Il violino die Cervarolo

cervarolo-violino_cervarolo-1Vor dem Film wird jeweils ein kurzer Überblick zum historischen Kontext und den aktuellen Prozessen gegeben, danach steht Zeit für eine Diskussion mit den Filmemachern zur Verfügung. Für Übersetzung ist gesorgt.

Zum Film

Während des Zweiten Weltkriegs, kurz bevor er selbst an die Front geschickt wird, vertraut Virgilio Rovali, ein Geiger aus dem Appennin bei Reggio Emilia, der Mutter seine wertvolle Geige an. Er ist noch nicht nach Hause zurückgekehrt, als im März 1944 seine und viele andere Familien aus dem kleinen Dorf Cervarolo Opfer eines Massakers durch deutsche Wehrmachtseinheiten und italienische Faschisten während einer grossangelegten Vergeltungsaktion werden. Mit Hilfe der Erinnerungen derer, die als Kinder damals alles mit ansehen mussten und den Überlieferungen seiner Familie, versucht Italo, der Sohn Virgilios, fast siebzig Jahre danach die Verantwortlichen für das Verbrechen zu finden.

Dank seiner unermüdlichen Nachforschungen und den Ermittlungen einer Gruppe von Staatsanwälten wird endlich ein Prozess eröffnet. Die Tragödie des Massakers hat für immer das Leben von Italo und seiner Familie gezeichnet. Seine Erinnerungen leben im Laufe des Prozesses wieder auf, einschliesslich der unglaublichen Geschichte der Geige seines Vaters.

«Il Violino di Cervarolo» beschränkt sich nicht auf Geschichte und Erinnerung; gleichzeitig dokumentiert der Film die Kriegsverbrecher-Prozesse vom vergangenen Jahr in Verona aus der Perspektive der Überlebenden und Angehörigen und gibt diesen eine Stimme.

75 Min., Italien 2012, Italienisch mit deutschen Untertiteln

Freitag, 11. Januar: St. Gallen, Kinok, 19.30 Uhr
Samstag, 12. Januar: Luzern, Sentitreff, 19.30 Uhr
Sonntag, 13. Januar: Zürich, Kino Xenix, 14.30 Uhr

 

Ins «heute» tragen

Der Dokumentarfilm zeigt, wie wichtig heute Erinnerung an vergangene aber nicht vergessene Ereignisse, die nichts von ihrer Aktualität eingebüsst haben, ist. Während des Prozesses von Verona wurden im Juli 2011 sechs Offiziere/Unteroffiziere der Wehrmachtseinheit «Herman Göring» in Abwesenheit zu lebenslangen Haftstrafen und Entschädigungszahlungen verurteilt. Von diesen sechs sind drei im Oktober 2012 in zweiter Instanz freigesprochen worden. Drei lebenslängliche Strafen sind bestätigt worden, aber trotz dieser Verurteilung erwartet die Täter keine Strafe, da Deutschland ihre Auslieferung verweigert. Ähnlich ist das Kräfteverhältnis bei den zivilrechtlichen Schadenersatzforderungen für Kriegsverbrechen. Von Italien und Griechenland rechtskräftigt zu Entschädigungszahlungen verurteilt, hat Deutschland im Februar 2012 vom internationalen Gerichtshof in Den Haag seine «Staatenimmunität» zugesichert bekommen.

Das beruhigt im Hinblick auf die nächsten Kriege…

Das Urteil von Verona hat darum nur symbolische Ausstrahlung – die Täter sind benannt und die kollektive Erfahrung anerkannt worden, zumindest teilweise. Entschädigungen für die Überlebenden und Angehörigen, die ihr Leben lang unter den Traumatisierungen und materiellen Folgen der Massaker leiden mussten, werden aber genauso unerfüllte Forderungen bleiben, wie die späte Konfrontation und Strafbarkeit der Nazi-Täter.

Um dieser Situation nicht ohnmächtig und untätig entgegen zu stehen, wird «Il Violino di Cervarolo» die Erinnerung an die Vergangenheit ins «heute»  tragen, unter anderem dorthin wo die Täter heute wohnhaft sind.

Weitere Informationen:

http://maipiufascismo.blogsport.de

http://www.istoreco.re.it

«Kein Vergeben, kein Vergessen! Nie wieder Faschismus!»

 «Vogliamo giustizia! La memoria non si cancella! Mai più fascismo!»

Im Staate der Eidgenossen

eidgenNun liegt bekanntlich unsere Eidgenossenschaft auch in Europa, sogar mitten drin (geographisch), aber nicht dabei (politisch). Egal. EU hin oder her. Fakt ist, dass wir unsere geliebte Schweiz genauso – wenn nicht noch aggressiver und  massiver – abschotten wie die EU mit ihrem Territorium auch tut. Wer es nicht glaubt, soll bitte kurz auf www.asyl.ch gehen.

Aus dem vorwärts vom 21.Dezember 2012, unterstütze uns mit einem Abo.

Aber, was konkret schotten wir den ab? Unsere Arbeit? Ist es die Angst, unsere Stelle zu verlieren, weil ein Heer von Flüchtlingen –wenn möglich noch aus Nordafrika –  den helvetischen Arbeitsmarkt überflutet und wir deswegen die Kündigung erhalten? Na ja, ehrlich gesagt, besteht diesbezüglich wohl eine viel grössere Gefahr: Jene der Manager und Verwaltungsräte. Wie hoch ist die reelle Gefahr und Wahrscheinlichkeit, dass wir den Job wegen dem Entscheid der Chefetage der Firma verlieren, für die wir arbeiten? Und wie hoch ist die reelle Gefahr und Wahrscheinlichkeit, dass wir den Job wegen eines tunesischen Flüchtlings verlieren?

Schotten wir unseren Wohlstand ab? Was genau ist dieser Wohlstand? Die zwei Wochen Sommerurlaub an der tunesischen Mittelmeerküste? Kein Flüchtling der Welt wird uns die schönste und wohlverdiente Zeit im Jahr klauen. Wie soll und könnte er auch? Die einzige Gefahr besteht darin, dass beim Hinflug zwei bis drei Polizisten mit einem «Ausschaffungshäftling» im gleichen Flugzeug sitzen. Aber keine Panik: Sobald dieser unbeliebte Passagier stören sollte, werden die geschulten Polizisten ihn rasch zum Schweigen bringen. Es besteht daher überhaupt keine Gefahr für unsere Ruhe und Sicherheit.

Geht es um unser Geld? Bisher ist noch kein Fall bekannt, dass wegen einem Flüchtling einem Eidgenossen das Bankkonto durch den Staat konfisziert worden ist. Mal abgesehen davon: Was heisst hier «unser Geld»? Drei Prozent der in der Schweiz wohnhaften privaten Steuerpflichtigen haben gleich viel Nettovermögen wie die restlichen 97 Prozent! Unser Geld?  Die Vermögen der 300 Reichsten stiegen in den letzten zwanzig Jahren von 86 auf 460 Milliarden an, das ist ein Zuwachs von 395.6 Prozent. Die Kurve auf der Tabelle der Reallohnentwicklung ist weit weniger steil und macht bei knapp zehn Prozent halt. Unser Wohlstand?

Schotten wir unsere Religion ab? Unsere christlichen Werte wie Menschlichkeit, Barmherzigkeit, Solidarität und Hilfsbereitschaft? Wen wir diese Werte verteidigen, dann müssen wir uns ehrlich und nicht nur oberflächlich fragen, wie wir mit den Schwächsten in unserer Gesellschaft umgehen. Der Umgang mit den Schwächsten ist bekanntlich der Gradmesser der Zivilisation einer (christlichen) Gesellschaft. Zu den Schwächsten in unserem Land gehören nun mal auch die Flüchtlinge. Wir müssen uns also die folgende Frage stellen: Ist es menschlich und barmherzig, Flüchtlinge in ein Lager zu stecken?

Aber eben, bald ist ja Weihnachten und dann haben wir wenig Zeit, um uns so viele Fragen zu stellen. An Weihnachten müssen wir besinnlich und in Frieden den Geburtstag eines Ausländers im Kreise unserer Familie feiern. Das kann auch anstrengend sein. Zum Glück kommt dann bald Silvester und wir haben einen Grund, unsere Sorgen im Alkohol zu ertränken – mögen sie sogar versaufen und nie mehr an die Oberfläche kommen. Und am 3. Januar müssen wir ja dann eh alle wieder zur Arbeit. Dann haben wir fleissige Eidgenossen sowieso Stress und keine Zeit, uns mit so Scheissfragen zu beschäftigen.

Vorwärts ins 2013 geliebte Eidgenossenschaft!

Europa spielt mit dem Feuer

Tausende Menschen beteiligen sich Flüchtlingsdemo in BerlinFriedensnobelpreis für die Europäische Union? Schlechte Realsatire oder dadaistische Selbstinszenierung, könnte man sich jetzt laut fragen. Oder einfach etwas Balsam auf die krisengeschüttelte Seele der europäischen Zwangsgemeinschaft? Schliesslich hat die EU sonst grad nicht viel zu jubilieren.

Aus der Sonderbeilage zur Jahresendnummer vom 21.Dezember. Unterstütze uns mit einem Abo.

«Wir werden stets auf der Seite derjenigen stehen, die nach Frieden und Menschenwürde streben» sagte EU-Kommissionspräsident Barroso in seiner Rede bei der Preisverleihung in Oslo am 10. Dezember. Schöne Worte! Ob Herr Barroso mit dem «Streben nach Menschenwürde» auch an die wagemutigen «Boat People» gedacht hat?  Alleine 2011 ertranken im Mittelmeer gemäss offiziellen Statistiken über 2300 Menschen, beim Versuch nach Europa zu kommen. Ein neuer, trauriger Rekord. Seit 1993 sind insgesamt 18000 Menschen an den Aussengrenzen Europas gestorben. Das sind die offiziellen Zahlen, die Dunkelziffer dürfte noch viel höher liegen.

Verschiedene erschütternde Berichte belegen zudem, dass immer wieder in Seenot geratenen Flüchtlingsschiffen die Rettung verweigert wird und die Menschen ihrem Schicksal überlassen werden. Ziemlich viele Tote für einen Kontinent des Friedens. Da wäre das Bekenntnis, man stehe zwar zu Freiheit, Menschenrechten und sozialem Wohlstand, nur wolle man sie nicht teilen, wohl ehrlicher gewesen. Europa mit seinen zwei Gesichtern: Für die einen existiert das Europa der freien Fahrt für freie Bürger, für die anderen warten Internierungsknäste, wo selbst Kinder hungern und in Urinlachen schlafen, wie unlängst ein schockierter François Crépeau, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Menschenrechte von MigrantInnen, nach einem Besuch in griechischen Internierungslagern feststellen musste. 

In Europa gestrandet

Gerade in Mittelmeerländern wie Griechenland oder Malta ist die Situation besonders prekär und angespannt. Auf Grund des Dublin-Abkommens entziehen sich die wohlhabenden Staaten Mitteleuropas ihrer Verantwortung, denn für die Bearbeitung eines Asylantrages ist ausschliesslich das Land der Erstankunft zuständig. Reisen Flüchtlinge trotzdem weiter und stellen in einem anderen Land ihr Asylgesuch, werden sie umgehend mittels Fingerabdrücken und biometrischen Daten identifiziert und zurückgeschafft. Länder wie Griechenland werden so zu Bollwerken der Festung Europa umfunktioniert.

Heute sollen alleine in Athen über 100000 Illegale leben. Viele von ihnen obdach- und mittellos und ohne Perspektive. Die Chance überhaupt ein Asylgesuch in Griechenland stellen zu können, liegt praktisch bei null. Nicht mal da hält Europa, was es verspricht. Kein Wunder, dass die EU Griechenland nicht fallen lassen wird. Die neuen Armenhäuser Europas werden mit den Armen der Welt gefüllt. Da verwundert es auch nicht, wenn im antifaschistisch geprägten Griechenland eine offen neonazistisch auftretende Partei wie die «Goldene Morgenröte» gemäss aktuellsten Umfragen bis zu 18 Prozent Wähleranteil erreicht und mit diesem Ergebnis die dritt stärkste Partei wäre. Europa spielt mit dem Feuer.

Scharfmacher Schweiz

Im innereuropäischen Wettbewerb um die asozialsten Gesetze und besten Vergrämungsstrategien gehört die Schweiz zu den fleissigsten Platzhirschen. Kein Jahr vergeht, in dem die Ausgrenzungsmaschinerie mit neuen Gesetzen nicht noch tödlicher und effizienter gestaltet wird. Kein Jahr, in dem die Schrauben nicht noch mehr angezogen und neue Notstandsgesetze in Kraft gesetzt werden, obwohl ähnliche Gesetze längst schon bestehen. Europa hat sich satt gefressen und kackt moralisch ab. Die Schweiz gehört bei der mörderischen Politik der Wohlstandsverteidigung zu den zentralen Scharfmachern Europas. Die parlamentarische Linke spielt mit und schweigt, wohlwissend dass mit netten Worten über Ausländer derzeit keine Wahlen zu gewinnen sind. Und die SVP ist längst die europäische Gallionsfigur einer extremen Rechten schlechthin, auch wenn sie sich gern als Partei für alle darstellt. Doch falsch ist auch dieses Urteil nicht ganz, zumal die Mitte zunehmend weiter an den rechten Rand rückt.

Und sie kommen trotzdem

Egal wie hoch und tödlich die sichtbaren und unsichtbaren Mauern in und um Europa und in den Köpfen der Menschen sein mögen, die Verdammten dieser Erde, sie werden sich auch weiterhin auf den gefährlichen Weg in die reichen Ländern des Nordens machen – und dafür alles riskieren. Auf diese Realität hat das vereinte Europa bis heut keine gerechte Antwort gefunden. Je undurchlässiger diese Grenzen werden, desto mehr Tote wird es an den Aussenrändern der Festung Europa geben. Und das Perverseste, der tausendfache Tod wird durch Schlagworte wie «Menschenrechte» oder «Kampf gegen Menschen- und Frauenhandel» durchgesetzt und mehrheitsfähig gemacht. Arbeitslose senegalesische Fischer (die EU-Hochseeflotte lässt grüssen), die sich als Fluchthelfer betätigen, werden zu schleppenden Massenmörder hochsterilisiert und junge Frauen, die für etwas Glückseligkeit bereit sind, den eigenen Körper zu verkaufen, zu willenlosen Sklavinnen verklärt, die man ertrinken lässt, damit sie nicht ausgebeutet werden können. Angesichts dieses Zynismus passt der Friedensnobelpreis für die EU vielleicht doch grad wie die Faust aufs Auge. Die Stimmen in den Länder der Verdammten, die ein Ende der Kollaboration mit Europa sowie eine historische Aufarbeitung der Tausenden von Toten an den europäischen Aussengrenzen fordern, sie werden nicht leiser werden. Die neue Zeitrechnung, sie hat längst begonnen.

Auf Wiedersehen, good old Europe.

Referendum geschafft!

OLYMPUS DIGITAL CAMERAAm Tag 72 des Referendums gegen die dringlichen Verschärfungen des Asylgesetzes über 60’000 Unterschriften gesammelt. Davon wurden bereits 24’000 als gültig beglaubigt. Nichtsdestotrotz sammelt das Komitee auch in den verbleibenden vier Wochen weiter.

Nach gut zwei von drei Monaten ist das Referendum quasi zu Stande gekommen. «Es freut uns umso mehr, dass uns dies trotz der fehlenden Unterstützung diverser namhafter Organisationen und politischer Parteien gelungen ist», meint Andreas Lustenberger, Co-Präsident der Jungen Grünen Schweiz.

Die einzige Hürde, die das Referendum noch zu nehmen hat, ist die Beglaubigung durch die Gemeinden. «Wir haben zwar schon über 50’000 Unterschriften versandt, bleiben aber bis zum letzten Moment dran, um ganz sicher zu gehen», meint Karin Jenni vom Sekretariat des Referendum-Komitees. «Bislang konnten wir auf eine zügige Mitarbeit seitens der Gemeinden zählen. Das ist sehr erfreulich!»

Das relativ rasche Zustandekommen der Unterschriften ist als starkes Zeichen gegen weitere Verschärfungen im Asylgesetz zu werten. Der Dank des Komitees gilt deshalb der Zivilbevölkerung sowie den zahlreichen an der Unterschriftensammlung beteiligten AktivistInnen und Gruppierungen

Studidemo in Ankara von Polizei attackiert – Student in Lebensgefahr

18.12.2012 – Eil-Kurzmeldung:
Demonstration gegen den Besuch des Ministerpräsidenten Erdogan an einer Universität in Ankara. Mehrstündige Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstrierenden. Resultat: Zwei Schwerverletzte und zahlreiche weitere verletzte Studierende.

«Verkäufer der Wissenschaft und imperialistischer Marktschreier Tayyip [Erdogan], raus aus MET Universität»

Studierende von Wasserwerfern attackiert

Linkes Schild: Revolution& Sozialismus
Mittleres (unsicher): Polizei raus
Rechtes: Gleiche, freie Wissenschaft (Bildung)

Am Nachmittag und frühen Abend des 18. Dezembers 2012 protestierten gemäss gut unterrichteten Quellen 1000 Studierende an der Middle East Technical University (METU) in Ankara Türkei. Die Studierenden protestierten gegen den Besuch des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan an ihrer Universität. Erdo?an und seine AKP-Regierungspartei treiben seit Jahren die Privatisierung und Ökonomisierung der Hochschulen voran. Grund des Besuchs war aber der Start des Satelliten «Gokturk2» der türkischen Regierung und des türkischen Militärs. Der Satellit wurde am Montag, 18. Dezember um ca. 17:00 türkischer Zeit ins All geschossen. Der Start wurde von Erdo?an, hochrangigen Militärs und deren Entourage per Live-Übertragung an der METU beigewohnt.

Der Grund des Protestes war jedoch hauptsächlich gegen Erdo?an gerichtet und stand unter dem Zeichen des Protests gegen die «nationale und internationale Politik der Regierung.» Auf dem Frontransparent der Demonstration stand: «Verkäufer der Wissenschaft und imperialistischer Marktschreier Tayyip [Erdogan], raus aus METU»

Die 1000 Menschen starke Demonstration setzte sich um 15:50 in Bewegung und wurden um 16:15 ohne Vorwarnung von den 3000 Polizistinnen und Polizisten mit Gummigeschossen, Reizgas und 8 Wasserwerffern attackiert. Zwei Studierende erlitten schwere Verletzungen. Ein Student, Baris Barisik, schwebt in Lebensgefahr. Zahlreiche weitere Studierende wurden während den mehrstündigen Auseinandersetzungen mit der Polizei ebenfalls verletzt. Unsere Quellen sprechen von mindestens deren 20. Um 22:45 soll die Polizei gerufen haben «Keine Verhaftungen mehr, nur noch knüppeln und (liegen) lassen.»

 

 

Zwei Videos zu der Demonstration und den Auseinandersetzungen mit der Polizei sind hier zu finden.

 

 

 

Verschiedene Bilder der Demo in Ankara

Verschiedene Bilder der Demo in Ankara

Öl in die Abwärtsspirale

Die meisten Kantone budgetieren für 2013 ein Defizit. Deshalb wollen sie sparen, vor allem auf dem Buckel des öffentlichen Personals. Dieses aber beginnt sich zu wehren. In bisher vier Kantonen entwickeln die Beschäftigten und ihre Verbände harten Widerstand.

Eine satte Mehrheit der Kantone sieht für das nächste Jahr ein Defizit vor. Um dieses möglichst rasch zu beseitigen, planen diese Kantone einschneidende Sparprogramme. Visiert ist ein Dienstleistungsabbau. Gemeinsam ist dem Potpourri an Vorschlägen zweierlei: Die Menschen werden weniger Dienstleistungen (weniger Züge, Busse, Schulstunden, Beratung, schneegeräumte Strassen etc.) in Anspruch nehmen können, und die Kantonsangestellten müssen büssen: mit Mehrarbeit, weniger Lohn, Stellenabbau oder einem Mix aus allem.

Kantone mit dem Rotstift beim Personal

Die folgenden Beispiele zeigen, wohin die Reise geht:

Das Tessin erwartet ein Defizit von 198,5 Mio Franken. Um dieses zu korrigieren, will der Kanton die Löhne des öffentlichen Personals um 2 % (1,8 bei den vom Staat unterstützten Unternehmen) kürzen.

In Genf budgetiert die Regierung im zweiten Anlauf ein Defizit von 191 Mio. Franken. Angesagt sind ein Personalabbau im Bereich Bildung/Erziehung, Einschränkungen bei der vorzeitigen Pensionierung sowie Lohnabbau.

St. Gallen budgetierte in einem ersten Anlauf ein Defizit von 230 Mio. Franken. Ende November hat der Kantonsrat eine Steuerfusserhöhung um 10 % und eine Entnahme aus dem Eigenkapital von 110 Mio Franken gutgeheissen. Das Defizit reduzierte sich so auf 27 Mio. Dennoch beauftragte die Legislative die Regierung, den Personalaufwand 2013 nach eigenem Gutdünken um 1 % zu kürzen. Gegenüber ursprünglichen Plänen (siehe unten) buchstabierte die Legislative jedoch zurück.

In Luzern will die Regierung nächstes Jahr 57,7 Mio. Franken sparen, 2014 soll der Sparbetrag auf 111,8 Mio. steigen. Zahlen soll auch hier das Personal: Der Aufwand dafür soll nur um 0,5 % wachsen statt wie ursprünglich geplant um 1,5 %, beabsichtige Bestandeserhöhungen bei der Polizei werden über mehrere Jahre gestaffelt statt unverzüglich vollzogen. In der Verwaltung werden 26 Stellen gestrichen, bei Bildung und Gesundheit wird der Sachaufwand gekürzt.

Zürich budgetierte ein Defizit von 157 Mio. Franken. Daraufhin zwang der Kantonsrat der Regierung ein Sparprogramm von 200 Mio. Franken auf. Die Regierung soll frei bestimmen, wo sie wieviel einspart.

Im Kanton Bern sollen geplante Lohnverbesserungen von 44 Mio. Franken abgesagt werden, dazu gesellt sich ein 53 Mio. schweres über alle Bereiche verteiltes Leistungsabbau-Paket.

In weiteren 11 Kantonen sind Sparmassnahmen angesagt. Nur gerade AG, VS, FR, BS, VD und UR kündigen für nächstes Jahr schwarze Zahlen an.

 „Gegen jede Fairness“

„Diese Abbaumassnahmen gehen gegen jede Fairness in den Arbeitsbeziehungen – und sie werden die Leute demotivieren. Zudem hat man im öffentlichen Dienst die Schraube der Arbeitsrhythmen so stark angezogen, dass jeder solche Abbau für die Service Public-Kund/innen unmittelbaren und sofortigen Leistungsabbau bedeutet,“ erklärt Dore Heim, die beim SGB u.a. für den Service Public zuständig ist. Heim sieht mit den Massnahmen auch die Attraktivität des Staates auf dem Arbeitsmarkt gefährdet: „Solcher Abbau ist ein negatives Signal an alle, die sich vorstellen können, im Service Public zu arbeiten.“ Der SGB warnt zudem vor kontraproduktiven Auswirkungen von Sparprogrammen. Sie sind konjunkturelles Gift – oder Öl in die Abwärtsspirale. Der SGB will denn auch die Finanzlage der Kantone genauer untersuchen. Erste Resultate sind auf Frühlingsbeginn 2013 zu erwarten.

Ob nun die Kantone zu pessimistisch budgetieren oder nicht: eines steht heute bereits fest. Die Einkommensverluste und damit die Defizite haben sie selbst verschuldet. Sie wollten Reiche und Unternehmen anlocken und senkten diesen die Steuern. Um nicht hintenanzustehen, zogen bald alle Kantone mit, was zu einem exorbitanten Steuersenkungswettbewerb führte. Folge: mangelnde Einnahmen überall. Das Beispiel St. Gallen zeigt die Dimension: Die aktuelle (2012 beschlossene) Steuerfusserhöhung macht bloss einen Viertel der in den Jahren und Jahrzehnten zuvor gewährten Steuersenkungen wieder rückgängig.

Widerstand formiert sich

In mehreren Kantonen regt sich nun aber Widerstand gegen den Abbau. Gewerkschaften und Personalverbände gehen gemeinsam dagegen vor.

In St. Gallen demonstrierten am 15. November an die 5000 Kantonsangestellte, „darunter das halbe Polizeikorps“ (NZZ) gegen die Sparmassnahmen. Sie erreichten zumindest, dass der Vorschlag eines 1,5 %igen Lohnabbaus fallen gelassen wurde. In Luzern gingen am 24. November gut 1500 Beschäftigte auf die Strasse, eine Petition wurde über 6000 mal unterzeichnet, und für den 10. Dezember, den Tag des Entscheides, ist ein Schülerstreik geplant. Im Tessin streikten unter VPOD-Führung die Staatsangestellten am 5. Dezember. Die meisten Schulen blieben geschlossen. An einer Protestdemo – um 15.00 in Bellinzona, also während der Arbeitszeit – fanden sich 2000 Menschen ein. Die Linke zeigt sich zuversichtlich, das Abbaubudget kippen oder zumindest die schlimmsten Giftzähne ziehen zu können. In Genf streiken die Service-Public-Beschäftigten heute (6. 12.). Vor allem an den Schulen und den Spitälern gärt es.

Die Gegenwehr formiert sich je nach Kanton unterschiedlich. Eine Bilanz ist aktuell noch nicht möglich. Für Dore Heim aber ist klar: „Wenn alle Personalverbände diesen Abbau zusammen entschlossen bekämpfen, dann werden sie ihn verhindern. Wir stellen hoffnungsvolle Zeichen der Abwehr fest.“

Autor: Ewald Ackermann / Quelle: www.sgb.ch

Behördliche Willkür

AusländerInnen, die wegen Krankheit oder einem Arbeitsunfall, Sozialhilfe beziehen müssen, werden von den Behörden zusätzlich bestraft, indem sie ihnen mit einem Bewilligungsentzug drohen. Dass die betroffenen Personen  unverschuldet in diese prekäre Situation geraten sind, wird von den Behörden oft nicht berücksichtigt. Die Verlängerung einer Bewilligung wird am Integrationsgrad, am Wohlverhalten und an der finanziellen Selbständigkeit der AntragsstellerInnen gemessen. Unfälle und Krankheiten sind nicht vorgesehen.  

In ihrem neuesten Fachbericht vom 10. Dezember 2012 beschäftigt sich die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht SBAA mit dem Thema Bewilligungsentzug bei Sozialhilfeabhängigkeit. Gestützt auf sieben dokumentierte Fälle wird deutlich, dass die Migrationsämter Bewilligungen aufgrund von unverschuldeten Notlagen und Arbeitslosigkeit entziehen. „Nach Lehre und Rechtsprechung darf das Gesetz jedoch nicht so ausgelegt werden. Die derzeitige Praxis des Bewilligungsentzugs aufgrund von Sozialhilfeabhängigkeit muss daher dringend revidiert werden“, fordert Stefanie Kurt, Geschäftsleiterin der SBAA.

Fakten und Beispiele

Die Unterhaltsregelung oder die Schwierigkeit eine Teilzeitstelle zu finden, ermöglicht es alleinerziehenden Müttern oft nicht einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Diesem Umstand ist im Einzelfall besonders Rechnung zu tragen. Aber auch hier entscheiden die Behörden oft gegen die betroffene Person. Die Bemühungen von AusländerInnen, sich beruflich zu integrieren, werden von den Behörden nur ungenügend berücksichtigt.

Stossend ist auch, dass AusländerInnen, die bereits sehr lange in der Schweiz wohnen und arbeiten, die Bewilligung allein aufgrund von Sozialhilfebezug entzogen wird. Oft haben nämlich die betroffenen Personen keine Bindung mehr zum Herkunftsstaat, der Entzug der Bewilligung ist somit unverhältnismässig.

Stärkung des Kindeswohls

Die SBAA macht erneut darauf aufmerksam, dass das in der Kinderrechtskonvention garantierte Kindeswohl  von den Behörden zu wenig gewichtet wird. So umfasst die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum „umgekehrten Familiennachzug“ derzeit nur Kinder mit Schweizer Staatsangehörigkeit. Der „umgekehrte Familiennachzug“ ermöglicht es dem sorgeberechtigten Elternteil aufgrund der Schweizer Staatsangehörigkeit des Kindes in der Schweiz zu verbleiben. Dennoch ist der SBAA ein Fall bekannt, wo der Mutter eines Schweizer Kindes der Entzug der Bewilligung angedroht wurde. Die Gewalttätigkeiten des Ehemannes führten dazu, dass die Vormundschaftsbehörde das Kind fremdplatzierte. Die entstandenen Kosten für die Fremdplatzierung des Kindes wurden ausschliesslich der Ehefrau angelastet, was zur Androhung des Bewilligungsentzugs der Frau führte.

Diese Rechtssprechung gilt übrigens nicht für Kinder mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung. Das ist störend, die Situation dieser Kinder muss mit Blick auf das Kindeswohl dringend verbessert werden.

Störend ist aber auch, dass die Behörden ihren Ermessensspielraum zum Teil sehr eng definieren und die Interessen der Schweizer Wirtschaft dabei sichtlich im Vordergrund stehen. Die prekäre Situation der betroffenen AusländerInnen bei plötzlicher Krankheit, bei Unfällen während der Berufsausübung, von Opfern von häuslicher Gewalt, und die dadurch bedingte Abhängigkeit von der Sozialhilfe, wird bei der Verlängerung von Bewilligungen oft negativ bewertet. Neben einschneidenden Ereignissen müssen die Betroffenen dann auch noch die behördliche Ablehnung verkraften. Die verlangten  Integrationsbemühungen werden dadurch dann oft zunichte gemacht. „Es ist behördliche Willkür, wenn bei der Verlängerung der Bewilligung allein das Kriterium der finanziellen Selbstständigkeit gilt“, sagt Ruth-Gaby Vermot, Präsidentin der SBAA. Erika Schilling von der Fachstelle für Migration- und Integrationsrecht fragt den auch im Vorwort des Fachberichts: „Wie ist das gemeint mit der Verfassungspräambel, dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen?“

Der Fachbericht ist auf der Website www.beobachtungsstelle.ch abrufbar.

Protestaktion gegen Blick am Abend

Rund 60 Personen, haben heute Nachmittag vor der Blick am Abend-Redaktion demonstriert, um gegen den falschen und rassistischen Blick-Titel «60 Prozent der Asylbewerber sind HIV-positiv» zu protestieren. Wir haben als MigrantInnen unsere  Würde verteidigt. Es ging dabei auch um einen Protest gegen die rassistische Berichterstattung der Blick-Medien allgemein.
Wir haben am Bellevue Flugblätter verteilt und sind Parolen skandierend zur Blick am Abend-Redaktion gelaufen. Nach einer kurzen Besetzung der Ringier-Büros an der Dufourstrasse 49 haben wir vor der Redaktion mit dem Chefredaktor Peter Rothenbühler diskutiert. Wir haben ihm gesagt, dass die Zeitung nur schlechte Bilder von Asylsuchenden und MigrantInnen allgemein zeigt. Wir haben gefordert, dass sie eine Entschuldigung gleich gross wie der falsche Titel druckt und dass sie allgemein ein besseres Bild von MigrantInnen zeichnet. Aber er hat unsere Forderungen nicht akzeptiert und leugnet, dass es eine rassistische Berichterstattung beim Blick am Abend gibt.
Wir sind zufrieden mit unserer Aktion, weil wir die Öffentlichkeit über Rassismus in den Zeitungen informieren konnten und weil die Blick am Abend-Redaktion uns zuhören musste. Eigentlich sind wir aber erst zufrieden, wenn allgemein ein besseres Bild von MigrantInnen in den Medien gezeichnet wird. Für die Zeitungen sind wir ein Thema, um Geld zu verdienen. Das ist eine Schande.

Weitere Infos und Kurzvideo auf  www.bildung-fuer-alle.ch.

Die Schweiz in den Top 10

Die Grösse der Schweizer Rüstungsgüter-Exporte trügt: In Tat und Wahrheit ist sie wesentlich höher, als dies die jährlichen Zahlen des Seco glauben machen wollen. Die Schweiz ist mittlerweile weltweit der zehntgrösste Exporteur von Kriegsgütern.

Aus dem vorwärts vom 7. Dezember 2012. Unterstütze uns mit einem Abo!

Seit Jahren veröffentlicht die zuständige Behörde Seco (Staatssekretariat für Wirtschaft) die Zahlen des Exportes von Kriegsmaterial aus der Schweiz, welche letztes Jahr ein Allzeithoch von 872,7 Millionen Franken erreichten. Dabei redet das Seco vorhandene Schlupflöcher in den Exportgesetzgebungen der Schweiz schön, insbesondere was die geltenden Ausschlusskriterien für Kriegsmaterial-Lieferungen an Länder betrifft, welche schwere Menschenrechtsverletzungen begehen oder sich an internen oder internationalen bewaffneten Konflikten beteiligen (wie im Falle der am Krieg in Afghanistan beteiligten Staaten). Diese veröffentlichten Zahlen umfassen einzig die Exporte unter dem Kriegsmaterialgesetz (KMG), obwohl diese nicht alle exportierten Rüstungsgüter umfassen. Nicht aufgeführt wird die Kategorie der «besonderen militärischen Güter», welche einzig in der Schweiz existiert. Diese Güter gelten nach der Wassenaar-Vereinbarung und der darin enthaltenen Definition der «Munitions-List» als Rüstungsgüter. Die Schweiz unterstellt deren Kategorien 14, 15, 18 und 22, dem viel lockereren Güterkontroll-Gesetz (GKG). Diese Kategorien betreffen unter anderem Militäroptik, militärische Simulatoren sowie militärische Trainingsflugzeuge von Pilatus mit Aufhängepunkten. Dass die gesamten Exporte von Rüstungsgütern aus der Schweiz höher sind, als nur die reinen Kriegsmaterial-Lieferungen, war schon lange klar, verlässliche Zahlen wurden bisher jedoch nicht publiziert.

Exporte für beinahe zwei Milliarden Franken

Erstmals veröffentlichte nun das Seco am 21. November 2012 im Rahmen eines Berichtes zur Beantwortung des Postulates Frick die wahren Ausmasse der Schweizerischen Rüstungsgüter-Exporte. Die  lapidare Feststellung auf Seite 22 dieses Berichtes lautet: «Im Jahr 2011 hat die Schweiz Rüstungsgüter im Wert von CHF 1977,4 Millionen exportiert, wovon 872,7 Millionen (44 %) auf Kriegsmaterial und 1 104,7 (56 %) auf besondere militärische Güter entfielen.» Mit diesem Ausmass an exportierten Rüstungsgütern klettert die Schweiz gemäss der Liste des schwedischen Friedensforschungsinstitutes SIPRI bis auf Rang 10 der weltweit grössten Rüstungsexporteure. Es ist bezeichnend, dass das Seco solche Daten erst jetzt publiziert und diese nicht schon während des Abstimmungskampfes für die Initiative zum Verbot von Kriegsmaterialexporten im Jahre 2009 bekanntgab. Die erstmalige Publikation dieser Daten ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, doch ohne genügend politischen Druck werden diese Zahlen voraussichtlich weiterhin nicht regelmässig veröffentlicht werden. Die getätigte Unterteilung in Kriegsmaterial und «besondere militärische Güter» ist eine rein deklaratorische Massnahme, um den Anteil der Schweiz an den weltweit exportierten Rüstungsgütern zu verschleiern. Die GSoA wird sich dafür einsetzen, dass das Seco endlich die Zahlen über das wahre Ausmass der Rüstungsexporte aus der Schweiz regelmässig veröffentlichen muss.

Mythos entzaubert!

In der Schweiz ist der Arbeitnehmerschutz nur schwach ausgeprägt. Das sei gut, behaupten viele ArbeitgeberInnen, denn so begründe sich die tiefe Arbeitslosigkeit. Diese bei Patrons so beliebte These hat aber einen kleinen Haken: Sie ist falsch. Das belegt das soeben erschienene Dossier Nr. 92 des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB).

Aus dem vorwärts vom 7.Dezember 2012. Unterstütze uns mit einem Abo!

Zwar ist es keine neue Erkenntnis, aber dennoch von höchster Aktualität: Der Arbeitnehmerschutz in der Schweiz ist mies! Im neuen SGB-Dossier  «Der ‹liberale› Arbeitsmarkt der Schweiz – Entzauberung eines Mythos» verweisen die Autoren Daniel Lampart und Daniel Kopp auf OECD-Studien, die belegen, dass die Schweiz hinsichtlich des Arbeitnehmerschutzes in vielen Bereichen auf den hinteren Rängen liegt. «Beim Kündigungsschutz etwa hat die Schweiz Rang 31 unter 34 erfassten Ländern inne. Nur unwesentlich besser schneidet die Schweiz bei Mindestlöhnen, befristeten Arbeitsverhältnissen und bei der Temporärarbeit ab», informieren die Autoren.

Schenkt man vielen ArbeitgeberInnen und WirtschaftsexpertInnen Glauben, dann ist der schwache Arbeitsschutz in der Schweiz ein Segen für alle in diesem Land. Sie verweisen dabei gerne aufs Ausland, wo Reformen im Arbeitnehmerschutz «à la Suisse» durchgeführt werden sollen, wie zum Beispiel in Italien. Die Schweizer Patrons geben offen zu, dass es hierzulande viel einfacher ist, den Beschäftigen zu kündigen. Dies sei aber ein wichtiger Grund dafür, dass mehr neue Betriebe in die Schweiz kämen und neue Stellen schaffen würden. Ihre Schlussfolgerung ist daher simpel: Schlechter Arbeitsschutz gleich tiefe Arbeitslosigkeit und daher soll am Arbeitsschutz nichts geändert werden. Doch so simpel diese Gleichung ist, so falsch ist sie. Sie vermittelt und propagiert schlichtweg pure neoliberale Ideologie.

Umdenken angesagt

«Wieso unterscheidet sich dann die Arbeitslosigkeit in Ländern wie Norwegen oder den Niederlanden kaum von derjenigen in der Schweiz?», fragen die Autoren des SGB-Dossiers. Diese beiden Staaten kennen nämlich einen ausgeprägten Arbeitnehmendenschutz. Die Studie von Lampart und Kopp verweist auf die richtige Kausalität zwischen Arbeitnehmendenschutz und Arbeitslosigkeit: «Der Zusammenhang dürfte gerade umgekehrt sein. Weil die Gefahr der Arbeitslosigkeit vor allem früher relativ gering war, haben die Schweizer Arbeitnehmenden einen schlechteren Schutz akzeptiert.»

Doch wirkt sich mittlerweile der schwache Arbeitnehmendenschutz markant negativ aus. Seit den 1990er Jahren ist die Arbeitslosigkeit in der Schweiz stark gestiegen. Atypische Arbeitsverhältnisse wie die Temporärarbeit nehmen zu. Temporärjobs bieten den Arbeitnehmenden im Vergleich zu Normalarbeitsverhältnissen ein geringeres Schutzniveau. Betroffen sind vor allem die ArbeiterInnen «in stark gewachsenen Dienstleistungsbranchen wie zum Beispiel Call Center, Kuriere, Kosmetikinstitute etc.», hält die Studie fest. Und die Autoren des SGB kommen zum Schluss: «Das Fazit ist klar: In der Schweizer Arbeitsmarktpolitik ist Umdenken angesagt.»

Dossier  «Der ‹liberale› Arbeitsmarkt der Schweiz – Entzauberung eines Mythos» zu finden unter www.sgb.ch

 

Neuer Angriff auf die Renten

Am 20. November kündete SP-Bundesrat Alain Berset an, mit einem «grossen Wurf» die Sozialwerke «sanieren» zu wollen. Konkret geht es ihm darum, das Rentenalter zu vereinheitlichen, den Umwandlungssatz bei den Pensionskassen zu senken und Zusatzeinnahmen über die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu generieren – oder anders formuliert: Das Kapital zu stärken und die Arbeiter-Innen zu schwächen.

Aus dem vorwärts vom 7.Dezember 2012. Unterstütze uns mit einem Abo!

Dass mit der Wahl eines sozialdemokratischen Bundesrates und seiner Übernahme des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) kein krasser Kurswechsel in Sachen Sozialpolitik zu erwarten war, konnte schon früh geahnt werden (vgl. vorwärts Nr. 27/28). Doch die Reformbestrebungen von Bundesrat Berset, AHV und Pensionskassen zu «sanieren», kommen einem massiven Angriff auf die Lohnabhängigen gleich. In seinem 25-seitigen Papier schlägt der SP-Bundesrat vor, das Rentenalter für Frauen von 64 auf 65 Jahren zu erhöhen und somit demjenigen der Männer anzugleichen; Mehreinnahmen für die AHV über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu generieren; den Umwandlungssatz der zweiten Säule – also den Prozentsatz des angesparten Kapitals, der den Pensionierten als Rente jährlich ausbezahlt wird – von aktuell 6,9 beziehungsweise 6,8 auf zwischen 6,4 und 5,8 Prozent zu senken. Dabei wird erneut klar, dass sich PolitikerInnen um «demokratische» Regeln foutieren, wenn es darum geht, die Kapitalbedürfnisse zu stillen. Denn die stimmberechtigte Bevölkerung hatte 2010 mit über 70 Prozent Nein zur Senkung des Umwandlungssatzes gestimmt.

Das Kapital stärken

Die Argumentation von Bundesrat Berset gleicht derjenigen von klassischen ÖkonomInnen. Die Reformschritte seien notwendig, um das Rentensystem finanziell zu stabilisieren und in Zukunft die Rentenauszahlung zu garantieren. Eine regelrechte «Win-Win-Situation» also. Doch Reformen sind nie «neutral», das wissen die RentnerInnen sehr gut, die täglich am Existenzminimum zu überleben haben. Bersets Pläne haben zum Ziel, den von den ArbeiterInnen produzierten Mehrwert den arbeitenden Klassen im Alter zu entziehen und ihn in Form von Profit den KapitalbesitzerInnen zu übertragen. Denn die Erhöhung des Rentenalters bedeutet zugleich die Erhöhung der Lebensarbeitszeit, während der Frauen weiter ausgebeutet werden; die Senkung des Umwandlungssatzes zielt ausschliesslich darauf, RentnerInnen tiefere Renten und somit den AktionärInnen der Pensionskassen die versprochenen Dividenden auszuzahlen; und die Erhöhung der Mehrwertsteuer wälzt die Last der Kosten vermehrt auf die arbeitenden und armen Klassen ab. Gerade dieser letzte Punkt muss im Kontext der Einführung von sogenannten «Schuldenbremsen» für Sozialversicherungen (vgl. vorwärts Nr. 43/44) verstanden werden.

Weitere Prekarisierung der Frauen

Besondere Auswirkungen werden diese Reformen auf Frauen haben. Aufgrund ihrer zementierten prekären Lage (vgl. vorwärts Nr. 35/36) sind Frauen oft aus der zweiten Säule ausgeschlossen und müssen im Alter mit einer äusserst bescheidenen AHV leben. Zudem bedeutet die Erhöhung ihres Rentenalters, dass sie einerseits die Doppelbelastung Arbeit-Familie länger ertragen müssen, andererseits länger in prekären Arbeitsverhältnissen verharren müssen. Auch aus geschlechtsspezifischer Perspektive haben die Reformbestrebungen von Bundesrat Berset also zur Folge, dass die weibliche Arbeitskraft länger ausgebeutet wird und somit dem Kapital dienen. Bundesrat Berset will auch den durchschnittlichen effektiven Altersrücktritt so nah wie möglich an 65 Jahren heranführen (heute bei Männern bei 64,1, bei Frauen bei 62,6 Jahren). Dieses Ziel blendet das Problem der Erwerbslosigkeit im Alter vollständig aus. Denn für Frauen – aber auch für Männer – ist es ab 55 Jahren kaum noch möglich, eine Stelle zu finden. Besonders betroffen von der Erwerbslosigkeit im Alter sind geringqualifizierte und im Niedriglohnsektor arbeitende Personen. Mit der Reduzierung der Möglichkeit der Frühpensionierung wird sich die Prekarisierung und die Armut im Alter somit noch einmal akzentuieren.

Gegenvorschläge?

Am 16. November 2012 hat die Delegiertenversammlung des schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) entschieden, im Frühjahr 2013 die Initiative «AHVplus» zu lancieren. Dadurch sollten RentnerInnen in Zukunft monatlich 10 Prozent höhere Renten bekommen. Der Vorschlag der Delegierten des VPOD (Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes), die Renten monatlich um 20 Prozent zu erhöhen, wurde mit dem Argument verworfen, die Initiative dürfe nicht «überladen» werden, wolle sie mehrheitsfähig bleiben.

Das Problem beim SGB liegt nicht nur bei seinem Bestreben, mehrheitsfähige Initiativen auszuformulieren, sondern vor allem bei seiner Argumentation. Erstens passt sich der SGB mit den Minimalforderungen an die «parlamentarische Logik» sozialpolitischer Debatten an. Schon heute ist klar, dass Bundesrat Berset seine Vorschläge nicht tel quel, sondern erst in einem längeren Prozess des «schweizerischen Konsens» umsetzen wird. Zweitens lautet die Losung des SGB «Rentenklau verhindern». Diese verweist auf «amoralisch» handelnde FinanzspekulantInnen und PolitikerInnen, die den ArbeiterInnen und RentnerInnen ein Stück des Kuchens rauben. Innerhalb der gegebenen «Sozialpartnerschaft» soll laut SGB darüber «abgestimmt» werden, wer wie viel des Kuchens erhalten soll. Damit bleibt unberücksichtigt, dass der Verwertungsprozess des Kapitals gerade im «Krisen-Kapitalismus» kaum mehr Spielraum hat, auch nicht für minimale Verbesserungen der Lage der arbeitenden Klassen. Somit beweist die sozialpolitische Debatte um das Renten- und Altersproblem einmal mehr, dass wir «aufs Ganze» gehen müssen, um überhaupt etwas erreichen zu können.