Nein zur grenzenlosen Präimplantationsdiagnostik

präAm 14. Juni entscheiden die Stimmberechtigten der Schweiz über die Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik (PID). Die Partei der Arbeit unterstützt das Referendum dagegen. Die PID ist eine medizinische Untersuchung des Embryos bei einer künstlichen Befruchtung. Sie kann verwendet werden, um Körpermerkmale wie Geschlecht, Haarfarbe und Augenfarbe sowie Erbkrankheiten und/oder Abweichungen in der Körperstruktur des Embryos zu erkennen. Bisher ist die PID in der Schweiz verboten. 2011 wollte der Bundesrat dieses Verbot lockern und wollte es Paaren mit schwerwiegenden Erbkrankheiten gestatten von der PID Gebrauch zu machen. Im Parlament wurde diese Lockerung ausgeweitet auf alle Paare, die eine künstliche Befruchtung durchführen lassen. Gegen diese Legalisierung der PID wurde sodann das Referendum ergriffen, welches die Partei der Arbeit unterstützt.

Im Sinne des Kosten-Nutzen-Denkens

Mit der PID wird es möglich werden bestimmte Embryonen anderen vorzuziehen. Diese Auswahl kann dazu führen, dass Embryonen mit einer abweichenden Körperstruktur (z.B. mit einem Down-Syndrom) systematisch verworfen werden. In diesem Moment wird darüber entschieden, welches Leben lebenswert und welches lebensunwert ist. Die Entscheidungsgrundlage bildet dabei die Leistungsgesellschaft. Auf der Befürworterseite wird damit argumentiert, dass mit der PID viel Leid bei Betroffenen und Angehörigen verhindert werden könne. Es bleibt dabei unerwähnt, dass das meiste Leid durch Stigmatisierung und Leistungsideologie entsteht. Die kalte kapitalistische Logik selektioniert die Menschen in produktive und unproduktive Kräfte, was auch bei Menschen ohne Beeinträchtigung viel Leid verursacht. Nur ein integratives Gesellschaftssystem, in welchem jeder und jede sich nach seinen Bedürfnissen entwickeln kann, würde dieses Leid verhindern.

Als weiteres Argument wird von den BefürworterInnen aufgeführt, dass die betroffenen Paare frei entscheiden könnten, ob sie zur PID greifen wollen oder nicht. Es besteht jedoch die Gefahr, dass diese so genannt freie Entscheidung schon bald einmal nicht mehr so frei sein wird. Im Sinne eines Kosten-Nutzen-Denkens könnten zukünftige Eltern schon bald einmal vor die Entscheidung gestellt werden, einer PID-Untersuchung entweder zuzustimmen oder das Risiko eines Kindes mit Behinderung in eigener Verantwortung und mit eigenen finanziellen Mitteln zu tragen. Gerade in Zeiten von Kostenoptimierung und Sparmassnahmen ist dies kein unrealistisches Szenario. Dies trifft dann wie fast immer vor allem die Familien der ArbeiterInnenklasse, für welche schon heute behinderte Kinder in finanzieller Hinsicht eine grosse Herausforderung darstellen. Die existierenden Hilfestellungen sind insbesondere für solche Familien noch immer ungenügend. Somit würde den zukünftigen Eltern am meisten geholfen, wenn sie sich keine Sorgen über die Zukunft eines behinderten Kindes machen müssten und wüssten, dass die benötigten Hilfeleistungen ohne Wenn und Aber zur Verfügung stünden.

Stigmatisierung von Behinderten

Mit der Legalisierung von PID wird der Stigmatisierung von Behinderten und generell von der Norm abweichenden Menschen Vorschub geleistet. Schon heute werden Eltern von behinderten Kinder zum Teil mit Misstrauen beäugt. Statt Unterstützung liegt der Vorwurf in der Luft, dass sie die Behinderung nicht verhindert hätten und somit vorsätzlich eine Belastung für die Gesellschaft «produziert» hätten. Abgesehen davon, dass sich nie alle Behinderungen durch pränatale Tests verhindern lassen, da die meisten Behinderungen peri bzw. postnatal entstehen, wird es immer Menschen geben, welche nicht ins Bild passen und die wirtschaftlichen Leistungsanforderungen nicht erfüllen. Wenn man bedenkt, dass die Norm durch den Durchschnitt definiert wird, bedeutet dies nichts anderes, als dass sich der Leistungsdruck auf uns alle erhöht, sobald man sich den aktuell Schwächsten entledigt.

Die Partei der Arbeit ist der Ansicht, dass es bei der Legalisierung des PID nur vordergründig darum geht, zukünftige Eltern zu entlasten. Es geht vielmehr darum, Menschen zu verhindern, die den Leistungsstandards einer kapitalistischen Gesellschaft nicht genügen.

 

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Wiederaufbau in Kobanê

Vor-einem-Wiederaufbau-muss-Kobane-wieder-sicher-gemacht-werdenVor vier Monaten befreiten die Volks- und Frauenselbstverteidigungseinheiten YPG und YPJ die Stadt Kobanê vom selbsternannten Islamischen Staat (IS). Geblieben ist eine zerbombte Stadt, kaum ein Haus steht unversehrt, ganze Strassenzüge wurden dem Erdboden gleich gemacht. Geblieben ist aber auch die Freude und der Stolz, den als unbesiegbar geltenden IS vertrieben zu haben. Für die Bevölkerung von Kobanê war klar: «Wir bauen unsere Stadt wieder auf!» Trotzdem kommt alles nur zögerlich voran. Schuld daran ist nicht zuletzt die Türkei, die alles dran setzt, das Embargo gegen Rojava aufrechtzuerhalten und die Grenze nach Kobanê möglichst dicht zu halten.

Nach 135 Tagen Belagerung konnten die YPG und YPJ den IS am 26. Januar 2015 aus der Stadt Kobanê vertreiben und somit ihr emanzipatorisches Projekt erfolgreich verteidigen. Auch wenn Kobanê schon lange keine Schlagzeilen mehr macht, ist der Krieg nicht vorbei. Die Front ist nun etwa 50 Kilometer von der Stadt entfernt, und nach wie vor ist der Kanton Kobanê von allen Seiten vom IS umzingelt, bis auf die Grenze mit der Türkei. Die YPG und YPJ befreien ein Dorf nach dem anderen, doch alle befreiten Gebiete müssen zuerst sorgfältig nach Minen und vom IS gelegten Sprengfallen untersucht werden, bevor die Bevölkerung zurück kann. Zurzeit häufen sich die Gerüchte, dass die türkische Regierung in Syrien einmarschieren und eine Pufferzone einrichten möchte, offiziell um den syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Diese Pufferzone, mit der der türkische Staatspräsident Erdogan bereits letzten Herbst drohte, richtet sich auch diesmal nicht gegen den IS, sondern primär gegen das selbstverwaltete Projekt in Rojava und die KurdInnen in der ganzen Region.

Was viele im Herbst leise wünschten, wurde lauthals Ende Januar verkündet: «Wir sehen uns zu Newroz in Kobanê!» Das kurdische Frühlingsfest, das seit Jahren auch als politisches Symbol des Widerstandes gilt, konnte zwar nur im kleinen Rahmen von ein paar Tausend Menschen in Kobanê gefeiert werden – und erst noch unter strömendem Regen. Doch dieser Tag war unvergesslich. Über eine Million Menschen wären gekommen, wenn die Türkei nicht die Grenze zugemacht hätte; auch illegal war es um den 21. März besonders schwierig rüber zu kommen. Zudem wurde die Lage als zu gefährlich eingeschätzt: Die Hänge vom Mistenur-Hügel, ein strategisch wichtiger Punkt, sind noch voll Minen und Blindgänger. Ausserdem wurden über 40 Personen in Haseke (Kanton Cizîre) durch einen Selbstmordanschlag des IS während der Newrozfeier am 20. März umgebracht. Deshalb wurde zwar beschlossen, das Newrozfest durchzuführen, aber nur mit den Leute von Kobanê selbst, am westlichen Stadtrand, wo der IS nie vordringen konnte und es somit keine Minen hat.

Newroz in Kobanê

Trotz Regen und Kälte ist die Stimmung feierlich, überall wird getanzt. Als dann aber ein Laientheaterensemble und einige Guerilla-KämpferInnen ein Stück über den Widerstand von Kobanê spielen, wird die Stimmung augenblicklich schwermütig. Sie spielen nach, wie die Bevölkerung fliehen musste, die Angst und Verzweiflung sind deutlich spürbar, fast zu real, neben mir weint ein gestandener Herr und wohl kein Auge bleibt ganz trocken. Alle folgen gebannt den Ereignissen, voller Sorge, obwohl wir ja alle wissen, dass es gut ausgehen würde.

Der Krieg und die Trauer sind ständige Begleiter, doch jedes Fest, jedes Lachen, jeder Tanz und jedes Lied sind kleine Akte des Widerstandes gegen den IS, der solche Tätigkeiten als Blasphemien betrachtet und strengstens verbietet. Als später eine kurdische Rockband ihr Bestes gibt, fordert uns eine junge Kämpferin zum Tanzen auf, ihr Gesicht strahlt und ihre Energie steckt alle an. Vergessen die nassen Kleider, wir tanzen im Schlamm wie an einem Open-Air. Hevala Rûken, so ihr Name, habe auch in den schlimmsten Zeiten gelacht und den anderen Mut gemacht, erzählt uns Mustafa Ali. Er ist Journalist bei der kurdischen Nachrichtenagentur ANHA und lebt in Kobanê. Er ist fast die ganze Zeit in der Stadt geblieben und gehörte somit zur kleinen Gruppe lokaler JournalistInnen, die die Welt damals über die Geschehnisse in Kobanê auf dem Laufenden hielten. Im improvisierten Pressezentrum betreuten sie auch die wenigen ausländischen JournalistInnen, sorgten für ihre Sicherheit, brachten sie zur Front, organisierten GesprächspartnerInnen, dolmetschten die Interviews – und tun dies auch heute noch.

Mustafa Ali hat uns die Stadt gezeigt, die Kriegsschauplätze. Er erzählt vom Mut der KämpferInnen, die die Stadt auch dann verteidigten, als der Rest der Welt den Sieg des IS voraussagte. Stolz in seiner Stimme, aber auch Trauer, viele sind gefallen. Wir laufen durch die Ruinen, gewisse Strassenzüge sind vollkommen zerstört, andere Quartiere sind besser dran, doch überall sind Einschusslöcher, die Strassen voller Schutt und kaputtem Mobiliar, da eine zerfetzte Bibliothek, dort ein zerbombter Coiffeursalon, überall Spuren des früheren Alltags zwischen den Trümmern. Ein Bagger aus der Stadt Amed (Diyarbakir auf Türkisch) fährt an uns vorbei, die Männer tragen Handschuhe und Masken, ein ekelhafter Geruch begleitet sie, sie räumen IS-Leichen weg. Noch heute, zwei Monate nach unserem Besuch, werden Leichen gefunden.

Wir treffen immer wieder auf Menschen, die vor Kurzem zurückgekehrt sind. Sie tragen Schutt weg, retten, was noch irgendwie brauchbar ist aus den Trümmern, und versuchen ihre Häuser wieder bewohnbar zu machen. Ihr Unterfangen kommt mir oft ziemlich aussichtslos vor, zumal es an allem fehlt: Maschinen, Werkzeugen, Baumaterial; die Türkei lässt nichts rein. Aber die Leute scheint das nicht zu verunsichern: Der IS wurde vertrieben, wir sind wieder zurück, das Leben geht weiter.

Aufbruchsstimmung

Tatsächlich kehrt das Leben zurück. Die Stadt liegt in Trümmern, aber sie wirkt nicht gespenstig. Die Rückkehr hat auch eine Kehrseite: Die Vorräte an Mehl und Öl der einzigen Bäckerei reichen nicht mehr lange, jetzt wo die Leute zurückkehren, braucht es viel mehr Brot, mehr als 40 Tonnen pro Tag. Fewziya Ebdê, Ko-Präsidentin des Parlaments von Kobanê, erklärt uns in einem Telefoninterview Mitte Mai, dass sich die Situation bezüglich Lebensmittel ein wenig entspannt habe. Die Türkei lasse Lastwagen mit Nahrungsmitteln durch. Sie betont aber, dass es je nach Tagen mehr oder weniger gut funktioniere. Deshalb brauche es unbedingt internationalen Druck, damit die Türkei endlich die Grenze öffnet.

Am 2. und 3. Mai fand eine Konferenz zum Wiederaufbau von Kobanê in Amed statt. Mustafa Ali war vor Ort und sagte, dass sie sehr gut gelaufen sei. Ein Koordinationskomitee wurde gegründet, die Teilnehmenden konnten sich eine Übersicht über den aktuellen Zustand verschaffen und die notwendigen Schritte planen. Die kurdischen Gemeinden Amed und Wan (bzw. Van auf Türkisch) übernehmen den Wiederaufbau der Trinkwasser- und Kanalisationssysteme. Auch andere Städte und NGOs möchten sich beteiligen, internationale Brigaden sind geplant. Doch solange an der türkischen Grenze Willkür herrscht, kommt alles ins Stocken.

Tausend tickende Zeitbomben

SpezialistInnen sind gefragt, aber wir sehen vor allem Familien mit Kleinkindern, ältere Menschen. So viele Menschen, denen eigentlich alles fehlt, angefangen beim Dach über den Kopf. Die Nächte sind sehr kühl, es regnet immer wieder und der Wind tut noch das Seine, so dass die Kinder in der einzigen zur Zeit unseres Besuches offenen Schule den Mantel nicht ausziehen während dem Unterricht. Doch schaut man in die Gesichter der Leute, in ihre Augen, so sieht man nichts davon, nur Zuversicht und Stolz. Mustafa Ali und Fewziya Ebdê bestätigen beide, dass es bis heute so ist.

Nachdem wir die Schule besucht haben, begleiten wir ein paar internationale Aktivistinnen zu einem Gespräch mit der YPJ-Kommandantin Hevala Rengîn. Die KämpferInnen sind in der Stadt präsent, sorgen für die Sicherheit oder erholen sich von den Fronteinsätzen. Sie tragen ihre Uniformen und haben natürlich auch ihre Kalaschnikows dabei – doch sie spielen sich nie auf, sie strahlen Wärme aus, helfen mit, so dass die Stadt überhaupt nicht militarisiert wirkt, im Gegenteil. Beeindruckend ist, dass die Rolle der Frauen überall Thema ist, nicht nur bei den Kommandantinnen der YPJ. Auch die Kämpfer, auch die Menschen auf der Strasse, mit denen wir ins Gespräch kommen, erzählen uns von den mutigen Frauen und verkünden, dass dies die Revolution der Frauen sei. Es ist schön, in einem befreiten Gebiet zu sein, wo Utopien ernsthaft diskutiert werden und die Menschen an emanzipatorischen Veränderungen glauben und bereit sind, dafür zu kämpfen, auf den verschiedensten Ebenen und mit den verschiedensten Mitteln.

Gegen Ende des Gesprächs mit der Kommandantin hören wir plötzlich eine Detonation. Alle erstarren, fast wäre ich unter den Tisch gesprungen. Hevala Rengîn macht sich sofort auf dem Weg, wir folgen etwas zögernd. Sie improvisiert eine kleine Pressekonferenz für die ebenfalls angerannten JournalistInnen: «Das ist zurzeit unser grösstes Problem, darüber müsst ihr berichten. Heute wurde niemand verletzt. Aber viel zu viele Kinder sind schon gestorben, weil sie in den Trümmer gespielt haben und ein Blindgänger hochgegangen ist. Viel zu viele KämpferInnen sind schon bei der Räumung von Minen und Sprengfallen gestorben. Und das nur, weil keine MinenspezialistInnen da sind, um uns zu helfen, die Bomben sicher zu entschärfen und uns darin auszubilden.» Ich fragte mich all die Tage über: Wo bleibt die UNO? Wo die Anti-Minen-Teams? Wir überlegten uns ernsthaft, einen Anti-Minen-Hund zu kaufen und über die Grenze zu schmuggeln – erfuhren aber inzwischen, dass verschiedene NGOs am Thema dran sind. Fewziya Ebdê erzählt uns, dass ein paar SpezialistInnen da waren zur Abklärung und sie Leute vor Ort ausbilden werden. Doch konnten sie ihre Arbeit noch nicht aufnehmen. Die UNO und die internationalen Organisationen würden sich an die Anweisungen der Türkei halten, und die lauten: Jegliche Hilfe muss über die AFAD, den offiziellen Katastrophendienst der Türkei, laufen, sprich dort stecken bleiben. Die Türkei will nicht zusehen, wie mit internationaler Unterstützung ein basisdemokratisches Projekt vor ihrer Nase aufgebaut wird, das nicht nur eine Zukunftsperspektive für die Menschen in Rojava, sondern auch eine Hoffnung für die kurdischen und anderen linken AktivistInnen in der Türkei darstellt.

 

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«Streik bleibt unumgänglich»

kitaIn Freiburg legte das Team der Kinderkrippe des Kantonsspitals die Arbeit nieder, um gegen die Privatisierung ihrer Krippe zu kämpfen. Nun soll die Leiterin der Kinderkrippe entlassen werden. Der Streik fand am 31. März statt. Als die Angestellten am 27. Januar von der beschlossenen Privatisierung Kenntnis genommen hatten, versuchten sie über den Dialog eine Verbesserung zu erlangen. Doch verweigerte ihnen die Spitaldirektion jegliche Diskussion. Der Streik war deshalb für das Personal das einzige Mittel, dagegen zu kämpfen. Ein Gespräch mit dem Regionalsekretär beim VPOD Region Freiburg.

Petra Thor: Die Demonstration ist soeben zu Ende gegangen. Wie ist die Mobilisierung gelungen?

Gaétan Zurkinden: Die Beteiligung war nicht schlecht. Es kamen zirka 200 Personen, das zeigt, dass viele Leute mit der Entlassung und der Privatisierung der Krippe nicht einverstanden sind.

Diese Demonstration richtet sich gegen die geplante Entlassung einer der Streikenden der Kinderkrippe, wo ein Tag lang gestreikt wurde. Weshalb wurde in der Kinderkrippe gestreikt?

Die Leitung des Kantonsspitals hat entschieden, die Krippe zu privatisieren. Privatisieren bedeutet, dass die Qualität der erbrachten Leistungen zurückgehen wird.

Was bedeutet das konkret?

Derzeit befindet sich die Krippe im Spital selber und ist voll auf die Bedürfnisse des Pflegepersonals ausgerichtet. Das zeigen zum Beispiel die Öffnungszeiten. Die Eltern haben auch die Möglichkeit, rasch vor Ort zu sein, falls was mit dem Kind wäre.

Die öffentliche Krippe im Spital würde also geschlossen und das Personal müsste eine private Krippe ausserhalb finden?

Da es in Zukunft eine private Krippe sein wird, werden sich Rentabilitätsfragen stellen. Das heisst meist weniger Personal und eine Einschränkung der Dienstleistungen und ja, die Krippe wird ausserhalb des Spitals sein. All das bedeutet mehr Schwierigkeiten, das Familien- und Berufsleben aufeinander abzustimmen.

Haben die Angestellten der Krippe vor dem Streik bereits Schritte unternommen?

Als die Privatisierung Ende Januar bekannt wurde, haben die Angestellten direkt mit unserer Gewerkschaft, dem VPOD, Kontakt aufgenommen. Alle waren gegen den Leistungsabbau und die schlechteren Arbeitsbedingungen. Wir haben also versucht, mit der Leitung zu sprechen, mussten aber rasch feststellen, dass diese von unseren Vorschlägen nichts hielt und an der Privatisierung festhielt. Ab einem gewissen Punkt war der Streik das einzige Mittel, um der Stimme des Personals Gehör zu verschaffen.

Bisher gab es weder seitens der Leitung des Kantonsspitals noch seitens des Regierungsrates positive Reaktionen. Hat der Streik also nichts genützt?

Die Behörden wählten einen repressiven Weg. Sie wollten nicht auf uns eingehen. Das hat die betroffenen Angestellten stark verunsichert. Dann wurde auch noch die Teamleiterin der Krippe entlassen. In der Tat gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass die Behörden auf unsere Forderungen eingehen wollen.

Ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit der Entlassung von Odile Claire war, dass der Staatsrat den Streik als nicht zulässig erklärte. Wie kam er zu diesem Schluss? Immerhin habt ihr das Gespräch gesucht und der Streik betrifft klar die Arbeitsbedingungen. Wie argumentiert denn der Staatsrat?

Nun, wir befinden uns offenbar in einem Kanton, wo der Staatsrat denkt, dass streiken illegal sei. Er stützt sich dabei auf einen Artikel im Staatspersonalgesetz. Das Problem ist, dass dieser Artikel nicht im Einklang mit der Bundesverfassung ist. Dort ist das Streikrecht verankert. Obwohl der kantonale Artikel nicht verfassungskonform ist, ist er für den Staatsrat wichtig, um Streikbewegungen zu zerschlagen. Deshalb wurden auch alle unter Druck gesetzt. Man drohte ihnen schriftlich mit der Entlassung, falls sie erneut streiken würden. An Odile wollen die Vorgesetzten ganz klar ein Exempel statuieren. Sie sagen, als Teamleiterin hätte sie sich loyaler verhalten sollen als die anderen.

Heute fand eine Demonstration statt. Was sind die nächsten Schritte in diesem Arbeitskampf?

Mit dieser Demonstration haben wir uns an die Leitung des Kantonsspitals und an den Staatsrat gerichtet. Der Ball ist nun bei ihnen. Falls sie nicht korrekt reagieren, müssen wir uns erneut mobilisieren und weiter Druck aufbauen.

Gibt es auch rechtliche Wege, die begangen werden können?

Nein, nicht direkt. Es ist nun eine politische Angelegenheit. Auf der einen Seite die Behörden, die behaupten, der Streik sei illegal. Auf der anderen die Gewerkschaft, die das Streikrecht der Angestellten verteidigt. Aber klar, falls die Entlassung durchgesetzt werden sollte, bestehen für Odile juristische Rekursmöglichkeiten. Solche Verfahren dauern allerdings lange und sie könnte dabei vieles verlieren.

Viele Streiks in der Schweiz enden mit Entlassungen der Streikenden. Die ArbeiterInnenbewegung kann das Streikrecht nicht verteidigen und Kündigungen vermeiden. Führt diese Unfähigkeit bei den Arbeitenden zu Angst?

Das kommt schon darauf an. Es gab auch erfolgreiche Streiks. Wenn wir den Streik bei den Transport Public de Genève oder den Streik der Wäschereiangestellten in Marsens anschauen: beide waren ein Erfolg. Es gibt also keine allgemeinen Spielregeln. Generell ist der Streik ein nötiges Mittel, um sich zu verteidigen. Klar, wenn es für die ArbeitgeberInnen wichtig ist, etwas durchzusetzen, werden sie alles versuchen. In solchen Fällen muss auch die Gewerkschaft reagieren, um die Leute zu verteidigen. Das heisst, sie muss mobilisieren. Nur so können Niederlagen vermieden werden. Wenn man die Arbeits- und Lohnbedingungen verteidigen oder sogar Verbesserungen durchsetzen will, muss man einfach Druck aufsetzen können. Es geht hier um Kräfteverhältnisse. Diesen Druck kriegst du durch unterschiedliche Wege hin. Das kann mal eine Demonstration, eine Petition oder anderer ein Weg sein. Aber der Streik – das ist klar – bleibt ein unumgängliches Mittel.

 

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Gedränge in der Wandelhalle

Seit einigen Tagen wird das Thema Lobbyismus in den Schweizer Medien breitgetreten. Auslöser waren die zweifelhaften Machenschaften rund um eine Interpellation der FDP-Nationalrätin Christa Markwalder. Einmal mehr führt der Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit bürgerlicher Staatsgeschäfte zu hitzigen Diskussionen.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Am 21. Juni 2013 reichte die Berner FDP-Parlamentarierin Christa Markwalder im Nationalrat eine Interpellation ein. Darin stellte sie dem Bundesrat Fragen über das Verhältnis der Schweizer Regierung zum «Demokratisierungsprozess» in Kasachstan. Geschrieben hatte sie den parlamentarischen Vorstoss nicht selbst, sondern die PR-Firma Burson-Marstaller. Vermittelt wurde die Sache von einer Angestellten dieser Firma, der Lobbyistin Marie-Louise Baumann, die in der Wandelhalle, der Lobby des Bundeshauses, ein und aus geht. Soweit alles wie gehabt: Es ist keine Seltenheit, dass LobbyistInnen mit ihrem Expertenwissen Vorstösse für ParlamentarierInnen verfassen. Dummerweise hat die NZZ durch Recherchen herausgefunden, dass sich Baumanns Unternehmen für die Verfassung des Textes über 7000 Franken von einer vermeintlichen kasachischen Oppositionspartei auszahlen liess. Nur ist jene Partei gar keine waschechte Opposition im autoritär regierten Land und frisierte die Interpellation. Unter anderem wurde der Begriff «Menschenrechte» gestrichen. Zudem landeten interne Kommissionspapiere in den Händen der Partei. Darüber droht nun die blauäugige Frau Markwalder zu stolpern. Und so kam der Lobbyismus als Realität des Parlamentsalltages wieder einmal in die Schlagzeilen der grossen Medien.

Die Realität im Bundeshaus

Jedes Parlamentsmitglied im Bundeshaus hat die Möglichkeit, zwei Personen zu bestimmen, die einen privilegierten Zutritt zur Lobby erhalten. Neben persönlichen MitarbeiterInnen sind dies eben häufig Exemplare jener Gattung, die ein aufrechte Demokrat mit Skepsis begutachtet: Die LobbyistIn. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2011 kam zum Resultat, dass eine Kerngruppe von etwa 220 LobbyistInnen regelmässig im Bundeshaus anzutreffen sind. Doch die Interessensvertretung im Bundeshaus geht weiter: Die meisten ParlamentarierInnen des Schweizer Milizsystems sind mit all ihren Mandaten bei Unternehmen und Interessensgruppen im engeren Sinne nicht ungebunden. Die gescholtene Markwalder etwa ist mit einer 50-prozentigen Anstellung bei der Zurich-Versicherung im Bereich «Gouvermental Affairs» selber nahe am Lobbyismus angesiedelt. So dürfte es bloss eine Frage der Zeit sein, bis der nächste «Fall» von der Vierten Macht im Staat skandalisiert wird. Nächstes Mal stolpert dann vielleicht ein Unvorsichtiger über ein lukratives Verwaltungsratsmandat.

Grundsätzlich ist an Interessensvertretung im Parlament nichts einzuwenden, wenn man die bürgerlichen Spielregeln für vernünftig hält. Wer Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizer Gewerkschaftsbundes (SGB), wählt, der will gewerkschaftliche Interessen im Parlament vertreten wissen. Wer die Atomkraft länger am Netz haben will, der entscheidet sich für Urs Gasche, Verwaltungsrat der BKW AG in Bern. ParlamentarierInnen sind nun mal VertreterInnen bestimmter Interessen, dafür werden sie schliesslich gewählt. Und die LobbyistInnen in der Wandelhalle dürften in etwa den parlamentarischen Kräfteverhältnissen entsprechen, die nun wirklich allein vom Schweizer Stimmvolk verschuldet sind.

Zwischen Ideal und Realität

So skandalisieren die MeinungsmacherInnen auch meist nicht die Interessensvertretung an sich, sondern bestimmte Interessenvertretungen, die sich entweder ausserhalb der offiziellen Spielregeln bewegen oder aber ungebührlich über das Allgemeinwohl gestellt würden. Hier zeigt sich ein Widerspruch zwischen dem Ideal und der Realität bürgerlicher Staatsgeschäfte. Wer der Politik zustimmt, der muss auch mit den vermeintlichen Auswüchsen leben können. Schliesslich suchen sich Interessen immer ihre Kanäle und dehnen die Spielregeln dazu soweit sie können. Wer heute die Verschärfung der Regeln fordert, der wird morgen einen neuerlichen Verstoss beklagen, ohne sich über die gesellschaftlichen Bedingungen des Games Rechenschaft abzulegen. Statt in das Wehklagen über den überbordenden Lobbyismus einzustimmen, müsste eine radikale Kritik die Form der Politik in einer antagonistisch verfassten Gesellschaft zum Gegenstand haben.

Das Schweizer Allgemeininteresse

Der sozialdemokratische Nationalrat Andreas Gross sinnierte kürzlich in vollständiger Absehung von der Realität der Klassengesellschaft: «Von uns Parlamentarier wird erwartet, uns für das einzusetzen, was wir im Allgemeininteresse der Schweizer für richtig erachten. Wer nun aber einen Teil seines Lohns von einer Interessensorganisation bekommt, der denkt nicht mehr primär ans Allgemeininteresse, sondern vor allem an die Sonderinteressen jener, die ihn entlöhnen.» Das Allgemeininteresse bedeutet in einer kapitalistisch verfassten Gesellschaft immer, das Funktionieren des nationalen Gesamtkapitals sicherzustellen. Die Reproduktion der Gesellschaft setzt dies voraus. Das schliesst ein, dass auch die ArbeiterInnen (als ausbeutbare Arbeitskräfte aber auch als potenzielle Störenfriede) berücksichtigt werden müssen. Es schliesst aber auch ein, dass bestimmte Interessensverbände – etwa die mächtigsten Kapitalfraktionen – zurückgebunden werden, wenn sie den Gesamtzusammenhang, die kapitalistische Klassengesellschaft, bedrohen. Das ist das eigentlich Stabile an der bürgerlichen Staatlichkeit und das was alle bürgerlichen Regierungen unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit organisieren müssen; mit allen furchtbaren Folgen. Da könnte man das Interessensgezänk in Wandelhalle und Parlament beinahe lieb gewinnen, zumal es die reale Zerrissenheit dieser Gesellschaft deutlich abbildet.

 

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Die zahnlose Erbschaftssteuer

Die Initiative zur Reform der Erbschaftssteuer tönt gut: Ein einheitliches System für die Schweiz, keine Ungleichbehandlung der ErbInnen, Geld für die AHV. Was uns Rot-Grün und die Christlich-Sozialen servieren, ist allerdings ein wässriges Süppchen. Reiche mit bis zwei Millionen Stutz kommen ungeschoren davon, Familienunternehmen mit 50 Millionen ebenso.

«Die Erbschaftssteuerreform will das heutige System nicht auf den Kopf stellen, sondern schlägt eine gezielte Anpassung vor.» Mit diesen Worten hat es Regula Rytz, Co-Präsidentin der Grünen, auf den Punkt gebracht. Am 14. Juni wird die Initiative zur Erbschaftssteuerreform den Stimmberechtigten zur Abstimmung vorgelegt. Lanciert wurde die Initiative von SP, Grünen, Gewerkschaftsbund und – etwas verdächtig – auch von der EVP. Im Kern geht es um Folgendes: Kantonale Erbschaftssteuern werden abgeschafft, stattdessen erhebt der Bund eine einheitliche Erbschafts- und Schenkungssteuer. Zwei Drittel der Einnahmen daraus gehen an die AHV, ein Drittel bleibt bei den Kantonen. Der Steuersatz beträgt 20 Prozent. So weit, so gut; obwohl der Steuersatz auch höher sein könnte. Grossbritannien und die USA mit 40 Prozent und Frankreich mit 45 Prozent sind in dieser Beziehung deutlich mutiger.

Steuerfreie Millionen

Um es allen recht zu machen, und mit «allen» ist das Kleinbürgertum gemeint, sind verschiedene Ergänzungen und Sonderregelungen hinzugefügt worden. Erstens erlässt die Erbschaftssteuer den Reichen einen Freibetrag von 2 Millionen Franken. Ein- bis zweifache MillionärInnen dürften also steuerfrei vererben. Das ist geschickt gemacht: Letztes Jahr wurde die Steuerbonusinitative der Partei der Arbeit Zürich (PdAZ) vom Bundesgericht für ungültig erklärt, weil es zu grosse «Brüche und Sprünge bei der Besteuerung» verursache. Mit dem Freibetrag wird ein solcher «Bruch» vermieden. EinE ErbIn von zwei Millionen und einem Franken muss nur 20 Rappen Steuern zahlen. Bei der PdAZ-Initiative, wo der Steuersatz von einem Prozent wesentlich milder gewesen wäre, hätte jemand mit 2999999 Franken Vermögen nichts, jemand mit 3 Millionen sofort 30000 Franken zahlen müssen. Allerdings bedeutet dieser Freibetrag auch, dass etliche Bonzen, die über ein Vermögen von nicht viel mehr als zwei Millionen verfügen, ziemlich gut davonkommen.

Zweitens sind Eheleute und PartnerInnen von der Erbschaftssteuer befreit. Das kann einigen Multimillionärsfamilien helfen. Beispielsweise kann eine Multimillionärin mit vier Millionen Franken den Kindern und der Lebenspartnerin je zwei Millionen vermachen, ohne Steuern zu bezahlen. Stirbt dann noch die Lebenspartnerin gibt es für die ErbInnen wieder zwei Millionen; insgesamt könnten sie auf diese Weise bis vier Millionen Franken steuerfrei erben. Für reiche Homosexuelle bedeutet die Reform tatsächlich einen Fortschritt. Gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz dürfen bekanntlich rechtlich keine Kinder adoptieren, auch nicht die Kinder des oder der PartnerIn. Die nicht leiblichen Kinder von homosexuellen Elternteilen werden dadurch vom kantonalen Erbrecht teilweise stark benachteiligt. Spitzenreiterin ist diesbezüglich Basel-Stadt, wo die Erbschaft an eineN NichtverwandteN mit bis zu 49 Prozent besteuert wird.

«Ein liberales Anliegen»

Die Initiative sieht für die allseits umworbenen KMU besondere Regelungen vor. Um Familienunternehmen nicht zu gefährden, gelten für Betriebe die mindestens zehn Jahre von den ErbInnen weitergeführt werden «besondere Ermässigungen». Im Initiativtext bleibt offen, wie diese konkret aussehen, sie sollen bloss den Weiterbestand der Betriebe nicht gefährden und Arbeitsplätze erhalten. Das Initiativkomitee spricht von einem Freibetrag von 50 Millionen Franken und einem Steuersatz von fünf statt 20 Prozent auf den Rest. Landwirtschaftliche Betriebe, die in der Familie bleiben, sollen sogar völlig steuerfrei wegkommen.

EVP-Präsidentin Marianne Streiff gibt zu verstehen, dass es sich nicht um eine wirtschaftsfeindliche Initiative handelt: «Die Initianten sind ganz bewusst darauf bedacht, mit der Erbschaftssteuerreform Familienunternehmen und Bauernhöfe (…) zu schonen.» Und Parteikollege Heiner Studer sagt offen: «Tatsächlich ist es ein liberales Anliegen.»

Bürgerliche Parolen

Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften unterstützen das Vorhaben, wobei sie dabei die sozialen Aspekte der Erbschaftssteuerreform hervorheben. Die Schweiz stünde unter den OECD-Ländern in Sachen Vermögenskonzentration auf dem ersten Platz. Zwei Prozent der Schweizer SteuerzahlerInnen besitzen soviel wie die übrigen 98 Prozent, schreibt die SP in ihrem Argumentarium. Damit will sie wohl an das Motto der Occupy-Bewegung anknüpfen: Wir unteren 99 Prozent gegen das obere eine Prozent. Eine sozialistische Position ist das nicht. Zu den unteren 99 Prozent gehören in der Schweiz laut der Vermögensstatistik 2011 immerhin alle Steuerpflichtigen mit bis drei Millionen Franken und zu den unteren 98 Prozent noch Menschen mit zwei Millionen Franken Vermögen. Die Interessen von MillionärInnen dürften sich doch deutlich von denen der ArbeiterInnen unterscheiden.

Gewerkschaftsbund-Präsident Paul Rechsteiner bringt hingegen ein recht vernünftiges Argument zur Sprache, das für die Initiative spricht, namentlich die Anbindung der Steuer an die AHV: «Dass die reichsten der Erblasser mit der Erbschaftssteuer einen Zusatzbeitrag an die AHV leisten, sorgt für ein Stück Ausgleich innerhalb der betagten Generation der Bevölkerung, was umso wichtiger ist, als sich die finanziellen und sozialen Gegensätze im Alter verschärfen.» Und doch greift auch diese Seite immer wieder auf erzbürgerliche Parolen zurück. In der Gewerkschaftszeitung work stellt der Ökonom Volker Grossmann klar, dass man nicht links sein muss, um mit Ja zu stimmen: «Das ist keine Frage der Gerechtigkeit, sondern der gesamtwirtschaftlichen Effizienz.» Es geht darum «Anreize» zu schaffen, damit sich Leistung lohnt. Die «Leistungsgesellschaft» soll nicht zur Farce verkommen. Mit anderen Worten: Der Kapitalismus soll gerettet werden.

Die Initiative zur Erbschaftssteuerreform macht Kompromisse, wo sie nur kann. Um kleinbürgerliche Stimmen zu gewinnen, hat man einem sinnvollen Anliegen alle Zähne gezogen. Die Rechnung ist nicht aufgegangen: Die restlichen bürgerlichen Parteien lehnen die Initiative allesamt ab. Damit ist der Ausgang der Abstimmung wohl besiegelt. Die Partei der Arbeit hätte an ihren Prinzipien festhalten und die Nein-Parole beschliessen sollen. Eine Erbschaftssteuer mit tiefem Steuersatz und einem Freipass für MillionärInnen ist nicht unterstützenswert. Es muss nicht jeder Furz der linken Parteien mitgemacht werden.

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Die Intervention geht weiter

Mideast Saudi Arabia Air ForceSaudi-Arabien führt die Bombardements im Jemen trotz gegenteiliger Ankündigung weiter. Die Militärintervention hat mittlerweile über tausend Menschenleben gefordert sowie mehr als das Dreifache an Verletzten.

Weniger als einen Monat nach Beginn der Intervention im Jemen seitens Saudi-Arabiens verkündete die Militärführung in Riad das Ende der Operation «Sturm der Entschlossenheit». Der jemenitische Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi im saudischen Exil glaubte, «dass die wichtigsten Ziele der Operation am Boden erreicht seien, dass die Legitimität seiner Regierung gesichert sei und die Bürger Jemens nicht mehr in Gefahr wären wie zuvor». Auf sein «Ersuchen» hin sollte die Operation nun beendet werden. Wer dies als das Ende der Militärintervention interpretierte, lag falsch. Um die Präsenz der Regierung auf dem Territorium Jemens zu verstärken und dem Volk Sicherheit und Stabilität zu bringen, wurde bloss eine neue Phase der Intervention eingeläutet, die Operation «Wiederherstellung der Hoffnung». Die neue Operation bedeutet in Wirklichkeit die Fortsetzung der Luftangriffe durch die von Saudi-Arabien angeführte Kriegskoalition.

Präsident ohne Legitimation

Die Militärintervention durch die Saudis begann am 26. März und hat das Ziel, den jementischen Präsidenten Hadi, der im Januar gestürzt wurde, wieder an die Macht zu bomben. Die schiitischen sogenannten Huthi-RebellInnen, aber auch ein grosser Teil der regulären Streitkräfte im Jemen, darunter Luftwaffe und Spezialeinheiten, stehen in Opposition zum ehemaligen Machthaber. Die Mehrheit des Militärs ist noch immer dem Vorgänger Hadis treu, Ali Abdullah Saleh, der nach den Massendemonstration der jemenitischen Version des «Arabischen Frühlings» von den USA zum Rücktritt gezwungen worden war. Der gegenwärtige offizielle Amtsinhaber Hadi wurde von den Monarchien der arabischen Halbinsel und der US-Regierung zum Nachfolger bestimmt. In einer Wahl 2012 wurde er «demokratisch» legitimiert: Es ergab sich eine Zustimmung von 99,8 Prozent für Hadi, wobei er als einziger Kandidat zur Auswahl stand.

UN-gestützte Aggression

Mitte April hat sich nun auch der UN-Sicherheitsrat dazu herabgelassen, einige Worte über die saudische Aggression zu verlieren. Die Resolution, die von 14 der 15 Mitglieder des Sicherheitsrates gebilligt wurde, stellt sich auf Seiten Saudi-Arabiens und verurteilt einzig die Gewalt der RebellInnen. Während von den US-treuen Regierungen nichts anderes zu erwarten war, da die Intervention auf den ausdrücklichen Segen und die logistische Unterstützung der USA zählen kann, gibt das Verhalten Chinas und Venezuelas, die beide der Resolution zugestimmt haben, zu denken. Für China habe die «Einheit, Souveränität und territoriale Integrität» des Jemens Priorität und der Konflikt solle auf friedlichem Weg durch Dialog gelöst werden. Auch Venezuela pocht auf eine politische Lösung und kritisiert bloss, dass nicht alle Parteien in die Gespräche einbezogen werden. Eine friedliche Lösung, wie sie die beiden Länder vorschlagen, kann aber nur ein frommer Wunsch bleiben, wenn nur eine Seite dazu aufgefordert wird. Russland hat als einziges Land sich wenigstens eine Zustimmung zur Resolution verweigert. Wie der russische Vertreter richtig bemerkt, werden darin nicht beide Seiten zum Ende der Gewalt aufgerufen.

Aus der Printausgabe vom 8. Mai 2015. Unterstütze uns mit einem Abo

Post-GAV als Katastrophe?

muelligen-originalDer neue GAV für die Post ist beschlossene Sache. Syndicom und transfair sehen ihn als Erfolg. Die kleinere «Schweizerische Autonome Pöstlergewerkschaft» (SAP) hingegen spricht von einer Katastrophe, die besonders gewerkschaftliche AktivistInnen treffe, und kündigt Kampfmassnahmen an. Die Gewerkschaftsdelegation, die den neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) ausgehandelt hat, schaue «mit Zufriedenheit und einem bisschen Stolz auf das Erreichte», das «ausgewogen und akzeptabel» sei, schreibt der syndicom-Präsident Alain Carrupt in einem GAV-Extrablatt. «Eine Katastrophe» ist der GAV hingegen für die kleinere «Schweizerische Autonome Pöstlergewerkschaft» (SAP), überdies macht sie den grösseren Konkurrenzgewerkschaften heftige Vorwürfe. Was ist geschehen?

Seit August 2013 verhandelten die Post und die ihr angegliederten Unternehmen mit den beiden Gewerkschaften syndicom und transfair über einen neuen GAV. Es schien ein zähes Ringen gewesen zu sein. Über Monate wurden die Verhandlungen sogar ausgesetzt. Das allerdings darf nicht verwundern, denn der alte Vertrag ist seit 2002 in Kraft. Und vor über zehn Jahren konnte sich noch kaum jemand die heutige Wirtschaftslage ausmalen, dafür war die Umwandlung des Staatsunternehmens in eine spezialgesetzliche Aktiengesellschaft schon in vollem Gange. Eine AG ist die Post seit Neujahr 2013, den Beamtenstatus verloren die PöstlerInnen jedoch bereits 2001 mit der Inkraftsetzung des neuen Bundespersonalgesetzes.

Nun ist der neue Vertrag also unter Dach und Fach. Rund Dreiviertel der 250 Gewerkschaftsdelegierten haben in Bern für seine Annahme gestimmt, wobei die Zustimmung der Angestellten der Post AG nur 66 Prozent erreichte. Unterstellt sind dem GAV rund 60000 Angestellte der Post AG, der PostFinance AG und der PostAuto Schweiz AG sowie neu auch die ChauffeurInnen der privaten PostautobetreiberInnen. Das war eine der gewerkschaftlichen Forderungen. «Alles Gelbe» gehöre «unter ein Dach». Den neuen, manchmal auch als «modernisiert» bezeichneten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen begegneten die Gewerkschaften zudem mit dem Motto «Umbau ja – Abbau nein». Aber offenbar besteht bei den ArbeiterInnen der Post keine Einigkeit darüber, was einen «Abbau» genau ausmacht.

SAP sieht betriebliche AktivistInnen in Gefahr

Fakt ist, dass der neue GAV durchaus einige Verbesserungen beinhaltet. Im Detail sticht hier besonders die ausgedehnte Abdeckung hervor, die neu auch Lernende, Aushilfen sowie das erwähnte private Busfahrpersonal mit einschliesst. Doch bereits mit diesem Punkt waren nicht alle ChauffeurInnen zufrieden. So legte fast die Hälfte aller Berner ChauffeurInnen mittels einer Petition ihren Widerspruch ein. Grund war die Reduktion der Zuschläge für Sonntags- und Nachtarbeit, welche die oppositionellen BusfahrerInnen als eine Folge der Ausweitung des GAVs sehen.

Auf Verbesserungen können hingegen frischgebackene Mütter und Väter zählen, deren Urlaubstage merklich erhöht werden. Zudem sind die verschiedenen Lohnzulagen neu in der Pensionskasse versichert und damit rentenbildend. So viel zum Positiven.

Doch für Olivier Cottagnoud, Präsident der Basisgewerkschaft SAP, überwiegen eindeutig die Verschlechterungen. Am schlimmsten sei der Wegfall der garantierten Wiedereinstellung im Falle einer missbräuchlichen Kündigung. Künftig erhalten illegal Gekündigte 12 Monatslöhne ausbezahlt. Syndicom hält das für einen präventiven Schutz, nicht so Cottagnoud: «Für die Post ist das nicht schlimm, sie hat das Geld dazu!» Doch für die engagierten Leute an der Front sei das bedrohlich. Schon heute sei es schwierig, die KollegInnen für den Kampf zu motivieren, da viele Repressalien fürchteten. Bruno Schmucki, Mediensprecher von syndicom, hält dem entgegen, dass der Paragraph zur Wiedereinstellung ohnehin kaum zur Anwendung gekommen sei und dass neu der Preis für eine Kündigung deutlich gestiegen sei und so durchaus präventiven Charakter habe. Cottagnoud dagegen fragt rhetorisch: «Warum war es der Post denn ein Anliegen, dass dieser Kündigungsschutz wegfällt, wenn er doch kaum zur Anwendung kam?»

Weitere Einbussen muss das Personal bei den Treueprämien machen, aber auch bei der Arbeitszeit, die partiell leicht erhöht wird. Weiter wird den Postangestellten noch immer lediglich eine 15-minütige bezahlte Pause gewährt, aber auch nur dann, wenn sie vorher bereits 3,5 Stunden gearbeitet haben. Weiter entfällt die automatische Lohnerhöhung abgestuft nach Anstellungsdauer. An ihrer Stelle tritt die individuelle Leistungserhöhung. Dieser individuelle Lohnanteil macht zwar bloss 0,4 Prozent aus, war gemäss Schmucki aber nicht verhandelbar. «Hier zeigte sich die ideologische Seite der Post».

Von «Stellvertreterpolitik» und «Geheimverhandlungen»

Auch ein dezidiert linker Zürcher Briefträger, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt dem vorwärts: «Bei aller berechtigten Kritik an den Gewerkschaften; es ist die Post, die einen schlechteren GAV wollte!» Doch unter den KollegInnen sei die Enttäuschung dennoch verbreitet. Auch Cottagnoud weiss von Frustrierten, die nun der syndicom den Rücken zukehren. Doch weshalb hat die Basis, wenn auch weit weniger klar als in anderen Jahren, den GAV durchgewinkt? «Eigentlich wollte man mit einer Mobilisierungsgruppe kontinuierlich Druck aufbauen», erinnert sich der Zürcher Briefträger, «doch alle Versuche in diese Richtung wurden von oben demobilisiert.» Unter den KollegInnen seien die GAV-Verhandlungen als Geheimverhandlungen wahrgenommen worden. «Wie soll Druck aufgebaut werden, wenn kaum Informationen an die Basis gelangen?» Der monatelange Verhandlungsunterbruch sei etwa eine Folge der Kritik an dieser Arbeitsweise gewesen. Dabei bemühte sich syndicom, Transparenz zu schaffen und setzte ein 50-köpfiges «Soundigboard» ein, eine Beobachtungsgruppe, die den Prozess begleitete. Das kampflose Abschliessen des GAVs ist für den Briefträger auch eine Folge längjähriger «Stellvertreterpolitik» der Gewerkschaften.

Die autonome PöstlerInnen der SAP teilen diese Kritik: «Das, was die Gewerkschaften in den noblen Salons nicht erreichen, müssen sie sich erkämpfen! Doch an den Kampf sind sie nicht mehr gewohnt.» Deshalb gründeten gewerkschaftliche DissidentInnen vor zehn Jahren die SAP, die ständig wachsend, heute rund 700 Mitglieder zählt, kein Geld von der Post erhält, dafür in einem internationalen Netzwerk von Basisgewerkschaften vernetzt ist und auch mal nach Tunis an das Weltsozialforum reist. Von den GAV-Verhandlungen war sie hingegen ausgeschlossen, trotz unzähliger Einsprüche, zuletzt beim Bundesgericht. Dafür hat sie nun eine Klage bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) eingereicht und möchte sich, wenn auch nicht mehr mit Streik, so doch mit symbolischen Kampfmassnahmen gegen den neuen GAV äussern.

 

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