Repression gegen Alle

ZürcherSKDie Abstimmung über das verschärfte Konkordat «über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen» steht an. Mit einem Nein können sich die Zürcher StimmbürgerInnen für die Grundrechte und gegen unsachliche Law-and-Order-Politik stark machen. Ein Beitrag der Zürcher Südkurve.

vorwärts Nr. 17/18 vom 10. Mai 2013

Am 9. Juni stimmt die Zürcher Stimmbevölkerung über die Verschärfung des Konkordats «über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen» ab. Dieses Konkordat ist in der Schweiz seit 2010 in allen Kantonen in Kraft. Das Konkordat enthält Bestimmungen, welche im Jahr 2008 im Rahmen des «Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicherheit»  (BWIS) zeitlich begrenzt und extra für die Fussball-Europa- und die Eishockey-Weltmeisterschaft in der Schweiz erlassen wurden. Obwohl an diesen beiden Grossereignissen, die im Vorfeld von Politik und Polizei angekündigten und befürchteten Gewaltereignisse nicht eintraten, überführte die «Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren» (KKJPD) die Bestimmungen mittels Konkordat ins kantonale Recht. 2010 traten dem Konkordat alle Schweizer Kantone bei. Seither wird mit Rayonverboten und Meldeauflagen gegen sogenannte «GewalttäterInnen» an Fussball- und Eishockeyspielen vorgegangen. Bereits im Vernehmlassungsverfahren zu diesem Konkordat kritisieren die «Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz», dass der Begriff «gewalttätiges Verhalten» in diesem Konkordat mit dem Bundesrecht «nicht vereinbar» sei, weil diese durch das schweizerische Strafgesetzbuch (StGB) geregelt und definiert werden. Kritisiert wurde damals auch, dass laut Konkordat bereits das Vorliegen eines bestimmten Verdachts oder Aus-sagen gewisser Personen reichen, um die Freiheit einer betroffenen Person «unverhältnismässig einzuschränken».

Eine seltene Ausnahme

Die damalige Präsidentin der KKJPD und St.Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter spielte sich mit dem Themen «Fans» und «Hooligans» ins mediale Rampenlicht. Sie berichtete von unhaltbaren Zuständen in den Stadien, von einer immensen Gefahr, welche von einzelnen «gewaltbereiten Fans» ausgehe und sie versprach mit diesem Konkordat die Probleme zu lösen. Bereits bei der Einführung des Konkordats konnte aber nicht mit Zahlen und Fakten, sondern lediglich mit einzelnen Bildern aus der Medienberichterstattung argumentiert werden. Gebetsmühlenartig wurden die Bilder vom Meisterschaftsfinale 2006 oder den Fackelwürfen von Basel 2009 gezeigt und der Stimmbevölkerung so vermittelt, dass solche Vorkommnisse in Sportstadien zur Tagesordnung gehören. Wer gegen das Konkordat aufmuckte wurde als Gewaltverherrlicher oder Verharmloser beschimpft. Karin Keller-Sutter gewann 2011 den Swiss-Award in der Kategorie «Politik» und wurde beinahe in den Bundesrat gewählt. Ihr Feingespür, mediale Schlagzeilen in die Politik einzubeziehen, zu dramatisieren und die Medien immer wieder mit neuen Geschichten zu füttern, erwies sich als voller Erfolg.

Ganz anders die Erfolgsbilanz des Konkordats. Trotz dessen Einführung kam es auch nach 2010 zu einzelnen unschönen Ereignissen in Sportstadien. Trotz minutiösen Besucherkontrollen, reinen Sitzplatzkurven, Alkoholverbot und massenhaft privater Sicherheitskräfte in den Stadien konnten weder die Ausschreitungen im Letzigrund-Gästesektor beim Spiel FC Zürich – FC Basel im Frühling 2011 noch der erneute Fackelwurf am Zürcher Derby im Oktober 2011 verhindert werden. Aufgrund dieser Vorkommnisse wurden die Boulevardpolitiker aber wieder aktiv. Angestachelt von der öffentlichen Empörung beschlossen sie, das Konkordat weiter zu verschärfen. Dass die Anzahl Personen, welche in der Hooligan-Datenbank gespeichert sind aber über Jahre relativ konstant ist, dass die Gewalt in Stadien rückläufig ist und dass solche Extrembeispiele weiterhin eine seltene Ausnahme bilden, wird ignoriert. Am 9. Juni stimmen wir im Kanton Zürich über die Verschärfung ab.

«Den Hurensöhnen haben wir es gezeigt»

Auffällig ist bei dieser Verschärfung, dass die Massnahmen nicht mehr gegen einzelne Personen, sondern gegen sämtliche BesucherInnen von Fussball- und Eishockeyspielen in den beiden höchsten Schweizer Ligen gerichtet sind. Neu sollen bei gewissen Spielen flächendeckende ID-Kontrollen durchgeführt werden. Dies obwohl eine generelle Ausweispflicht im Kanton Zürich fehlt. Weiter soll den Gästefans vorgeschrieben werden, mit welchen Transportmitteln und auf welchem Weg sie ins Stadion gelangen sollen. Ein FC Basel- Fan aus Zürich müsste also, um das Spiel FCZ-FCB im Gästesektor des Letzigrunds verfolgen zu können, zuerst von Zürich nach Basel reisen, um dort mit dem von den Behörden vorgeschrieben Transportmittel zurück nach Zürich zu kommen. Auch das im verschärften Konkordat vorgesehene Alkoholverbot im Stadion und im Stadionumfeld bestraft alle SpielbesucherInnen und das umliegende Kleingewerbe gleich mit. Störend ist, dass die V.I.P.-Logen von dieser Bestimmung ausgenommen sind. Besserbetuchte können sich also von den Schikanen freikaufen. Auch wollen die PolitikerInnen in den Logen scheinbar nicht auf ihr Bier verzichten. Die Zweiklassengesellschaft in Sportstadien wäre damit perfekt. All diese Massnahmen können die Behörden mit der sogenannten «Meldeauflage», welche neu im Konkordat wäre, erzwingen. Im Bericht der KKJPD ist sogar von Fahnen-, Megaphon- und Choreographieverboten die Rede.

Der Fakt, dass Rayonverbote und Meldeauflagen im verschärften Konkordat für maximal drei Jahre und schweizweit, statt wie bisher lokal und nur für ein Jahr ausgesprochen werden können, lässt ebenfalls jede Verhältnismässigkeit vermissen. Gerade wenn man bedenkt, dass dabei bereits Aussagen von privaten Sicherheitskräften reichen. Dass diese Sicherheitskräfte, auch zum Sicherheitsproblem werden können, zeigten verschiedene Ereignisse der letzten Jahre. So schrieb ein Mitglied der Delta-Security auf seinem Facebook-Profil nach einem Spiel: «Den Hurensöhnen haben wir es gegeben. (…) Am Samstag ficken wir die Inzuchtbuben vom Rhein gleich nochmals (…) Am Samstag werden die Basler in Sion wieder bluten».  Zudem gab es Mitglieder, die sich mit Naziemblemen oder dem Spruch «All Cops are Bastards» schmückten. Vor kurzem sorgte die Firma Protectas für Aufsehen: In einem internen Film zünden zwei Mitglieder zu martialischer Musik zwei Seenotfackeln. Auch hier soll natürlich nicht dramatisiert werden. Auch hier kann von Einzelfällen gesprochen werden, doch es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob der Staat das Gewaltmonopol in dieser bedenklicher Art und Weise aus der Hand geben soll. Zudem dürfen private Sicherheitskräfte die ZuschauerInnen nach dem verschärften Konkordat auch ohne Verdacht über den Kleidern am ganzen Körper abtasten.

«Mit Grundrechten spielt man nicht»

Wie der Zürcher AL-Kantonsrat Markus Bischoff an der Pressekonferenz des Referendumskomitees «Kollektivbestrafung Nein», sagte, gelte in der Schweiz das Störerprinzip. Die Polizei hat also gegen StörerInnen vorzugehen. Im Konkordat werden Sportfans aber grundsätzlich als StörerInnen angesehen. Das verschärfte Konkordat arbeitet mit Kollektivstrafen und schafft ein Sondergesetz für Menschen, die ihre Freizeit gerne in Sportstadien verbringen. Es tritt Grundrechte mit Füssen und schränkt die Freiheit der BürgerInnen massiv ein. Die Erfahrung zeigt, dass repressive Massnahmen gerne zuerst an in der Öffentlichkeit weniger positiv wahrgenommen Personengruppen ausprobiert werden, um sie später auf weitere Gesellschaftsbereiche auszudehnen. Der Grüne Gemeinderat Markus Kunz sagt: «Mit Grundrechten spielt man nicht!» Das Konkordat gilt es am 9. Juni wuchtig abzulehnen.

Kleines Krisen-Update

Finanzminister beraten über Euro-Krise

Die Krise wütet in der Euro-Zone, vom Zweckoptimismus des politischen Personals gänzlich unberührt, weiter.  Ein (zu) kurzer ökonomischer Überblick über die Entwicklung und den aktuellen Stand des Schlamassels.

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Die litauische Präsidentin, Dalia Grybauskaite, verkündete kürzlich in einem Interview mit der «Deutschen Welle», dass es überhaupt keine Euro-Krise gebe. Ihr Kollege, der EU-Kommissionspräsident José Manuel Borroso, war in Bezug auf die Vergangenheit etwas realitätsnäher, aber auch er erklärte auf dem «WDR Europaforum» kürzlich: «Die existenzielle Krise des Euro ist vorbei». Diese Aussagen deuten entweder auf einen grassierenden Realitätsverlust bei Teilen des politischen Personals hin oder aber sie sollen vor allem eines sein: selbsterfüllende Prophezeiungen. Man möchte die Zuversicht bei den MarktteilnehmerInnen fördern und ignoriert dazu schlicht die reellen Problemen, die sich unvermindert in die Nationalökonomien der Euro-Zone fressen.

Die Proletarisierten können eine Lied vom Ende der Krise singen: Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in der Euro-Zone bei rund 24 Prozent; angeführt von Griechenland und Spanien, die mittlerweile mit knapp 60 Prozent Arbeitslosen unter 25 Jahren zu Buche schlagen. Die «Zukunft der Gesellschaft» wächst ohne Zukunft heran. Derzeit werden in Spanien täglich über 500 Familien aus ihren Häusern geworfen; seit Beginn der Krise wurden über 400 000 Räumungen vollstreckt. Die Austeritätsprogramme in den Krisenstaaten sorgen dafür, dass allerorts Betroffene nur schlecht aufgefangen werden und die wohltätigen Suppenküchen kaum dem Ansturm gewachsen sind. Doch auch wenn man den Blick vom zunehmenden Elend der Proletarisierten weg, hin zu den nackten Wirtschaftsdaten lenkt, sieht es nicht wesentlich besser aus.

Krisenphänomene

Die neusten Quartalszahlen der Euro-Zone sprechen von einem Sinken des Bruttoinlandproduktes (BIP) von 0,2 Prozent. Von einer Rezession spricht man im Allgemeinen, wenn das BIP in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen sinkt. Es ist nun aber bereits das sechsts Quartal in Folge, dass die Wirtschaftsleistung der Euro-Zone schrumpft. Das schwache Wachstum der deutschen Nationalökonomie kann diesem Trend nicht entgegenwirken – und ist übrigens nur auf Kosten von Staaten möglich, die deutsche Waren importieren. Für den Krisenstaat Zypern rechnen ExpertInnen 2013 mit einem Einbruch des BIP von 8,7 Prozent. Die Ideologie des beständigen Wachstums, wie sie von ExpertInnen und PolitikerInnen wie ein Mantra beschworen wird, hat ihren wahren Kern, auch wenn sie selber davon keinen Begriff haben?: Das Kapital kann sich nur auf erweiterter Stufenleiter reproduzieren. Geld muss profitabel investiert werden und der entstehende Mehrwert als Kapital neu in den Produktionsprozess fliessen – alles natürlich bei entsprechenden Profitraten. Eine stagnierende oder gar sich verkleinernde Volkswirtschaft zeigt also nicht weniger an, als dass sich gewisse Kapitale nicht mehr reproduzieren können.

Die wachsenden Staatsschulden hängen natürlich damit zusammen: Nebst der stockenden (momentan aber zumindest kurzfristig wieder etwas besser laufenden) Refinanzierung auf den Finanzmärkten sind vor allem die damit verbundenen sinkenden Steuereinnahmen durch die Unternehmen ein Problem. Die Rezession führt aber auch zu einem Einbrechen der Einnahmen der Massen durch Arbeitslosigkeit. Dies wiederum untergräbt das Steuersubstrat. Zudem wird dadurch die Massennachfrage reduziert, was einige Linke fälschlich zur Ursache der Krise verklären.

Krise des Kapitals

Die Europäische Zentralbank (EZB) versucht seit einiger Zeit diesen Prozessen mit verschiedenen Massnahmen Herr zu werden: Sie erklärte, dass sie im Krisenfall die betreffenden Staatsanleihen aufkaufen würde. Dies führte dazu, dass die Finanzmärkte wieder etwas Vertrauen fassten und etwa riskante italienische Staatspapiere aufkauften. Bloss: Sollte der italienische Staat, immerhin die drittgrösste Nationalökonomie der EU, tatsächlich Bankrott gehen, ist es mehr als fraglich, ob die monetären Mittel der EZB ausreichen, um die entsprechenden Schrottpapiere aufzukaufen. Ausserdem senkte die EZB den Leitzins auf 0,5 Prozent und versucht so Geld in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen. Die Vorstellung dabei ist, dass dieses Geld in die produktive Wirtschaft fliesst und einen Wirtschaftsaufschwung generiert, der auch die Arbeitslosenzahlen nach unten korrigiert. Blöd nur, dass dieses Geld momentan gerade das nicht macht, sondern in hochspekulative Bereiche abfliesst und die Börsenkurse unabhängig von der sogenannten Realwirtschaft befeuert – was zu allerhand veritablen Blasenbildungen führt. Das Problem ist nicht, dass die Bank-ManagerInnen alle durchgedreht sind. Das Geld wird in der Regel nicht mehr in der sogenannten Realwirtschaft investiert, weil die Profitraten nicht mehr ausreichen, um Unternehmensgewinn und (Bank-)Zinsen in der notwendigen Höhe zu garantieren. Das ist das eigentliche Dilemma: Die EZB pumpt Geld in eine Wirtschaft, die wegen mangelnder Profitraten an Kapitalüberproduktion leidet.

Krisenlösung?

Was Europa als Lösung anstrebt, ist eine aggressive Exportpolitik nach deutschem Vorbild. Diese quasi merkantilistische Politik soll dazu führen, dass durch die Exportüberschüsse die Defizite und schliesslich auch die Staatschulden exportiert werden können. Dies ist aber nur möglich, wenn bei hoher Produktivität die Lohnstückkosten gesenkt werden können – wie das Deutschland mit den Hartz-Reformen gelungen ist – und man das Defizit einfach an zu Schuldnerstaaten degradierte Nationalökonomien auslagern kann. Wie lange diese Staaten überhaupt die Überschüsse aufkaufen können, steht in den Sternen; ihre Wirtschaft wird schlicht und einfach ruiniert (siehe etwa Griechenland). Eine wirkliche Lösung ist dieses Modell auf jeden Fall nicht. Aus dem wirtschaftlichen Dilemma wird es keinen Ausweg geben ausser der massiven Vernichtung von Kapital mit den damit verbundenen Verheerungen für die Proletarisierten. Als kommunistischer Beobachter dieser Prozesse muss man sich nicht so dumm machen lassen wie das politische Personal des Kapitals, sondern kann offen aussprechen, dass der Kapitalismus derzeit in einer Sackgasse steckt.

Ventilklausel gegen MigrantInnen

Am 24. April 2013 hat der Bundesrat angekündigt, die im Freizügigkeitsabkommen vorgesehene Ventilklausel anzurufen. Dadurch wird für die ArbeiterInnen der EU-25-Staaten die Einreise in die Schweiz neu reguliert. Folgen davon sind einerseits eine Prekarisierung der Arbeitsbedingungen, andererseits die Legitimation einer repressiven Asylpolitik.

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Per 1. Mai 2013 wurde die Kontingentierung (Begrenzung) der B-Bewilligungen (Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen für fünf Jahre) für die ArbeiterInnen der osteuropäischen Staaten (EU-8) fortgesetzt. Falls der vordefinierte Schwellenwert erreicht wird, wird die Kontingentierung per 1. Juni 2013 auf die B-Bewilligungen für ArbeiterInnen aus den «alten» EU-Ländern (EU-17) ausgedehnt. Hingegen betrifft die beschränkte Einreise nicht die Kurzaufenthaltsbewilligungen L, weder für ArbeiterInnen aus den EU-8-, noch für diejenigen aus den EU-17-Ländern (Kurzaufenthaltsbewilligungen bis zu einem Jahr).

Der Bundesrat reagiert mit dieser Entscheidung auf die unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Interessen des schweizerischen Kapitals. Auf der einen Seite darf eine Kontingentierung die Nachfrage des Arbeitsmarktes nach billigen Arbeitskräften nicht zu fest einschränken, auf der anderen Seite soll hingegen auf die Initiativen im Bereich der Migration («Stopp Masseneinwanderung» und die Ecopop-Initiative) reagiert werden, die vorsehen, die Einwanderung sowohl der europäischen (Ausländergesetz) wie auch der aussereuropäischen (Asylgesetz) ArbeiterInnen nur noch politisch zu regulieren.

Prekarisierung der Arbeitsbedingungen

Es stellt sich die Frage, ob sich an der Einreise von migrantischen ArbeiterInnen real tatsächlich etwas verändern wird. Zahlenmässig wohl kaum, denn es ist vorhersehbar, dass derjenige Anteil von ArbeiterInnen, der bis jetzt mit einer B-Bewilligung einreisen konnte, «umgeleitet» wird und nun mit einer L-Kurzaufenthaltsbewilligung in die Schweiz kommt. Pro Jahr werden geschätzte 3000 ArbeiterInnen also eine Verschlechterung der Einreisebedingungen erleben. Für diese ArbeiterInnen wird der Zugang zu den Sozialversicherungen massiv eingeschränkt. Bei Entlassungen bleibt ihnen meist nichts anderes übrig, als wieder in die Heimat zurückzukehren (erinnern Sie sich an die Saisoniers?), die Kontrolle ihrer Arbeitsbedingungen und die Möglichkeit der kollektiven Organisierung werden erschwert – kurz: Der Ausbeutungsgrad der migrantischen ArbeiterInnen wird erhöht. Was der Bundesrat in seiner Mitteilung als «gesellschaftsverträgliche Gestaltung der Zuwanderung» beschreibt, ist nichts anderes als ein Euphemismus. Die Zuwanderung wird in erster Linie «kapitalverträglich» gestaltet.

Asylpolitik wird repressiver

Gleichzeitig muss die Anrufung der Ventilklausel auch im Kontext der Verschärfungen im Asylbereich analysiert werden. Denn die Ventilklausel impliziert, dass die Einwanderung eine «verträgliche Obergrenze» erreicht hat. Und wenn schon die Einreise der ArbeiterInnen der EU-Staaten beschränkt werden muss, dann gilt dies in der Logik des Bundesrates umso mehr für ArbeiterInnen der aussereuropäischen Länder. Somit legitimiert der Bundesrat seine eigene repressive Lagerpolitik und erschwert die politische Arbeit derjenigen Bewegungen und Organisationen, die sich seit Jahren und Jahrzehnten für ein Bleiberecht für alle einsetzen. Die Politik des «teile und herrsche» wird somit fortgesetzt.

Den migrantischen ArbeiterInnen – mit und ohne Papiere, mit stabiler oder prekärer Aufenthaltsbewilligung – bleibt wohl nichts anderes übrig, als sich gemeinsam zu organisieren und gemeinsam für die Rechte aller MigrantInnen zu mobilisieren.

Gestreikt und Entlassen

providence_streikWir veröffentlichen hier den übersetzten Aufruf der ehemaligen Streikenden des Krankenhauses «?La Providence?» aus Neuenburg zur Solidaritätsdemonstration gegen missbräuchliche und gewerkschaftsfeindliche Entlassungen am 1. Juni in Genf ab.

Die Geschichte des Streiks im Neuenburger Krankenhaus «La Providence» ist schlicht unglaublich. Weil sie sich für den Erhalt des Gesamtarbeitsvertrages (GAV) «santé 21» eingesetzt haben, wurden 22 Streikende am 4. Februar 2013 mit sofortiger Wirkung entlassen. Wie kann ein Krankenhaus, finanziert durch unsere Steuern, von einem Tag auf den Anderen entscheiden, den GAV nicht mehr einhalten zu wollen und diejenigen zu entlassen, die sich dagegen wehren – und all dies mit der Unterstützung des Neuenburger Regierungsrates?? Genau dies findet heute in der Schweiz statt!

Arroganter Käufer, vom Regierungsrat unterstützt

Bei der Ankündigung des Kaufs des Krankenhauses «La Providence» im Frühjahr 2012 hat die private Gruppe «Genolier» gefordert, dass der GAV «santé 21» aufgekündigt wird. Es handelt sich jedoch um den Gesamtarbeitsvertrag, der für alle sub-ven-tio-nier-ten Institutionen des Kantons gilt. Eine Verordnung des Regierungsrates selbst legt fest, dass der GAV «santé 21» respektiert werden muss, um einen öffentlichen Auftrag im Gesundheitswesen zu erhalten. Komischerweise denkt der Regierungsrat jedoch, für «Genolier» könne eine Ausnahme gemacht werden. Warum??

Im Herbst 2012 hat der Regierungsrat mit den Beschäftigten des Krankenhauses während dreier Monate eine «falsche» Schlichtung geführt, um sie daran zu hindern, in den Streik zu treten (ein Streik während einer Phase der Schlichtung wird als «illegal» bezeichnet). Trotz Versprechungen hat der Regierungsrat nach drei Monaten keine Lösung vorgeschlagen. Warum??

Im Dezember 2012 hat der Regierungsrat eine Motion verabschieden, die «Genolier» zwingen sollte, den GAV einzuhalten. Wie bei der Verordnung hat der Regierungsrat jedoch auch diese Mo-tion nicht umgesetzt. Warum??

Wir müssen feststellen, dass in dieser Geschichte die politischen Behörden des Kantons sich mit einer privaten Gruppe geeinigt haben, einen GAV zu zerschlagen und somit all diejenigen zu entlassen, die sich dagegen wehren.

22 WiderstandskämpferInnen

Trotz ständigen Drohungen von Seiten des Unternehmens, trotz Kompromissen des Neuenburger Regierungsrates, trotz Räumung des Streikpostens durch die Polizei während der Weihnachtsfeier, trotz fristloser Entlassung, haben sich 22 Angestellte gewehrt und fordern heute noch die Einhaltung des GAV «santé 21» von allen Institutionen, die einen öffentlichen Auftrag im Gesundheitswesen erhalten, und den Respekt der gewerkschaftlichen Rechte durch die Widerrufung der illegalen Entlassungen, die gegen die Streikenden ausgesprochen wurden.

Ja, es passiert in der Schweiz?!

Diese unglaubliche Geschichte ereignet sich heute in Neuenburg, weil die Schweiz die internationalen Bestimmungen in Sachen Gewerkschaftsrechte nicht respektiert. Die Schweiz hat zwar die Konventionen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) zu den gewerkschaftlichen Freiheiten ratifiziert, der Bund hat jedoch nie ein dem internationalen Recht konformes Gesetz verabschiedet. In einfachen Worten: Wir können streiken, aber wenn uns das Unternehmen entlässt, wird das Gericht es bloss zur Rückzahlung einiger Monatslöhne verurteilen. Die privaten Gruppen schrecken vor nichts zurück, sie machen alles für ihre Profite, sie zerstören die Arbeitsbedingungen und die Dienstleistungen für die Bevölkerung. Wenn wir das Streikrecht verteidigen wollen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als den Bund zu verklagen, bis er das Gesetz ändert. Genau das haben die Gewerkschaften am 10. April vor der ILO gemacht.

Wir laden euch somit ein, an der grossen ­Demonstration für den Respekt der ­gewerkschaftlichen Rechte teilzunehmen.

Samstag, 1. Juni 2013, 14 Uhr, Place du Molard, Genf, Tram 14 Richtung P+R Bernex, Haltestelle Bel-Air, 3 Minuten Fussweg bis zur Place du Molard.

Gegen Repression und Ausschaffung

lagerpolitik_stinkt_2Letztes Wochenende wurde das Duttweiler-Areal in Zürich West für drei Tage besetzt. Betroffene und AktivistInnen verschiedener Gruppierungen wollen das an dieser Stelle geplante Lager für Asylsuchende bekämpfen, mit dem der Staat die Durchführbarkeit seiner neuen Strategie in der Asylpolitik testen will. Diese will vor allem eines?: Beschleunigung der Verfahren.

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Während die StimmbürgerInnen zu Hause sitzen und von dem grauen Zettel mit dem leerem Rechteck nach einem Ja oder Nein zur Asylgesetzrevision gefragt werden, sind in Zürich etwa 150 AktivistInnen zur Tat geschritten. Sie haben letztes Wochenende drei Tage lang das Duttweiler-Areal zwischen der ehemaligen Toni-Molkerei und den Geleisen besetzt, um gegen das dort geplante Testlager für Asylsuchende zu protestieren. Laut ihrer Mitteilung setzen sich die BesetzerInnen der Aktion «Smash the Camps» aus «direkt Betroffenen und Solidarischen, Einzelnen und Gruppierungen» zusammen, die «das Migrationsregime als Ganzes ablehnen und deshalb das Bundes-lager (als Teil staatlicher Lagerpolitik) auf dem Duttweiler-Areal verhindern wollen».

«Wir delegieren unsere Macht nicht an Parteien und Asylorganisationen, die sich im Bestreben, die Migration zu lenken und zu kontrollieren grundsätzlich einig sind», heisst es in dem Communiqué der AktivistInnen weiter, «sondern setzen auf Selbst-organisation und Selbstermächtigung. Dazu nehmen wir uns Raum, ohne darum zu bitten, und suchen gemeinsam nach Möglichkeiten, wie wir die Abläufe des Migrationsregimes sabotieren können.»

Die «?verdienen?» doch ein schnelles Verfahren

Im Zuge des Kampfes gegen «jegliche Art von Herrschaft, Ausbeutung, Unterdrückung und Einsperrung» soll das erste «Bundeszentrum» für Asylsuchende verhindert werden, mit dem der Staat ab Januar 2014 die Durchführbarkeit seiner neuen Strategie in der Asylpolitik testen will. Diese Strategie sieht vor allem vor, die Verfahren zu beschleunigen, was gern mit den Interessen der Asylsuchenden begründet wird, die ein schnelles Verfahren «verdienen» würden. In den militärisch durchorganisierten Lagern sollen möglichst schnell die «falschen» von den «richtigen» Flüchtlingen getrennt werden. Erstere werden dann dem Ausschaffungsregime zugeführt, das gleich in der Nähe ebenfalls neue Infrastruktur erhalten soll. Neben der gesteigerten Effizienz des Verfahrens kann mit den Lagern jedoch auch leicht die Anzahl an angenommenen Asylanträgen gesenkt werden.

Das geplante Lager soll 500 Asylsuchende aufnehmen können und unter anderem eine Rechtsberatung, die zuständigen Behörden und die Polizei beherbergen. In der Umgebung sind zudem 700 Ausschaffungshaftplätze, sowie Spezialknäste für «renitente» Asylsuchende geplant. Die geplante Infrastruktur dient den Herrschenden als ein Element im Erhalt ihres Machtsystems. Die BesetzerInnen schreiben: «Diese Strukturen der Unterdrückung und Ausbeutung können nur in einer autoritären Gesellschaft bestehen, welche die herrschenden hierarchischen Machtstrukturen als unantastbaren Status Quo akzeptiert und als Grundlage eines progressiven, demokratischen Systems versteht. Die Herrschenden setzen indes alles daran, diesen scheinheiligen Frieden inmitten eines sozialen Krieges zu bewahren und jede potenzielle Gefährdung wegzusperren.»

Friedliche Besetzung statt grossem Spektakel

Die Besetzung wurde von der Polizei toleriert, was sie den AktivistInnen vor Ort auch explizit mitgeteilt hat. Zwar seien einige ob dieser Milde überrascht gewesen, wie ein Aktivist berichtet. Sogar das Tor zum Areal habe man offen stehen lassen. Anderer-seits sei auch klar, dass man den Protesten gegen das geplante Testlager von Anfang an möglichst wenig Aufmerksamkeit schenken wolle. Auch war der Protest eher symbolischer Natur. In der -öffentlichen Mobilisierung hatten die AktivistInnen bereits erklärt, dass die Besetzung nur bis Montag dauern werde.

Auf ein öffentlichkeitswirksames Spektakel waren die BesetzerInnen sowieso nicht aus – JournalistInnen waren auf dem Gelände unerwünscht. Dafür wurden die ruhigen Tage für ausgiebige Diskussionen über mögliche zukünftige Widerstands-stra-te-gien genutzt. Das sei darum wichtig, meint der Aktivist, weil genügend Gelegenheiten zum Austausch und zur Besprechung des Weiteren Vorgehens zur Verfügung gestanden hätten. Darüber, dass weitere Aktionen nötig sind und auch durchgeführt werden können, waren sich die Teilnehmenden erfreulicherweise einig.

Ebenfalls wurde darüber diskutiert, welcher Grad an Radikalität im Umgang mit den betroffenen Asylsuchenden angemessen ist. Viele forderten etwa, dass man sich vor konkreten Forderungen generell hüten solle, andere waren der Meinung, man solle die Asylsuchenden auch darin unterstützen, kleine Forderungen gegenüber dem Staat zu verwirklichen.

Abgesehen von diesen Details scheinen der breiten Bevölkerungen noch nicht einmal die groben Züge der Lager-Problematik bewusst zu sein. In kleinen Interviews jedenfalls, die der Tagi mit Passanten im Quartier Zürich West aufgenommen hat, werden mehrheitlich Bedenken geäussert, die Kriminalität könnte im ach so hippen Ausgehviertel ansteigen und sowieso seien 500 an einem Ort doch gerade etwas viel. Doch wir können beruhigen: Die Asylunterkünfte können so schnell sie aufgebaut werden auch wieder zu Gewerbeflächen umgenutzt werden. Sie sind eben so flexibel, wie es die Menschenmassen sein sollen, die auf dem Arbeitsmarkt ausgebeutet werden.

Smash the Camps!

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Um die Durchführbarkeit der Lagerpolitik im Asylbereich zu testen, ist in Zürich ein Testlager geplant. Nun regt sich Widerstand. Das Gelände  des geplanten Testlagers wird besetzt. Die Aktion «?Smash the Camps?» startet am 18. Mai um 14 Uhr beim Turbinenplatz in Zürich. 

Aus der Printausgabe des vorwärts vom 10. Mai. Unterstütze uns mit einem Abo.

Die neue Ära der Lagerpolitik zielt auf eine Beschleunigung des Asylverfahrens durch Zentralisierung ab. Im Umfeld der fünf bestehenden Empfangszentren des Bundes entstehen hierfür weitere Lager à 400 bis 500 Plätzen. Nach durchschnittlich 140 Tagen soll entweder ein positiver Asylentscheid vorliegen oder eine Ausschaffung erfolgen.

Auf dem Duttweilerareal in Zürich soll 2014 ein erstes Testlager errichtet werden. Projektleiter Urs von Daeniken, bezeichnenderweise handelt es sich um den Ex-Inlandgeheimdienstchef, bringt die Funktion des Lagers auf den Punkt: «7 bis 7.30 Uhr Frühstück, 11.20 bis 13 Uhr Mittagessen, 17.00 bis 18.30 Uhr Abendessen, 22.00 bis 6.00 Uhr Nachtruhe» (Tagesanzeiger-Online, 6. Februar 2013). Putzarbeiten im Zentrum würden ein Sackgeld von 3 Franken geben, wer sich weigere, gehe leer aus. Wer zweimal zu spät einrücke, dem werde das Sackgeld gestrichen. Zudem wird über eine Ausgangssperre nachgedacht. Dieser militärische Tonfall und die Disziplin sind grundlegende Bestandteile der Lager.

Postkoloniales Grenzregime

Die geplanten Lager dienen offiziell zur Abschreckung von MigrantInnen. Sie zementieren damit postkoloniale Machtverhältnisse. Seit den 1970er Jahren findet eine Globalisierung der Produktion und des Handels statt. Märkte werden liberalisiert und grosse Teile der westlichen Industrie in ehemals kolonialisierte Niedriglohnländer verlagert. Damit sind Landenteignungen von Millionen subsistenzwirtschaftender LandwirtInnen sowie die Zerstörung lokaler Märkte und Sozialstrukturen verbunden. Als Folge dieser Ausbeutung und in der Hoffnung auf eine bessere Lebensperspektive migrieren viele Personen nach Europa. Die europäischen Unternehmen sind jedoch aufgrund des wachsenden Tertiärsektors immer weniger auf niedrigqualifizierte Lohnabhängige aus dem Süden angewiesen. Innerhalb des Schengenraumes herrscht Personenfreizügigkeit. Sie wird als kultureller Erfolg der europäischen Einheit gefeiert, führt jedoch mangels Schutzbestimmungen der Arbeitsbedingungen zu Konkurrenz und Lohndruck. Die Einwanderung nach Europa wird durch kontingentierte Aufnahmen von Hochqualifizierten, verstärkte Kontrollen der Aussengrenze und systematische Ausschaffungen reguliert.

Kapitalistisches Ausbeutungsregime

Falls MigrantInnen trotz des lebensbedrohlichen Grenzregimes in die Schweiz gelangen, werden sie in Zukunft in Bundeslager gesteckt. Es sind Orte der Entrechtung, der Isolation und der Stigmatisierung. In Bundeslagern werden die Flüchtlinge in «Richtige» und «Falsche» unterteilt. Illegalisierte MigrantInnen werden der Ausschaffungsmaschinerie zugeführt oder müssen untertauchen und sich mit Schwarzarbeit durchschlagen. Niedriglohnbranchen wie Bau, Gastronomie, Landwirtschaft oder der Care-Bereich setzen auf einen ethnisch hierarchisierten Arbeitsmarkt und die Ausbeutung illegalisierter MigrantInnen. In bestimmten Sektoren benötigt das Kapital solche entrechtete Arbeitskräfte, um archaische Ausbeutungsformen aufrechtzuerhalten. Die blosse Anwesenheit stigmatisierter Arbeitskräfte dient dazu, Teile der Arbeitswelt gegeneinander auszuspielen und führt zur Anpassungen der Lohn- und Anstellungsbedingungen nach unten.

Neoliberales Asylregime

Die Asylgesetzrevision, über die am 9. Juni abgestimmt wird, die Neustrukturierung des Asylwesens durch Sommaruga und das Mitmischen vieler Asyl-organisationen und Parteien gehören zu den Grundlagen der Lagerpolitik. Im Mittelpunkt standen immer die effizientere Gestaltung des Asylverfahrens und der effektivere Vollzug von Wegweisungen. Effizienz und Effektivität stellen Kriterien in einem betriebswirtschaftlichen Unternehmen dar, um die Abläufe zu optimieren. Die Bundeslager sollen die Abläufe ebenfalls «beschleunigen». Asylsuchende, BFM, Rechtsvertretung, Rückkehrhilfe, Dokumentenprüfende, Polizei und so weiter werden zu diesem Zweck künftig am gleichen Ort konzentriert. Diese Beschleunigung wird im Sinne der Asylsuchenden dargelegt, da diese ein Recht auf einen raschen Entscheid hätten. Das Ziel ist die Zahl der Asylgesuche und Kosten zu senken. Das sind die «Qualitätsmerkmale» eines neoliberalen Asylregimes, welches Flüchtlinge degradiert und wie Waren in einer Fliessbandproduktion verarbeitet.

Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.

«Smash the Camps» ist eine Absage an die herrschende Asyl- und Migrationspolitik. Es ist eine Reaktion auf den Entscheid demokratischer Parlamente, Lager errichten zu wollen. Um gegen alle Orte vorzugehen, wo sich die Lagerpolitik manifestiert oder reproduziert, wird versucht, die entschiedenen Kräfte zu mobilisieren. Ziel ist es, durch direkten Widerstand und konkrete Solidarität statt über Delegation von Macht die Kräfteverhältnisse zu verschieben. So lässt sich heute einen Teil dazu beizutragen, um morgen das Ganzen zu verändern.

Die Tote packt die Lebenden

FILE: Baroness Thatcher Dies Aged 87Wenn die Linke den Tod Thatchers feiert, tappt sie in die Falle der Individualisierung, die Thatcher mit aufgebaut hat. Denn auch wenn eine alte Dame gestorben ist, lebt ihre Politik weiter. Etwa in der Form, dass ihre früheren Feinde – die britische Labout Party an vorderster Front – ihre Politik längst übernommen haben.

Aus der Printausgabe des vorwärts vom 10. Mai 2013. Unterstütze uns mit einem Abo!

Der Tod Margaret Thatchers am 8. April 2013 war ein bemerkenswertes Ereignis in mindestens zweifacher Hinsicht. Einerseits wurde die anhaltende Wirkmacht einzelner ideologischer Elemente des Neoliberalismus sichtbar und andererseits bot die Beerdigung ein Beispiel für den bitteren Witz der -Dialektik. Die ehemalige Premierministerin Grossbritanniens (1979–1990) war früh Teil der neokonservativen und neoliberalen Bewegungen. Sie entwickelte ihre Ideologie auf der Grundlage von Werken neoliberaler Intellektueller wie zum Beispiel Friedrich August von Hayek und Milton Friedman. Bekannt wurde sie nicht nur durch ihre antisoziale Politik und den Kampf gegen die Gewerkschaften, sondern auch als jemand, die den Neoliberalismus popularisierte.

Bekannt wurde unter anderem ihr Ausspruch von 1987: «There is no such thing as society. There are individual men and women, and there are families.» («Es gibt nicht so etwas wie Gesellschaft. Es gibt individuelle Männer und Frauen, und es gibt Familien.») Den radikalen Individualismus brachte sie gegen den Sozialstaat in Anschlag. In anderen Bereichen gab es dann sehr wohl Gesellschaft und Staat, insbesondere beim Rückgriff auf Polizei und Armee. Thatcher stieg bald zu einer Art Superindividuum auf. Sie machte den Neoliberalismus, sie zerstörte die Gewerkschaften, sie führte den Falklandkrieg. Bertolt Brecht warnte in seinem Gedicht «Fragen eines lesenden Arbeiters» vor diesen Formen von Individualisierung («Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?»). Wenn also Linke meinen, den Tod Thatchers feiern zu müssen, so tappen sie selber in die Falle der Individualisierung, die Thatcher mit aufgebaut hat.

Langer Kampf gegen den Staat

Thatcher hat schon lange Zeit vor dem Regierungsantritt gegen den Staat gewettert. Im anderweitig bekannten Jahr 1968 verfasst sie ein Pamphlet («What’s Wrong with Politics?»). Darin kombinierte sie die antistaatliche Rhetorik mit der ideologischen Anrufung der Subjekte als «selbstverantwortlich». Staat und Bürokratie sollten mehr oder weniger zum Verschwinden gebracht werden (das ist eines der neoliberalen Hauptthemen). Das Resultat, unter anderem gerade als Resultat von Thatcherismus und Reaganomics ist das Gegenteil: Staat und Bürokratie wurden ausgebaut und vermehrten sich in einem historisch noch nie dagewesenen Mass. Der Staatsausbau ging aber mit einem radikalen Umbau einher: Alle Bereiche des Sozialen wurden drastisch abgebaut, dafür wurde der repressive Staatsapparat und der marktradikale Staat ausgebaut. Soviel zur Dia-lektik kollektiven neoliberalen Handelns. Die Pointe bildet dann das pompöse und millionenschwere Begräbnis Thatchers.

Sich mit Thatcher zu beschäftigen, bedeutete aber auch, sich mit schweren Fehlern der Linken auseinanderzusetzen. Im Sog von 1968 gingen warnende Stimmen unter. Der Ökonom David A. Collard veröffentlichte im Oktober 1968 ein Traktat («The New Right: A Critique»). Er warnte, wie sich später herausstellte, vergeblich vor dem Aufstieg des Neoliberalismus, den Think Tanks sowie einer Schar von Intellektuellen und PolitikerInnen. In die Euphorie dieses Jahres mochte Collard nicht einstimmen, denn seine Sorge bestand darin, dass die Linke erfolgreich von der Neuen Rechten ausgehebelt würde. Was sich leider bewahrheiten sollte.

Von der Dritten Welt lernen

Längst war das neoliberale Feld bestellt. Es begann die Zeit des sukzessiven Umbaus der Gesellschaft (die gibt‘s), der Ideologie, der Moralvorstellungen usw. Und es war nicht zuletzt die Regierung von Thatcher, die das tat, wovon die Linke immer geredet hat: Von der «Dritten Welt» lernen, in diesem Falle konkret von den blutigen Diktaturen in Chile und anderen Ländern Lateinamerikas. Diverse Instrumente und Politiken wurden übernommen, so zum Beispiel die «Schocktherapie», um soziale und solidarische Strukturen zu zerstören.

Wer eine deutliche Kritik des Thatcherismus sucht, sollte sich (wieder einmal) den Film Peter Greenaways von 1989, «The Cook, the Thief, His Wife and Her Lover», ansehen. Greenaway erklärte, der Film sei eine Allegorie auf die Regierung Thatchers. Der Film verbindet die Kritik am Thatcherismus mit der französischen Revolution, die sich 1989 zum zweihundertsten Mal jährte. Die Errungenschaften der Revolution werden brutal unterdrückt oder beseitigt. Eindringlich werden die neoliberalen Gewalt-formen in einer anderen, sehr eindringlichen und bildstarken Sprache gezeigt. Der Dieb, Albert Spica, tritt einem Mann in die Hoden und meint knapp: «Das ist es, was diese Leute brauchen. Kurze, scharfe Schockbehandlungen.» Lachen kann man über alles, aber nicht über die Ware, und sei diese noch so ausgefallen wie «menschliche Milch». Spica scharf zu Cory, einem Bandenmitglied: «Mach keine Witze. Sie [die menschliche Milch] ist eine kostbare Ware, nicht eine witzige Sache.» Wie aktuell der Film ist, wird deutlich, wenn Spica auf die Qualität zu sprechen kommt. Wir leben ja in einer Zeit, in der es nur so von Qualitätsmanagment usw. wimmelt. Qualität wird garantiert, kontrolliert, ausgewiesen, überwacht. Spica: «Ich repräsentiere Qualität hier herum.» Er bietet «Qualität und Protektion», wie heutzutage Qualitätszertifizierungsinstitutionen.

Individuell betrachtet ist Thatcher tot, gesellschaftlich ist vieles, wofür sie (mit tausenden Anderen) kämpfte und was sie in der Politik umsetzte, allzu lebendig. Erfolg ist, wenn der Gegner von ehedem, sich zu dem gewandelt hat, was man selbst vertrat. In ihre Fussstapfen trat Anthony Blair, und aus Labour wurde New Labour, unter anderem eine Adresse für Privatisierungen. Eine kritische Linke hat vor wie nach Thatchers Tod genug zu tun. Sie sollte sich auf ihre Aufgaben konzentrieren. Wenn sie sich mit Thatcher beschäftigt, so sollte sie sich auch selbstkritisch mit der eigenen Geschichte beschäftigen.

Wie angekündigt, ruhen wir nicht!

kein_abrissLiebe Nachbarn, Liebe Interessierte, Liebe Medienschaffende und UBS

Wir, die extended Version der Familie Wucher, ca. 150 Menschen haben heute, dem  7. Mai 2013 am Nachmittag das gesamte Koch-­?Areal an der Ecke Flüela-­?/Rautistrasse besetzt. Wir sind die bisherige Familie Wucher (seit März 2013 BewohnerInnen des Blauen Hauses), die Familie Zauber (seit Januar 2013 mit dabei) und AktivistInnen der ASZ.

Das Areal und sämtliche sich darauf befindenden Gebäude gehören der UBS AG und stehen seit März 2013 leer. Die UBS sieht vor, die Bauten schnellst möglich abzureissen, was eine jahrelange Brache zur Folge hätte.

Ein konkretes Bauprojekt der UBS AG liegt bis heute nicht vor. Ihre Idee ist es, einen privaten Gestaltungs-­?Plan zu realisieren. Vor Baubeginn bedarf es etlichen Schritten wie einer Ausarbeitung eines Neubauprojektes, Verhandlungen mit der Stadt, einer Umzonung und einer öffentlichen Ausschreibung. Erfahrungsgemäss und in Anbetracht der Grösse des Areals dauert dies mehrere Jahre. Nach eigener Aussage der UBS AG ist ein Baubeginn frühestens 2016 möglich. Ersichtliche Gründe für einen Abriss liegen also nicht vor.

Um den Abriss auf Vorrat zu verhindern und auf die Missstände in der Stadtentwicklung aufmerksam zu machen, haben wir im April 2013 eine Petition an den Zürcher Stadtrat eingereicht.

In der Stadt Zürich herrscht akute Wohnungsnot und es fehlt an alternativem Kulturangebot und unkommerziellen Räumen. Deshalb wollen wir hier, auf diesem Areal, unsere Ideen und unsere Vorstellungen von Freiraum verwirklichen. Die Besetzung soll eine Plattform und Treffpunkt sein für Diskussionen, Aktionen, kulturellen Austausch, Handwerk, Kreativität, Musik, Bewegung, Lernen und Zusammenleben.

Wir freuen uns über Besuche, Unterstützung, Kritik und eine gute Nachbarschaft!

Am 11. Mai veranstalten wir hier ein Sommerfest und ihr seid Alle herzlich eingeladen!

13’000 in Zürich

OLYMPUS DIGITAL CAMERA13’000 TeilnehmerInnen an starkem und kämpferischen 1. Mai 2013

An der 1.-Mai-Demonstration in Zürich haben rund 13’000 Personen teilgenommen. Der grosse und vielfältige Demonstrationszug führte über den Bahnhofplatz und das Limmatquai zum Bellevue und von dort zum Bürkliplatz. Dort fand auch die Abschlusskundgebung mit spannenden und kämpferischen Reden statt. Nun steigt auf dem Kasernenareal der 1. Tag des grossen 1.-Mai-Fests. Gefeiert wird in diesem Jahr auch am kommenden Wochenende. 

Für das 1.-Mai-Komitee sprach der Griechische Streikführer Panagiotis Katsaros. Er sprang kurzfristig für die erkrankte Sofia Roditi ein. Die Sprecherin des Frauenkomitees im Stahlwerk von Aspropyrgos musste ihren Aufritt deshalb absagen. Katsaros rief alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dazu auf für ihre Anliegen zu kämpfen. In seiner Rede übte er auch starke Kritik an der Sparpolitik der Europäischen Union. „Sie meinten, dass Griechenland eine einmalige vorübergehende Sache ist, weil die Griechen faul sind und sie denken, dass  wir unsere Lehre bekommen müssen, damit wir Europäer werden!“ Laut Katsaros wurde ursprünglich ein Europa der Völker versprochen. Heute sei es ein Europa der Banken und Gier.

Der ebenfalls eingeladenen Abdullah Öcalan konnte seine Rede aufgrund seiner Inhaftierung nicht halten. In einer Grussbotschaft rief er dazu auf, dass die Völker heute in der Lage sein sollten in Friede und Würde miteinander zu leben und das veraltete Nationalstaatendenken zu überwinden. Seine Grussbotschaft finden sie unter www.1mai.ch

Marina Carobbio, SP-Nationalrätin und Präsidentin des Mieterverbandes Schweiz, prangerte in ihrer Rede die Abzocker-Mentalität an, die auch in der Schweiz überhandgenommen habe: „Der gierigste Abzocker, CS-Chef Brady Dougan, zahlt sich selber 1820mal mehr aus, als der Angestellte mit dem tiefsten Lohn verdient. Das hat nichts mit Leistung und Verantwortung zu tun, sondern mit unanständiger Gier.“ Carobbio erinnerte daran, dass am 1. Mai weltweit Millionen von Menschen auf die Strasse gehen, um sich gegen Diskriminierung, Ungleichheit und Unterdrückung zu wehren und für Solidarität, Freiheit und soziale Gerechtigkeit einzustehen. Alle verbinde die Hoffnung und die Überzeugung, dass eine gerechtere Gesellschaft möglich sei: „Es ist höchste Zeit für mehr Gerechtigkeit!“

Susi Stühlinger, Autorin, Journalistin und AL-Kantonsrätin in Schaffhausen, konfrontierte die Arbeitgeber mit den alten, aber leider immer noch aktuellen und zentralen gewerkschaftlichen Forderungen: „Was wollen wir neue Forderungen stellen, wenn ihr euch weigert, die alten zu erfüllen?“ Sie hielt fest: „Wir sind mehr als eure Produktionsfaktoren, die ihr zusammen mit der Produktion verlagert und vernichtet habt – wir sind Menschen aus Fleisch und Blut, nicht Kostenfaktoren, Gewinnmaximie­rung und Shareholdervalues.“ Und im Namen von allen forderte sie alles, für alle.

Für das 1.-Mai-Komitee waren die Demonstration und die Schlusskundgebung ein Erfolg. Als Dachorganisation von über 60 Gruppen mobilisierte das 1.-Mai-Komitee Tausende von Menschen. Der Demonstrationszug durch die Zürcher Innenstadt verlief wie jedes Jahr friedlich. Im Anschluss an die Schlusskundgebung geht das 1.-Mai-Fest auf dem Kasernenareal weiter. Das Fest findet in diesem Jahr auch am kommenden Wochenende statt.

Das 1.-Mai-Komitee vereinigt als Dachorganisation über 60 Gruppen. Dazu gehören Linksparteien, SP-Sektionen und Gewerkschaften, Komitees, Migrantenorganisationen, ausländische Linksparteien, Befreiungsorganisationen und Kulturgruppen.