zu gewinnen und tatsächlich zur Präsidentin Frankreichs gewählt zu werden. Denn bei der Stichwahl am 7. Mai gibt es nur noch einen einzigen Gegenkandidaten, auf den sich mutmasslich die Stimmen aller anderen politischen Lager vereinigen werden, sodass er die Mehrheit gegen die FN-Kandidatin hinter sich bringen kann.

Affäre Fillon

Im Lager der «bürgerlichen Rechten» hat sich die Lage aber inzwischen deutlich geändert.
Denn François Fillon, der erzreaktionäre Abtreibungsgegner und Verfechter eines scharfen neoliberalen Spar-, Sozialabbau- und Privatisierungskurs, der sich als moralischer Saubermann und Verkörperung von «Recht und Ordnung» inszenierte, hat erheblich an Zustimmung verloren. Besonders, seitdem bekannt wurde, dass er jahrelang seiner Frau Penelope einen Job als seine «parlamentarische Assistentin» mit aussergewöhnlich hohem Gehalt (bis zu 7000 Euro pro Monat) auf Kosten des französischen Staates verschafft hatte, obwohl diese in seinen Büros fast nie gesehen worden war. Das faktische Scheinarbeitsverhältnis für Frau Fillon hat den französischen Staat, Sozialabgaben und sonstige Vergütungen eingerechnet, laut «Le Monde» insgesamt fast 1,5 Millionen Euro brutto gekostet. Aber auch seine Kinder Marie und Charles hat der Papa, als sie noch studierten, zeitweise als parlamentarische MitarbeiterInnen auf Staatskosten mit insgesamt 86 000 Euro entlohnt.
Die französische Finanzstaatsanwaltschaft, die die Vorgänge untersuchte und das Ehepaar Fillon vernommen hat, hat am 25. Februar mitgeteilt, dass sie im Ergebnis ihrer Vorermittlungen angesichts der «zahlreichen bereits zusammengetragenen Elemente» nun ein gerichtliches Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Veruntreuung öffentlicher Mittel, Unterschlagung gesellschaftlichen Eigentums, Hehlerei und Abgabe falscher Erklärungen ein gerichtliches Ermittlungsverfahren beantragt hat. Der weitere Gang des Verfahrens ist also offen und hängt von den Entscheidungen der eingeschalteten Untersuchungsrichter ab. Selbst eine Gruppe führender Mitglieder der Republikaner hat angesichts der Enthüllungen öffentlich den Kandidaturverzicht Fillons gefordert. Doch dieser hat sich offenbar für die Devise «Augen zu und durch» entschieden und beharrt auf seiner Kandidatur.

Macron «en marche»

Hauptnutzniesser der «Affäre Fillon» ist derzeit offenkundig Hollandes Ex-Wirtschaftsminister und Ex-Rothschild-Banker Emmanuel Macron. Der wollte nicht im Rahmen des Parti Socialiste (PS) antreten, sondern sich mit einem neuen Firmenschild «En marche» (Auf dem Marsch) als «unabhängiger» Kandidat präsentieren. Er gibt sich als Repräsentant der «Mitte» und eines «modernen Pragmatismus», bei dem die traditionellen Trennlinien zwischen rechts und links überwunden seien. De facto will er aber im Wesentlichen die sozial verbrämte neoliberale Politik der Hollande-Valls-Amtszeit weiterführen.
Infolge der «Fillon-Affäre» wendet sich ein Teil der rechtskonservativen bürgerlichen WählerInnen nun Macron zu. Er findet aber auch Unterstützung im rechten Flügel der SozialdemokratInnen. Ebenso haben bekannte frühere RepräsentantInnen der Grünen die Wahl Macrons befürwortet. Ausserdem empfiehlt seit Kurzem auch der Anführer der bürgerlichen Liberalen, François Bayrou, nach Absprachen über eine «Allianz» mit Macron dessen Wahl.
Damit ist es Macron zumindest derzeit gelungen, Fillon den zweiten Platz im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl streitig zu machen. Beide liegen nach den letzten Umfragen mit 20 bis 22 Prozent etwa gleichauf. Macron könnte das «Kopf-an-Kopf-Rennen» gegen Fillon also gewinnen und damit als Gegenkandidat von Marine Le Pen in den zweiten Wahlgang kommen und eine reale Chance erhalten, zum nächsten französischen Präsidenten gewählt zu werden.

Rivalitäten im Lager der Linken

Auch im Lager der französischen Linken ist Einiges in Bewegung gekommen. Allerdings ist es bisher nicht gelungen, eine Einigung auf eine gemeinsame erfolgversprechende und mehrheitsfähige Kandidatur zur Präsidentenwahl zu erreichen.
Die Wahl von Benoît Hamon, eines Vertreters des linken, zum Kurs des bisherigen sozialdemokratischen Staatschefs Hollande in Opposition stehenden Parteiflügels, zum offiziellen Kandidaten des Parti Socialiste hat neue Debatten über die Möglichkeit einer solchen Einigung ausgelöst. Aber sie ist zwischen den beiden Hauptkonkurrenten um die linken Stimmen, nämlich Hamon und dem Anführer der Bewegung «La France Insoumise» (Das widerständige Frankreich), Jean-Luc Mélenchon, dessen Wahl auch von der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) unterstützt wird, bisher nicht in Sicht.
Die französischen Grünen (EELV) allerdings haben sich seit dem 24. Februar mit Hamon geeinigt, dass der EELV-Kandidat Yannick Jadot, der bei der Präsidentenwahl nur marginale Ergebnisse erreicht hätte, seine Kandidatur zugunsten von Hamon zurückzieht. Als Grundlage für das vereinbarte Wahlbündnis verfassten Hamon und Jadot eine gemeinsame 10-Punkte-Erklärung, mit der sich Hamon verpflichtet, falls er gewählt würde, eine Reihe von Forderungen der Grünen zu verwirklichen. Das in dieser gemeinsamen Erklärung skizzierte Programm signalisiert eine deutliche Abkehr vom bisherigen Kurs des PS unter Hollande und eine Einigung auf seit Langem von den verschiedenen Linkskräften verfochtene Forderungen für einen politischen Kurswechsels in Frankreich.
Zu den vereinbarten Punkten gehören u.a. der völlige Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2025, die Stilllegung erster AKWs bereits in der kommenden Legislaturperiode, der Ausstieg auch aus fossilen Energiequellen (Kohle, Öl) mit dem Ziel des Übergangs zu 100 Prozent erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2050, der Verzicht auf eine Reihe umweltschädlicher Grossbauvorhaben wie den umstrittenen Flugplatz Nôtre-Dame-des-Landes und die Eisenbahn-Schnellstrecke Lyon-Turin, die Bekämpfung von Diesel-Abgasen und das Verbot von Pestiziden. Festgeschrieben wurde aber auch die Wiederabschaffung des umstrittenen, von der PS-Ministerin El Khomri und dem früheren Regierungschef Valls durchgesetzten Arbeitsgesetzes, die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes und der Sozialhilfesätze, die Verkürzung der Arbeitszeit, die Verstärkung der Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten in den Unternehmen, der Kampf gegen Steuerflucht, der Bau von 150 000 Sozialwohnungen pro Jahr. Weitere Festlegungen sind die Aufhebung des immer noch geltenden Ausnahmezustands, die generelle Einführung des Wahlrechts für EinwohnerInnen ausländischer Herkunft, die Ablehnung von Freihandelsabkommen wie TTIP sowie die Vorlage eines Verfassungsentwurfs für eine VI. Französische Republik mit Reduzierung des Präsidialsystems und generelle Einführung des Verhältniswahlrechts, der in der Bevölkerung breit diskutiert und letztlich einer Volksabstimmung vorgelegt werden soll.
Neben dieser politisch-inhaltlichen Vereinbarung haben sich Hamon und Jadot offenbar auch darauf geeinigt, dass der PS zur nach der Präsidentenwahl anstehenden Neuwahl des Parlaments in den Wahlkreisen, in denen die Grünen bisher Mandate hatten, keine KonkurrenzkandidatInnen aufstellen wird, womit die Wiederwahl der bisherigen grünen Parlamentsabgeordneten erheblich sicherer geworden sein dürfte.

Hegemonie-Probleme

Die Einigung Hamon-Jadot reicht jedoch nicht aus, um einen Wahlsieg Hamons bei der Präsidentenwahl möglich zu machen. Denn Hamon liegt in den Umfragen derzeit bei 13 Prozent, auch mit den 2 Prozent, die Jadot bestenfalls beisteuern könnte, genügt das nicht, um auch nur in die Nähe der Umfragewerte der Konkurrenten Macron und Fillon und damit in den zweiten Wahlgang zu kommen.
Eine gemeinsame Linkskandidatur mit einer echten Chance, bei der Präsidentenwahl einer linken Mehrheit zum Sieg zu verhelfen, könnte nur entstehen, wenn auch der von dem Linkssozialisten Mélenchon geführte Block der «alternativen Linken», der in den Umfragen derzeit bei 11 bis 13 Prozent liegt und den auch die KommunistInnen unterstützen, in das Wahlbündnis einbezogen würde. Mit den 13 bis 15 Prozent der Allianz Hamon-Jadot käme eine solche Kandidatur dann auf 24 Prozent, könnte sie also Fillon und Macron überholen.
Doch dafür bestehen zumindest derzeit noch wenig Chancen. Dazu müsste die anhaltende Rivalität zwischen dem von Hamon und dem von Mélenchon geführten WählerInnenpotenzial überwunden werden. Hamon hat zwar unmittelbar nach seiner Kür zum Spitzenkandidaten des PS nicht nur Jadot, sondern auch Mélenchon zu Gesprächen eingeladen, und auch Mélenchon hat sich dazu bereit erklärt. Dennoch ist der Kontakt zwischen beiden bisher nicht über ein kurzes Telefongespräch hinausgekommen. Stattdessen wurde in jüngsten öffentlichen Erklärungen beider eher ein rauer Ton praktiziert. Mélenchon liess verlauten, dass er sich nicht an den «Leichenwagen» des PS ankoppeln wolle, und Hamon erklärte, er werde Mélenchon «nicht nachlaufen».
Es wäre falsch, für diese Rivalität nur die persönlichen «Egos» der beiden Spitzenkandidaten verantwortlich zu machen. Dahinter stehen tiefer gehende politische Probleme. Offensichtlich geht es unter anderem darum, wer bzw. welche Richtung im Lager der Linken künftig die politische Hegemonie haben würde.
Hamon geht nach seinem Sieg bei den Vorwahlen als offizieller Spitzenkandidat des Parti Socialiste ins Rennen. In seinen Vorstellungen soll wohl der PS auch künftig die Führungsposition unter den Linken innehaben. Er hat zwar zuletzt in der Vereinbarung mit den Grünen eine deutliche Abkehr vom Hollande-Kurs und eine Festlegung auf ein linkes Regierungsprogramm öffentlich deutlich gemacht. Aber es bleibt die Frage, ob damit bereits garantiert ist, dass er sich auch nach der Wahl unter dem sicher einsetzenden massiven Druck der etablierten Unternehmer- und Rechtskreise sowie der EU noch daran halten würde. Hamon will den zerstrittenen PS wieder «zusammenführen» und dabei auch den rechten Parteiflügel einbeziehen. Dem entsprechend hat er ein Wahlkampfteam berufen, in dem die VerfechterInnen seines Kurses zwar die Mehrheit haben, aber im Namen der «Wiederzusammenführung» des PS auch AnhängerInnen des früheren Hollande-Valls-Kurses einbezogen sind. Hamon möchte offensichtlich trotz seines «linken» Programms den Eindruck eines vollständigen Bruchs mit der bisherigen PS-Politik unter Hollande vermeiden. Das wirft die Frage auf, ob er sich damit nicht durch den rechen Parteiflügel erpressbar macht, bei der Realisierung seines Linksprogramms Abstriche zu machen, wenn die Rechten mit Spaltung drohen.

Mélenchon und PCF gesprächsbereit

Jean-Luc Mélenchon und der PCF-Nationalsekretär Pierre Laurent haben am 25. Februar nach einem gemeinsamen Frühstück auf einer gemeinsamen Pressekonferenz – dem ersten gemeinsamen öffentlichen Auftritt beider seit Wochen – übereinstimmend betont, dass sie für Gespräche mit Hamon offen bleiben. «Ich wende mich an Hamon mit gutem Willen. Wir wollen reden. Aber wir wollen Garantien», erklärte Mélenchon. «Wir werden nicht aufhören, Gesten guten Willens zu zeigen», betonte auch Laurent, aber ein «Anschluss» (an den PS) sei «kein Bestandteil der Kultur der KommunistInnen». Laurent erinnerte daran, dass er und der PCF sich seit einem Jahr für eine politisch-inhaltliche Vereinbarung zwischen allen Linkskräften als Grundlage gemeinsamer Kandidaturen sowohl zur Präsidenten- wie zur Parlamentswahl eingesetzt haben. Ein politischer Pakt für eine linke Mehrheit ist seiner Ansicht nach wohl nach wie vor die entscheidende Voraussetzung für ein Bündnis. «Wenn es ein Treffen der Linken gibt, wird der PCF sicherlich mit am Tisch sitzen. Aber es braucht Garantien. Die FranzösInnen haben Zweifel, und sie haben recht damit. Schon François Hollande hat eine Wende versprochen und schon am Tag nach seiner Wahl den Rückwärtsgang eingelegt.»
Offensichtlich liegt also rund acht Wochen vor dem ersten Wahlgang am 23. April, anders als es zu Jahresbeginn aussah, der Sieg einer linken Mehrheit bei der Präsidenten- und Parlamentswahl in Frankreich noch im Bereich des Möglichen. Aber der Weg dahin dürfte gewaltige Anstrengungen zur Verständigung zwischen den Linkskräften erfordern, auch über Garantien gegen eine Wiederholung des Debakels unter Hollande. Und ob diese Bemühungen letztlich erfolgreich sein werden, ist derzeit nicht mit Bestimmtheit abzusehen.

Update: Die beiden Kandidaten der Linken, Hamon und Mélenchon, haben nach einem Treffen angekündigt, dass sie eine vereinte linke Kandidatur ablehnen und beide im Rennen um die französische Präsidentschaft bleiben werden.

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Gewonnen!

Die Unternehmenssteuerreform III (USRIII) ist versenkt und der erleichterten Einbürgerung für die Drittgeneration wurde zugestimmt. Ein perfekter Abstimmungssonntag; es gibt Grund zum Feiern. Doch berauschen sollte sich die Linke dabei nicht zu sehr und es ist sinnvoll, auch Genosse Karl Marx an die Siegesparty einzuladen.

Es wurde nicht mal knapp! Und das ist die grösste Überraschung bei der Abstimmung über die USRIII, die mit 59,1 Prozent Nein-Stimmen begraben wurde. Wunderbar! «Wir haben den neoliberalen Angriff abgewehrt», hält Gavriel Pinson, Präsident der Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS), mit Freude fest und fügt hinzu: «Dies ist umso bemerkenswerter, da die Unternehmen Millionen von Franken in ihre Kampagne investiert haben. Sie wussten genau, was für sie auf dem Spiel stand.» Wie unappetitliche die Kröte ist, die nun jene schlucken müssen, die von einem Ja zur USRIII profitiert hätten, ist am Abstimmungsabend schonungslos in der Onlineausgabe der «NZZ» dokumentiert: «Dieser Scherbenhaufen ist imposant. Fast fünf Jahre werkten die Behörden an der Unternehmenssteuerreform III. Sie zimmerten eine fürwahr riesige Kiste – wahrscheinlich die komplizierteste und am stärksten verästelte Gesetzgebung, die je in der Schweiz zur Abstimmung gelangte. (…) Aber die Deutlichkeit des Ergebnisses frappiert ohne Zweifel.» Oder um es mit den Worten des Präsidenten der PdAS auf den Punkt zu bringen: «Es ist eine Ohrfeige für das bürgerlich dominierte Parlament und den Bundesrat.»

Die Gründe des Neins

Was führte zu diesem überraschend deutlichen Nein? «Die Menschen haben begriffen, und vor allem eben auch der sogenannte Mittelstand, dass sie die Rechnung für die Steuergeschenke an die Unternehmen zahlen müssen», hält Gavriel Pinson fest. Das war sicher ein ausschlaggebender Grund. So haben sich die SP und die Gewerkschaften in ihrer Kampagne auf den Mittelstand konzentriert. Die PdAS hingegen hat aufgezeigt, dass Steuergeschenke an die Unternehmen einen direkten Zusammenhang mit Sparmassnahmen haben, die auf Kosten der breiten Bevölkerung durchgeführt werden. Aufwind kriegte das Nein auch durch verschiedene, teilweise paradoxe Vorfälle, so wie zum Beispiel das Interview von Ex-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Die USRIII-Vorlage war quasi ihr Baby, ihr Abschiedsgeschenk, für das sie sich nochmals kräftig ins Zeug gelegt hatte. Dass dann ausgerechnet Widmer-Schlumpf, die «Schöpferin» der Vorlage, zum Nein aufrief, war für das Ja-Lager ein harter Schlag. Dann veröffentlichte die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) wenige Tage vor der Abstimmung eine Untersuchung, die aufzeigte, dass die Regierung bei den Prognosen der finanziellen Auswirkungen bei Abstimmungsvorlagen sehr oft daneben liegt. Pikant dabei: Auslöser für die Untersuchung war die USRII aus dem Jahr 2008. In der Botschaft dazumal waren die Steuerausfälle massiv unterschätzt worden. Im Bericht schreibt die EFK, die Steuerverwaltung sei davon ausgegangen, dass die Steuerreform teuer werden könnte. Trotzdem habe sie «aufgrund politischen Drucks» (!) auf eine Veröffentlichung der Zahlen zu den Steuerverlusten in Milliardenhöhe verzichtet. Eine Tatsache, die für das Ja zur USRIII wenig bis gar nicht förderlich war. Wie weiter? Das Parlament muss nun eine neue Vorlage erarbeiten. Für die PdAS ist dabei klar, dass «die Interessen der breiten Bevölkerung im Zentrum stehen müssen und nicht die Profitinteressen der multinationalen Unternehmen». Sie fordert eine soziale Umverteilung von oben nach unten, denn «nur Reiche können sich einen armen Staat leisten». Dabei müssen die öffentlichen Finanzen mit einer Steuerpolitik gestärkt werden, die zu höheren Einnahmen führt, vor allem für die Gemeinden und Kantone. «Die Profiteure des Finanzkapitalismus müssen an den Kosten des nötigen sozialen und ökologischen Umbaus der Gesellschaft beteiligt werden», schreibt die PdAS und gibt so die Richtung an, in welche die Reform für sie zu gehen hat.

Gedanken der herrschenden Klasse

Dass es für die Linke ein Sieg auf der ganzen Linie wurde (was ja sehr selten der Fall ist), sorgte das Ja zur erleichterten Einbürgerung für «AusländerInnen» der dritten Generation. Ganz ehrlich: Alles andere, also ein Nein in dieser Frage, hätte ein Armutszeugnis für das Land bedeutet, ein Absinken in die erbärmlichen Niederungen der Nein-Kampagne. Für die PdAS ist der Volksentscheid ein «Schritt in die richtige Richtung». Die Partei bedauert aber, dass zu wenige Menschen von der Erleichterung profitieren können, da im Parlament die Bürgerlichen Einschränkungen in der Vorlage durchsetzen konnten. Die neue Regelung betrifft jährlich 4000 bis 5000 Jugendliche, deren Grosseltern in die Schweiz eingewandert waren. Vergleicht man diese Zahl mit den gut zwei Millionen AusländerInnen, die in der Schweiz leben, wird klar, dass keine Rede von einer «unkontrollierten Masseneinbürgerung» sein kann, wie die SVP es in ihrer beschämenden Kampagne behauptet hatte. Trotz dem deutlichen Ja bleibt aber bedenklich – und das ist leider das Resultat der Nein-Kampagne –, dass fast eine Million Stimmberechtigte die Vorlage ablehnten.

Die Linke hat am 12. Februar gewonnen. Das kann für einmal so festgehalten werden und das macht Freude. Es darf und soll gefeiert werden. Berauschen sollte man sich vom Sieg jedoch nicht lassen. «Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche herrschende Gedanken, d.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht», lehrt uns Karl Marx. Und an dieser gesellschaftlichen Tatsache hat sich nach dem erfolgreichen Abstimmungssonntag nichts geändert. Es wäre daher sinnvoll und ratsam, auch Genosse Karl Marx an die Siegesparty einzuladen.

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Hoffnungen für Nekane

Die Baskin Nekane Txapartegi sitzt seit bald einem Jahr in Zürich im Gefängnis. Sie kämpft gegen ihre Auslieferung an Spanien, wo sie bestialisch gefoltert wurde. Dies bestätigt nun auch ein Gutachten.

Am Freitag, 10. Februar, haben in vielen Städten und Dörfern im Baskenland erneut Angehörige und FreundInnen von politischen Gefangenen und Exilierten für deren Rechte demonstriert. In der kleinen Gemeinde Asteasu richtete sich der Blick wieder besonders auf Nekane Txapartegi, die aus diesem Ort mit 1500 EinwohnerInnen stammt und bekanntlich seit fast einem Jahr in Zürich im Knast sitzt. Sie kämpft gegen ihre Auslieferung an Spanien, wo ihr vorgeworfen wird, Unterstützerin der baskischen Untergrundorganisation Eta zu sein. Die Eta hat vor fünf Jahren den bewaffneten Kampf für ein unabhängiges, vereintes und sozialistisches Baskenland definitiv eingestellt. Txapartegi wird in der Schweiz von verschiedenen Organisationen und Gruppen aktiv unterstützt.

Expertise mit klaren Ergebnissen

Noch sei erstinstanzlich keine Entscheidung über das Auslieferungsgesuch und ihren Asylantrag gefallen, erklärt ihr Anwalt Olivier Peter dem vorwärts. Es sei ein Vorgang, der «tatsächlich länger als gewöhnlich dauert», sagt er. Der Anwalt erwartet eine Entscheidung in den «nächsten Wochen». Die Verzögerungen hängen mit den Gutachten über ihre Glaubwürdigkeit zusammen, denn sie erhebt Foltervorwürfe gegen Spanien. Die Anwälte der 44-jährigen Baskin haben den Wiener Psychiater Prof. Dr. Thomas Wenzel und den türkischen Rechtsmediziner Dr. Önder Özkalipci mit Expertisen beauftragt. Hoffnung macht die Klarheit der Expertenaussagen. Nach der Begutachtung von Txapartegi im Gefängnis und nach dem Studium der medizinischen Dokumentation, kommen sie zum Ergebnis, dass Txapartegi gefoltert wurde. «Unsere Befunde bestätigen in den Schlussfolgerungen den Folterbericht der Betroffenen», schreibt Wenzel. Özkalipci erklärt, dass er unter Betrachtung der psychologischen Diagnosen und den belegten physischen Befunden zum Schluss kommt, dass «sie in den zehn Tagen der Verhaftung in Kontaktsperre zwischen dem 9. und 19. März 1999 gefoltert wurde.» Die beiden Experten führten ihre Untersuchungen anhand des so genannten Istanbul-Protokolls durch. Es ist das international anerkannte Handbuch für die «wirksame Untersuchung und Dokumentation von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung oder Strafe». Es wurde von 75 ÄrztInnen, PsychologInnen, MenschenrechtsbeobachterInnen und JuristInnen aus 40 Organisationen und 15 Ländern verfasst, die auf Folter spezialisiert sind. Özkalipci, der in Genf lebt, ist Co-Autor des Protokolls und Wenzel ist Herausgeber mehrerer Bücher zum «Istanbul-Protokoll».

Nekane ist stark

Zu den Dokumenten gehört auch der Bericht des Aufnahmearztes im Gefängnis, der einige Folterspuren dokumentierte. Das ist selten, doch ihr Zustand war extrem schlecht, nachdem die Guardia Civil sie übergeben hatte. Die WärterInnen baten die Mitgefangene Lourdes Txurruka, bei ihr zu bleiben, da sie «völlig zerstört» gewesen sei. Im Interview mit dem Autor erklärte Txapartegi nach ihrer Freilassung, sie habe verschiedene «Geständnisse» auswendig lernen und zitieren müssen. Diese wurden an jene «Geständnisse» angepasst, die andere unter Folter gemacht hatten, die mit ihr verhaftet worden waren. Aufgrund dieser Aussagen unter Folter drohten Txapartegi elf Jahre Knast, was sie zur Flucht trieb. Der Oberste Gerichtshof senkte ihre Strafe auf fast sieben Jahre und machte aus dem angeblichen «Eta-Mitglied» eine «Unterstützerin».

Nach Auskunft von Familie und FreundInnen ist Txapartegi stark, doch sei die Inhaftierung eine enorme Belastung. Sie durchlebe immer wieder die Foltertage, weil vieles sie täglich an die traumatischen Erlebnisse erinnere. Sie sowie ihr Anwalt hoffen darauf, dass die Schweiz die Uno-Menschenrechtskonvention achtet und sie nicht an Spanien ausweist. Dass Txapartegi gefoltert wurde, sei «inzwischen unangreifbar». Die Schweiz befindet sich in einem diplomatischen Dilemma, denn sie müsste gegen den Rechtshilfevertrag mit Spanien verstossen und zudem anerkennen, dass in dem EU Land Spanien gefoltert wird. Allerdings stünde sie damit nicht alleine da, denn auch Belgien verweigert die Auslieferung eines angeblichen Eta-Mitglieds wegen drohender Folter in Spanien.

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Präventiv ist immer gut?

Die Schweiz führt bundesweit zum 1. Januar 2018 die Fussfessel ein. Haftstrafen sollen dann optional als Hausarrest mit Fussfessel verbüsst werden können. Auch als Instrument zur Durchsetzung von Rayonverboten, etwa Stadionverboten für «Hooligans», sind sie im Gespräch.

Es hat schon seine Gründe, weshalb der Science-Fiction-Roman «1984» wieder über die Ladentheken geht und in den Feuilletons besprochen wird. In George Orwells Buch aus dem Jahr 1948 kommen zum Beispiel sogenannte Gedankenverbrechen vor. Dafür bestraft wird, wer von den Behörden als gefährlich fürs System eingestuft wird, auch wenn er oder sie gar keine Straftat im herkömmlichen Sinne verübt hat. Erfunden hat Orwell das nicht. Während des Zweiten Weltkriegs hatte er sich für die BBC mit dem faschistischen Japan befasst. Von 1941 bis 1945 gab es dort eine Gedankenpolizei, die «GedankenverbrecherInnen» allein aufgrund einer regimefeindlichen Einstellung inhaftieren konnte, auch wenn keine politisch motivierte Straftat begangen wurde.

Vage «GefährderInnen»

Heute erwägen einige westliche Staaten, darunter die Schweiz, genau diese paranoide Bestrafungsform einzuführen. Deutschland hat am 1. Februar einen ersten Schritt in diese Richtung getan. Seit diesem Tag können sogenannten GefährderInnen Fussfesseln angelegt werden. Beschlossen wurde eine entsprechende Gesetzesänderung von Innenminister Thomas de Maizière und Justizminister Heiko Maas. Sie bezieht sich auf das Bundeskriminalamt (BKA). De Maizière drängt darauf, dass die einzelnen Bundesländer nachziehen und den Landeskriminalämtern (LKA) die gleichen Kompetenzen erteilen. Die meisten sogenannten GefährderInnen sind im Visier der LKA, nicht des BKA. Als Beispiele für «GefährderInnen» werden meist IslamistInnen genannt.

Der Begriff ist aber so vage, dass er alle möglichen Menschengruppen treffen könnte. «GefährderInnen» sind nach dem ehemaligen deutschen Innenminister Hans-Peter Friedrich «Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie erhebliche Straftaten begehen könnten». Eine genauere und justiziablere Definition ist kaum zu finden. Kann es überhaupt eine geben, die mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist? Oder mit der in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschriebenen Unschuldsvermutung? Zur Erinnerung: «Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.» Die MinisteriumsjuristInnen werden sich hoffentlich die Zähne daran ausbeissen.

Was genau ist eigentlich eine Fussfessel? Es handelt sich dabei um einen Apparat, den eine Person am Fussgelenk trägt und der mit Hilfe eines Peilsenders Signale an eine Überwachungsanstalt schickt. Fussfesseln waren in Deutschland bislang für Menschen vorgesehen, die nach der Verbüssung einer Haftstrafe von den Behörden noch als gefährlich eingestuft wurden. Das betraf zum Beispiel manche SexualstraftäterInnen. Die Bewegungen dieser Personen werden rund um die Uhr überwacht. Sie können einer Art Hausarrest unterliegen. Es wird ihnen meist untersagt, ein bestimmtes Gebiet zu verlassen oder bestimmte Gebiete zu betreten. Bei Zuwiderhandlung werden sie per SMS zum Rückzug aufgefordert. Leisten sie dem nicht Folge, wird die örtliche Polizei kontaktiert.

Outsourcen, Kosten sparen

Die Schweiz führt die Fussfessel bundesweit zum 1. Januar 2018 ein. Haftstrafen zwischen zwanzig Tagen und zwölf Monaten sollen dann optional als Hausarrest mit Fussfessel verbüsst werden können. Ausser Acht bleiben dabei Erfahrungen, die in Frankreich gemacht wurden. Dort ist der Einsatz einer Fussfessel auf maximal sechs Monate beschränkt, da es in einer Testphase nach diesem Zeitraum öfter zu «Ausfällen» gekommen sei, die Bewegungseinschränkung häufiger verletzt wurde. Als Grund dafür gilt, dass der oder die Gefangene sich mangels realer Gitter, WärterInnen und Gefängnismauern den Freiheitsentzug tagtäglich selbst vorschreiben muss. Man kann sich vorstellen, wie gross der psychische Aufwand dieser Selbstdisziplinierung ist. Die Repressionsarbeit wird zu einem Grossteil an die bestrafte Person outgesourct, was auch Kosten spart. Ein Tag Fussfesselgefangenschaft kostet den Staat dem Vernehmen nach etwa 70 Franken, ein Tag Haft dagegen 300 Franken. Doch nicht nur Haftstrafen sollen in der Schweiz auf diese Art ersetzt werden. Fussfesselkontrollen sind auch als Instrument zur Durchsetzung von Rayonverboten, etwa Stadionverboten für «Hooligans», im Gespräch. Man braucht nicht viel Fantasie dafür, sich vorzustellen, wie immer grös-sere Gruppen von «GefährderInnen» per Fussfessel von einer immer grösseren Anzahl von Orten ferngehalten werden.

Ob Fussfesseln jemals eine Straftat verhindert haben, ist schwer zu eruieren. Leichter festzustellen sind die vielen Fälle, in denen sie nutzlos waren. Zum Beispiel war einer der beiden Islamisten, die vor einem halben Jahr im französischen Saint-Étienne-du-Rouvray einen Priester getötet und einen Kirchgänger schwer verletzt haben, mit einer Fussfessel überwacht worden.

Eine Vorlage ist unterwegs

Während kürzere Haftstrafen in der Schweiz also künftig als Hausarrest mit Fussfessel verbüsst werden können, werden in Sachen «GefährderInnen» andere Saiten aufgezogen. Auch andere als in Deutschland. Für so genannte GefährderInnen wird die Einführung einer «Präventivhaft» erwogen. Sie wird auch euphemistisch überall so genannt. Präventiv klingt ja immer gut und sinnvoll. Der «Tages-Anzeiger» schreibt: «Für Hans-Jürg Käser, Präsident der Konferenz kantonaler Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD), genügt es nicht, dass Jihadisten vom Nachrichtendienst und kantonalen Staatsschutzorganen überwacht werden. Es müsse auch die Möglichkeit geben, jemanden präventiv in Haft zu setzen, sagte Käser gegenüber der Sendung ‹10 vor 10›.» Eine Gesetzesvorlage hat der Bundesrat laut «NZZ» bereits in Aussicht gestellt. Mitte Jahr werde mit einer Vernehmlassungsvorlage gerechnet: «Wie weit er die Strafbarkeit ins Vorfeld von eigentlichen Terrorakten verlegen will, bleibt aber offen.»

In Umfragen kommt die «Präventivhaft» gut an. Umso wichtiger sind jetzt die, die noch einen rechtsstaatlichen Riecher dafür haben, wo «Vorfeld» aufhört und wo «Terrorakt» anfängt.

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Sieg! Die USRIII ist deutlich gescheitert!

Karl-MarxDie Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) ist über das Nein zur Unternehmenssteuerreform III (USRIII) hoch erfreut und gleichzeitig auch erleichtert. Sie hat von Beginn weg diese neoliberale Vorlage bekämpft, die zu Steuergeschenken von über vier Milliarden Franken für die Unternehmen geführt hätte. Die PdAS hat in ihrer Kampagne aufgezeigt, dass Steuergeschenke an die Unternehmen einen direkten Zusammenhang mit Sparmassnahmen haben, die auf Kosten der breiten Bevölkerung durchgeführt werden.  Gavriel Pinson, Präsident der PdAS, hält mit Freude fest: «Wir haben den neoliberalen Angriff abgewehrt. Dies ist umso bemerkenswerter, da die Unternehmen Millionen von Franken in ihre Kampagne investiert haben. Sie wussten genau, was für sie auf dem Spiel stand. Aber wir dürfen uns jetzt nicht auf Lorbeeren ausruhen. Der Kampf geht weiter.»

Das Parlament muss nun eine neue Vorlage erarbeiten. Für die PdAS ist dabei klar, dass die Interessen der breiten Bevölkerung im Zentrum stehen müssen und nicht die Profitinteressen der multinationalen Unternehmen. Wir fordern eine soziale Umverteilung von oben nach unten. Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten! Die öffentlichen Finanzen sind mit einer Steuerpolitik zu stärken, die zu höheren Einnahmen führt, insbesondere auf kantonaler und kommunaler Ebene. Die Profiteure des Finanzkapitalismus müssen an den Kosten des nötigen sozialen und ökologischen Umbaus der Gesellschaft beteiligt werden. In diese Richtung muss für die PdAS eine neue Vorlage für die Unternehmenssteuerreform gehen.

Die PdAS will soziale Sicherheit für alle und soziale Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit bedeutet unter anderem gleiche Teilhabe an Demokratie, Bildung, Arbeit, Kultur und gleicher Zugang zur öffentlichen Grundversorgung. Wir fordern daher konkret:

  • Die Erhöhung der Gewinnsteuer bei Kapitalgesellschaften
  • Die radikale Erhöhung der Grundstückgewinnsteuer
  • Die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen
  • Die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer
  • Die Harmonisierung der Steuersätze von Gemeinden und Kantonen
  • Die Vergesellschaftung und somit die demokratische Kontrolle zunächst der Banken und Versicherungskonzerne
  • Die Erhöhung der Steuern auf Grossvermögen

 

Erleichterte Einbürgerung

Sehr erfreut ist die PdAS auch über das Ja zur erleichterten Einbürgerung für Personen der dritten Generation. Die neue Regelung betrifft jährlich 4000 bis 5000 Jugendliche, deren Grosseltern in die Schweiz eingewandert waren. Vergleicht man diese Zahl mit den gut zwei Millionen AusländerInnen, die in der Schweiz leben, wird klar, dass keine Rede von einer «unkontrollierten Masseneinbürgerung» sein kann, wie die SVP es in ihrer beschämenden Kampagne behauptet hatte.

Für die PdAS ist dieses Ja der Stimmberechtigten ein Schritt in die richtige Richtung. Jedoch kommen wegen den Einschränkungen in der Vorlage, die von den Bürgerlichen im Parlament durchgesetzt wurden, zu wenige Personen in den Genuss dieser erleichterten Einbürgerung. Für uns sind alle Menschen, die hier in der Schweiz geboren wurden, fester Bestandteil dieser Gesellschaft. Es ist ein Hohn, dass die Personen der zweiten Generation beweisen müssen, «integriert» zu sein, um ihre politische Rechte dank dem Schweizer Pass ausüben zu können.

 

Zum Bundesbeschluss über die Schaffung eines Fonds für die Nationalstrassen und den Agglomerationsverkehr hat die PdAS die Stimmfreigabe beschlossen und nimmt den Volksentscheid zur Kenntnis.

Aufruf zur Teilnahme an den 19. Weltfestspielen der Jugend und Studierenden

ru2017logoVom 14. bis 22. Oktober werden in Sotschi in Russland die 19. Weltfestspiele der Jugend und Studierenden stattfinden. Wir möchten alle Interessierten dazu aufrufen, eine Delegation aus der Schweiz zu bilden und gemeinsam am Festival teilzunehmen.

Am 4. März veranstalten die Kommunistische Jugend der Schweiz (KJ) die erste Vorbereitungssitzung. Wir treffen uns um 14:15 Uhr im Raum der PdA Bern im 1. Stock der Brasserie Lorraine (Quartiergasse 17, 3013 Bern). Alle interessierten Personen und Organisationen sind herzlich eingeladen

 

Das Festival ist einerseits dem 100. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution, andererseits den ersten Weltfestspielen gewidmet. 2017 jährt sich nämlich auch zum 70. Mal die Austragung des ersten internationalen Jugendfestivals, das 1947 in Prag stattfand. Damals kamen 17’000 Delegierte aus 72 Ländern unter der Losung «Jugend, vereinige dich für dauerhaften Frieden» zusammen. Seither fanden 17 weitere Festivals statt. Die letzten Weltfestspiele fanden 2010 in Pretoria (Südafrika) und 2013 in Quito (Ecuador) statt.
Das Festival soll zudem eine Reaktion auf die Verschärfung der Krise des Kapitalismus, auf die Ausweitung der Kriege überall auf der Welt sowie auf den gegenwärtigen Aufschwung des Faschismus darstellen. Seit 1947 sind die Weltfestspiele ein grosses Treffen der antiimperialistischen und demokratischen Jugend der Welt. Hier treffen sich junge KommunistInnen, Linke, GewerkschafterInnen und Aktive von nationalen Befreiungsbewegungen, um sich über die Kämpfe in ihren Ländern auszutauschen und um miteinander zu feiern, um gegen den Imperialismus zu demonstrieren und um Kraft und Selbstvertrauen mit nach Hause zu bringen.
Wir würden die Weltfestspiele gerne auch als Gelegenheit nutzen, um das Land der Oktoberrevolution kennenzulernen, und möchten eine Rundreise an die historischen Stätten des Sozialismus organisieren.

Kommunistische Jugend der Schweiz

Gewalt gegen Frauen in der Schweiz

Gewalt_gegen_FrauenAus Anlass des 25. Novembers, des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, führte die Zeitschrift «Feminista» in Lausannes Strassen eine Sensibilisierungskampagne durch. Noch immer sind die Statistiken zu solchen Gewalttaten dramatisch. Alle zwei Wochen stirbt eine Frau – schweizweit – unter den Schlägen ihres (Ex-)Partners; und eine von fünf Frauen erleidet physische und/oder sexuelle Gewalt im Lauf ihres Lebens. Diese Zahlen korrelieren mit der Medienpolemik neulich rund um die Vergewaltigung im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Fabrice A., einen rückfälligen und mörderischen Vergewaltiger. Sie korrelieren auch mit der beängstigenden Statistik des Bundesamtes für Gesundheit, wonach einer von drei Vergewaltigern nicht ins Gefängnis muss. Sie entsprechen ebenfalls den Aussagen von US-Präsident Trump über seine frustrierte und sträfliche Lust, Frauen ohne Erlaubnis an die Genitalien zu fassen. Unsere ParlamentarierInnen haben zusammen mit anderen ExpertInnen auf diese Diskussion reagiert und ihre Meinung in der Presse kundgetan, auch Andrea Geissbühler, die neugewählte SVP-Nationalrätin. Geissbühler erklärte, dass Frauen «naiv» und «wenig verantwortungsbewusst» seien, wenn sie einen Mann nach Hause mitnähmen. Trotz des Protestgeschreis, das solche Meinungen hervorriefen, schien es niemand im Nationalrat eilig zu haben, die Sachdienlichkeit des aktuellen Gesetzes zu hinterfragen – mit der löblichen Ausnahme von wenigen RätInnen. Unsere politischen Behörden wollen lieber über den Wolf reden – merke die Ironie! – als über die Gewalt, die den Frauen angetan wird.

Wenige Anklagen
Das Schweizer Gesetz stuft die sexuelle Gewalt trotz Lücken hierarchisch ein: Eine Vergewaltigung kann nur von einem Mann via vaginale Penetration begangen werden. Andere Aggressionen werden als sexueller Zwang eingeordnet und weniger streng bestraft. Diese Vorstellung scheint noch aus der Zeit zu datieren, als die Ehevormundschaft üblich war. Sollten wir – wie in Frankreich – die Definition der Vergewaltigung auf alle Formen von Penetration mit Gegenständen und auf alle Geschlechter ausdehnen? Oder können wir für ein Gesetz wie in Kanada votieren, das sexuelle Gewalt nicht hierarchisch einordnet; wobei sich die Schwere der Taten am Grad des Zwanges misst und an der Zuhilfenahme von Drohungen, physischer und psychischer Quälerei?
Diese Fragen bestätigen uns, dass die Schweizer Gesetzgebung in ihrer Definition nicht mehr an die Wirklichkeit von sexueller Gewalt angepasst ist. Diese Tatsache verschlimmert sich, wenn wir die Gesetzesanwendung betrachten. Zunächst: die Höchststrafe von zehn Jahren wird selten angewendet. Stattdessen sind bei Verurteilungen für sexuellen Zwang Geldstrafen häufig. Dann sind die Verurteilungen auch zurückgegangen nach der Änderung des Strafgesetzes von 2007. Seit 2006 haben von 1155 Klagen 327 zu einer Bestrafung geführt; das sind weniger als ein Drittel der Klagen. Der Durchschnitt der Verurteilungen übersteigt 3,5 Jahre nicht. Schliesslich, um das Bild noch dunkler zu zeichnen, erheben nur 20 bis 30 Prozent der Opfer von Vergewaltigung und Aggression Anklage, so der Verein Viol-Secours, das Nottelefon der Romandie.
Der Einsatz des Gesetzes appelliert an seine abschreckende Wirkung, eine umso angebrachtere Befragung, als eine experimentelle Studie herausgefunden hat, dass 30 Prozent der Männer sexuelle Aggression oder eine Vergewaltigung riskierten, wenn sie sicher wären, dass sie deswegen nicht belangt würden.

Unsichtbare Vergewaltigung
Trotz ihrem vermehrten Vorhandensein sind diese Gewalttaten in der öffentlichen Politik kaum bekannt und werden oft ins Private abgedrängt. Woher kommt dieser Mangel an Anerkennung? Einen Teil der Erklärung liefert die Vergewaltigungskultur unserer patriarchalen Gesellschaft. So wird die Verantwortung für Vergewaltigungen und Aggressionen auf den Rücken der Opfer verschoben; die Schuld der Angreifer wird reduziert, wenn nicht einfach widerlegt; ganz allgemein wird diese Art von Verbrechen minimiert und banalisiert. So ist zum Beispiel in den Medien öfters die Rede von Vergewaltigung durch einen Unbekannten in einer dunklen Strasse, während doch die von einem Angehörigen begangenen sexuellen Angriffe die überwältigende Mehrheit der Fälle darstellen. Die Kultur der unsichtbaren Vergewaltigung hat einen bedeutenden Anteil an den an Frauen begangenen sexuellen Gewalttaten. Sie findet sich auch in den Medien und in den Reklamen wieder, wo die Frauen angehalten werden, sich für die Männer sexuell bereitzuhalten. Dieser Befehl wird systematisch gekoppelt mit der Verdinglichung des weiblichen Körpers. Diese Frauen entmenschlichende Kultur schafft so ein günstiges Terrain für sexuelle Gewalt.
Dennoch – die Vergewaltigungskultur beschreibt nicht das ganze Problem, denn sexuelle Gewalttaten dürfen nicht als von andern Gewaltformen gegen Frauen isoliertes Phänomen verstanden werden. Gewalttaten gehören zu einem Kontinuum von Gender-Gewalt (Gewalt zwischen den Geschlechtern). Dazu gehören vor allem sexistischer Humor, unerwünschte Annäherungsversuche, psychische Gewalt bis zu Formen extremer Gewalt, ja Mord.

Andere Formen der Gewalt
Um die Frage der Gewalt gegen Frauen wirksam zu behandeln, müssen alle Formen von Gewalt gegen Frauen mit derselben Politik behandelt werden, eine Politik, bei der auch Vorbeugen, Erziehen und Hilfe an die Opfer mindestens ebenso wichtig wie die repressive Seite sein sollten. Denn Bestrafen genügt nicht. Es braucht eine Änderung der Mentalität aller, vor allem der möglichen und aktuellen Gewalttäter, damit sexuelle Gewalt ein anerkanntes gesellschaftliches Phänomen wird und kein zwischenmenschliches Problem bleibt, einzig ans Private gebunden. Zudem würde es eine solche Politik ermöglichen, Gewalt gegen Frauen nicht einzig auf sexuelle Gewalt in der Ehe zu beschränken. Die sexuelle Belästigung bei der Arbeit, auf der Strasse, der «Mikro-Machismo», der gewöhnliche Sexismus und andere Formen der Gewalt könnten besser verstanden und in genauen und vollständigen Statistiken aufgeführt werden. Alle diese Massnahmen würden mithelfen, Gewalt gegen Frauen als eine soziale Tatsache quer durch unsere patriarchalen Gesellschaften anzuerkennen, Gesellschaften, die zu einem Gendersystem gehören, das das männliche Geschlecht zum Nachteil der Frauen bevorzugt. Leider scheint die Schweizer Eidgenossenschaft noch weit entfernt von einer solchen Bewusstwerdung zu sein. Unsere Behörden tun sich schwer damit, zu begreifen, dass ein einziges Gesetz die Ungleichheiten nicht zum Verschwinden bringt – siehe die Lohnungleichheiten. Selbst wenn alle wirklich Anstoss an gewissen extremen Fällen von Vergewaltigung nehmen, so scheint sich doch keine Änderung am Horizont abzuzeichnen. Und während die PolitikerInnen die schwierige Diskussion hinauszögern, traumatisieren die Gewalttaten der Männer die Frauen, verletzen und töten in aller Straflosigkeit und himmelschreienden Stille.