Unsere Schönheit bestimmen wir!

Seit Samstag 24. Septemberist die Liegenschaft an der
Hohlstrasse 485 im Labitzke Areal besetzt. In diesen drei Tagen haben sich mehr
als 50 Personen engagiert, um aus den ungenutzten und zugemüllten Räumen ein
Kulturzentrum zu schaffen, den AutonomenBeautysalon (ABs). Es haben verschieden
Aktivitäten im ABs stattgefunden. Konzerte mit internationalen Bands,
Volxküchen, Vorträge und Kunstaktionen. Nicht zuletzt sind wir und das Areal
schon viel schöner geworden. Mehr als 300Personen haben den ABs bis jetzt besucht,
ohne Konsumzwang oder rassistische Türsteher und bis jetzt ohne Tränengas oder
Gummischrot. Der ABs ist ein offener und alternativer Raum.

Bei zwei Besuchen von Vertretern der Mobimo, der
Eigentümerin, haben wir unsere Gesprächsbereitschaft und unsere Absicht, nicht
kommerzieller Kultur einen Raum zu geben klar unddeutlich kommuniziert. Mobimo
Holding AG, ein BigPlayer im Immobilienmarkt (Mobimo Tower) hat das Labitzke
Areal im Januar vom Rotlicht-ImmobilienhaiFredy Schönholzer übernommen, als
reines Spekulationsobjekt. Ihre konkreten Pläne sind bis jetzt nicht bekannt.

Mobimo spricht von laufenden Mietverträgen mit verschiedenen
Parteien als Räumungsgrund. Was wir jedoch auf dem Areal sehen, sind
heruntergekommene Baracken voller Sondermüll und Schrott des Vorbesitzers
Schönholzer. Eher wäre ein Dankeschön für unsere Aufräumarbeiten angebracht.
Alles in Allem eine dreckige Strategie um die Besetzung loszuwerden.

Wir verlangen von der Stadtpolizei, sich fern zu halten und
auf jede Gewaltanwendung zu verzichten. Ein autonomes Kulturzentrum ist nötig
für ZuReich. Selbstverständlich nicht für die Stadt der Spekulanten. Mit den
echten Mietern und Anwohnern des restlichen, nicht besetzen Areals stehen wir
in Kontakt und sind auch schon freundlich willkommen geheissen worden.

Wir haben das offizielle, staatliche, herrschende und koloniale Schönheitsideal satt. Was die Herrschenden als schöne Stadt verstehen: Teuere Wohnungen, Verdrängung von „unerwünschten“ Bevölkerungsgruppen (MigrantInnen, Arbeitslose, SozialhilfebezügerInnen, nicht profitorientierte Menschen, usw.) aus dem Stadtkern in die Peripherie, rassistische und gewalttätige polizeiliche Kontrolle, saubere und überbewachte Strassen, die von MigrantInnen geputzt und von konsumfähigen Leute belaufenwerden. Diese beauty Stadt wollen wir nicht. Wir teilen die hässliche Weltvorstellung der Kommerzgesellschaft nicht. Mit dieser Art von Beauty können wir nichts anfangen.

Nie mehr schöns Züri. Weniger Gehirnwäsche,
mehrSelbstbestimmung Unsere Schönheit bestimmenwir.

Weitere Aktivitäten werden auf unserem Blog angekündigt:

www.autonomerbeautysalon.wordpress.com

Streikwelle in Ägyptentrotz Ausnahmezustand

Nach der Erstürmung der israelischen Botschaft wurde in Ägypten der Ausnahmezustand wieder in Kraft gesetzt und es wurde angekündigt, mit harter Hand gegen Streikende vorzugehen. Prozesse gegen das alte Regime wurden vertagt.

Am 10. September finden in ganz Ägypten Grosskundgebungen statt. Es sind vorwiegend linke Organisationen, streikende ArbeiterInnen und Jugendgruppen, die auf die Strasse gehen. Auch auf dem Kairoer Tahrirplatz sind es an diesem Tag wieder Zehntausende, unter ihnen viele Ultras der beiden Vereine Zamalek und Al-Ahly. Aus gutem Grund: Die beiden Fanclubs werden an diesem Tag für ihre mutige Rolle während der Tage der Revolution von der Bewegung «geadelt». Gleichzeitig demonstrieren vor der israelischen Botschaft mehrere Hundert Personen. Später stösst ein Teil der DemonstrantInnen vom Tahrirplatz hinzu. Dort soll die gigantische Betonmauer, welche zum Schutz der israelischen Botschaft erst ein paar Tage zuvor errichtet wurde, demontiert werden. Sozusagen als symbolischer Akt, so der Konsens im Vorfeld. Am späteren Nachmittag strömen immer mehr Menschen vor die israelische Botschaft, gleichzeitig kommt es vor dem kilometerweit entfernten Innenministerium zu Krawallen. Und vor dem Kabinett protestieren zeitgleich Zehntausende Lehrer. Es ist viel los, an diesen Tagen am Nil. Später dann der Sturm einer wütenden Menge auf die israelische Botschaft. Während ein Grossaufgebot von Militär und Polizei während mehreren Stunden tatenlos zusieht. Erst als die Situation völlig aus dem Ruder läuft, greifen die Sicherheitskräfte ein. Die Folge sind stundenlange Strassenschlachten, drei Tote und über 1?000 Verletzte. Erst in den frühen Morgenstunden kehrt in Kairo allmählich wieder Ruhe ein.

 

Der Kater danach

Nach dem Botschaftssturm bleibt ein Scherbenhaufen zurück. Der Militärrat nutzt die Gunst der Stunde und setzt den Ausnahmezustand wieder in Kraft. Derweil haben Verschwörungstheorien rund um den Sturm auf die israelische Botschaft Hochkonjunktur. Gemäss verschiedenen Augenzeugen sollen die vier Männer, welche als erste in die Botschaft eindrangen, zuvor von der Militärpolizei zur Botschaft gebracht worden sein. Selbst ein Sprecher der radikal-islamistischen Salafisten, der zunächst den Botschaftssturm noch bejubelte, veröffentliche am Tag darauf die Meldung, dass hinter dem Angriff auf die Botschaft das ägyptische Militär stecken würde. Auch die Jugendorganisation «6.April», welche sich schon im Vorfeld von der Aktion distanzierte, bezichtigt den Militärrat die Proteste für ihre Interessen manipuliert und angeheizt zu haben. So sollen sich eine grosse Anzahl Mubarak-Anhänger und bezahlte Provokateure unter die Menge vor der Botschaft gemischt haben. Zumindest in einem Punkt sind sich alle Akteure einig: Der Botschaftssturm nützt nur den alten Seilschaften und dem Militärrat.

 

Schiessbefehl und Notstandsgesetze

In den folgenden Tagen werden mehrere AktivistInnen von der wieder aktiveren Sicherheitspolizei verhaftet. Die Regierung behauptet, sie seien am Angriff auf die Botschaft beteiligt gewesen und hätten sich deshalb vor einem der neuen Sondergerichte zu verantworten. AktivistInnen hingegen sagen, es handele sich um Oppositionelle, die auf dem Tahrirplatz waren und sich nicht am Botschaftssturm beteiligt hätten. Die ägyptische Redaktion von Al-Jazeera wird geschlossen und die Büros von 16 internationalen TV-Stationen werden durchsucht. Dabei werden Sendegeräte beschlagnahmt und MitarbeiterInnen verhaftet. Mehreren populären Fernsehmoderatoren wird ein Auftrittsverbot erteilt. Und Innenminister Essawy kündigt an, dass ab sofort jeder Angriff auf ein öffentliches Gebäude mit scharfer Munition beantwortet werde. Polizisten, welche sich nicht an den Schiessbefehl halten, sollen hart bestraft werden. Das Notstandsgesetz soll mit grosser Härte vor allem gegen «thugs» (Kriminelle) – so werden die Protestierende oft genannt – und Streikende (!) angewandt werden.

 

Landesweite Streiks

Trotz Ausnahmezustand sowie Demonstrations- und Streikverbot weiten sich die Proteste aus. So rufen die «Revolutionäre Jugendkoalition» und ein breites Bündnis politischer Parteien für Montag, 19. September, zu einem Marsch zum Kabinett in Kairo auf, um gegen die Reaktivierung des Notstandsgesetze, welches die grösste Bedrohung seit der Revolution darstelle, zu demonstrieren. Zuvor hatte schon die «Unabhängige Union der ägyptischen Lehrkräfte» ihre Drohung wahr gemacht. Pünktlich zum Beginn des neuen Schuljahres sind sie, trotz Ausrufung des Ausnahmezustandes, am 17. September landesweit in den Streik getreten. Es ist der erste Lehrerstreik seit 1951. Damals hatten die Briten in Ägypten noch das Sagen. Sie fordern höhere Löhne, kleinere Klassen und den sofortigen Rücktritt von Innenminister Essawy. Tatsächlich ist die Lage für ägyptische LehrerInnen ausgesprochen ungemütlich. So liegt der Monatslohn für eine Lehrperson in den ersten fünf Jahren bei rund 20 Franken. Selbst für ägyptische Verhältnisse ein sehr geringer Lohn. Die staatliche Nachrichtenagentur MENA berichtet, dass nur 140 Schulen (rund 0,6 Prozent) bestreikt würden. Die Realität ist wie immer eine Andere. Landesweit bleiben zu Beginn des neuen Schuljahres 90 Prozent der Schulen geschlossen, in einigen Regionen liegt die Quote gar bei 100 Prozent. Unabhängige ägyptische Medien sprechen von 65 bis 75 Prozent Streikbeteiligungen. Entsprechend aufgebracht ist man bei der Lehrergewerkschaft und wirft der staatlichen Nachrichtenagentur MENA gezielte Desinformation der ägyptischen Öffentlichkeit vor. Vielerorts werden die Lehrkräfte massiv unter Druck gesetzt und mit Gefängnis und den Notstandsgesetzen bedroht. Unterdessen sind in Oberägypten aus Protest gegen den Militärrat und die Wiederinkraftsetzung des Ausnahmezustandes Zehntausende ArbeiterInnen von Zuckerrohrraffinerien in den Streik getreten. Schon zuvor haben die Transportangestellten ihre Arbeit niedergelegt. Angestellte und StudentInnen besetzten am 11. September die «Amerikanische Universität». In Ägypten geht der Kampf um jeden Millimeter Freiheit ungebrochen weiter.

Boats 4 People

Die Liste der ertrunkenen oder verdursteten Boatpeople wurde immer länger in den vergangenen Monaten, die Situation ist und bleibt unerträglich. Vor diesem Hintergrund fordern antirassistische Netzwerke ein direktes Handeln, um dem tödlichen EU-Grenzregime Einhalt zu gebieten.

Mit der internationalen Initiative «Schiffe der Solidarität – das Sterben in Mittelmeer stoppen»  ist nun ein Projekt in Planung, mit dem Flüchtlinge und MigrantInnen auf ihrem Weg nach Europa durch unmittelbares Eingreifen vor Ort unterstützt werden sollen. Voraussichtlich Ende Oktober werden mehrere kleine Schiffe von Italien aus in See stechen, in entgegengesetzter Richtung zu den Fluchtrouten der Boatpeople: über Sizilien und Lampedusa bis zu verschiedenen Häfen in Tunesien. Das zunächst dreiwöchige Projekt zielt auf eine mediterrane Vernetzung, die ein dauerhaftes Monitoring zwischen der nordafrikanischen Küste und den südeuropäischen Inseln in Gang bringen will. Die skandalösen Vorgänge auf dem Meer sollen dokumentiert und öffentlichkeitswirksam angeklagt werden. Es soll alles dafür getan werden, dass Schiffbrüchige gerettet werden.

 

Offenheit und Solidarität gefordert

Über 2?000 Menschen sind allein seit Beginn des Jahres in dieser Region des Mittelmeeres ums Leben gekommen. Tausende stecken weiterhin in Wüstenlagern wie dem tunesischen Choucha oder im Bürgerkriegsland Libyen fest. Sie haben kaum eine andere Hoffnung als den riskanten Versuch zu wagen, in überfüllte und oft seeuntaugliche Boote zu steigen. Menschenrechtsorganisationen und antirassistische Netzwerke haben in den letzten Monaten in vielfachen Appellen die sofortige Aufnahme von Flüchtlingen gefordert: «Die Stimmen von Choucha stehen für das verzweifelte Aufbegehren gegen eine Politik der flagranten Menschenrechtsverletzungen, wie sie sich tagtäglich an vielen Brennpunkten der europäischen Aussengrenzen abspielen. Ein Bruch mit dieser Politik ist notwendig, um das Sterben auf See und in der Wüste zu beenden. Die Demokratiebewegungen in Nordafrika bieten die Chance für einen Neuanfang. Statt tödlicher Ausgrenzung und grotesker Bedrohungsszenarien müssen Offenheit und Solidarität die Zukunft des mediterranen Raumes prägen. Es braucht Brücken statt Mauern für ein neues afrikanisch-europäisches Verhältnis, damit Europa ein Raum wirklicher Freiheit, allgemeiner Sicherheit und der gleichen Rechte für alle wird», ist im Appell von «Voices of Choucha – Fluchtwege freihalten – Flüchtlinge aufnehmen» zu lesen.

An diese Forderungen und Ziele knüpft die Aktion «Schiffe der Solidarität» an, denn bisher lehnen die europäischen Regierungen die Aufnahme von Flüchtlingen rigoros ab. Vielmehr häufen sich Aussagen von Überlebenden, dass die Rettung von Bootsflüchtlingen, sprich die Aufnahme Geretteter bewusst verweigert und deren Tod in Kauf genommen wird. Die EU finanziert Flüge, um subsaharische MigrantInnen aus Tunesien in ihre Herkunftsländer zurück zu schicken. So zum Beispiel nach Mali, dessen ökonomische Situation als eines der ärmsten Länder der Welt dadurch weiter destabilisiert wird. Gleichzeitig verstärken die EU-Verantwortlichen den Druck auf die (Übergangs-)Regierungen der nordafrikanischen Länder, ihre Küsten lückenlos zu kontrollieren und mit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex zusammen zu arbeiten. Bei Nichterfüllen dieser Wachhund-Rolle werden Wirtschaftsabkommen verweigert. Völlig ignoriert wird, dass Tunesien etwa 500?000 Libyenflüchtlinge aufgenommen hat. Die Revolutionen in Nordafrika können die soziale und ökonomische Situation nicht über Nacht ändern. Aus dem Land selbst machen sich viele Menschen nach Lampedusa auf, um der Arbeitslosigkeit zu entkommen. Doch in Europa werden sie entwürdigend behandelt und so schnell wie möglich abgeschoben.

 

Breites Interesse

Aus Frankreich – vom euro-afrikanischen Netzwerk Migreurop – kam der Impuls für diese Initiative. Von Paris aus wird das «Boats 4 People»-Projekt auch koordiniert. Auf europäischer Seite wirken zudem Organisationen und Netzwerke aus Italien, Belgien, Holland und Deutschland mit. Aus Nordafrika sind einzelne Gruppen aus Marokko «an Bord», das grösste Interesse kommt allerdings aus Tunesien. Hier ist der revolutionäre Aufbruch bekanntlich noch längst nicht zum Erliegen gekommen, viele Aktive fiebern aktuell den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung am 23. Oktober entgegen. Gleichzeitig ist und bleibt die Frage der Bewegungsfreiheit ein alltägliches Thema, immer wieder versuchen junge Leute ihr Glück und steigen in die Boote gen Europa, auch wenn sie dort angesichts des rigiden Visumregimes fast ausnahmslos Internierung und Rückschiebung erwartet.

Angesichts dieser Situation stösst «Boats 4 People» in Tunis wie auch in den südlichen Hafenstädten Sfax und Zarzis auf nahezu begeisterte Zustimmung. Menschenrechtsgruppen wie das «Forum für wirtschaftliche und soziale Rechte» oder das «FSM» (Forum sociaux maghrebin), Frauenorganisationen wie die «ATFD» (Association tunesienne des Femmes Democrates) und nicht zuletzt Angehörige von bei Bootsunglücken Vermissten haben bereits ihre Beteiligung zugesagt. Für eine intensive euroafrikanische Vorbereitung gibt es Ende September doppelte Gelegenheit, wenn in der tunesischen Hauptsstadt gleich zwei internationale Konferenzen stattfinden, auf denen das Projekt vorgestellt und weiterentwickelt wird.

 

Freiheit statt Frontex

Die «Schiffe der Solidarität»  benötigen jetzt eine schnelle, breite und prominente Unterstützung, von beiden Seiten des Mittelmeeres und darüber hinaus. In Deutschland hat sich ein  Vorbereitungskomitee gebildet, dem Aktive aus den antirassistischen Netzwerken «Afrique-Europe-Interact» und «Welcome to Europe» sowie der Forschungsgesellschaft «Flucht und Migration» und von «Borderline Europe» angehören. Ein erster (Spenden-)Aufruf wurde bereits gestartet, um auch materiell zu diesem wichtigen transnationalen Projekt beizutragen. Für Mitte Oktober sind zudem in einigen Städten dezentrale Öffentlichkeitsaktionen in Planung, um deutlich zu machen, dass die massgebliche Verantwortung für das Sterben im Mittelmeer bei den «kerneuropäischen» Regierungen liegt, nicht zuletzt bei der deutschen. Von hier wird seit Jahren die Vorverlagerung der Migrationskontrolle betrieben, von hier wurde mit der Einrichtung und Hochrüstung von Frontex ein regelrechter Krieg gegen Flüchtlinge in Gang gesetzt.

«Boats 4 People» ist ein Pilotprojekt, um konkrete praktische Erfahrungen zu sammeln und die euroafrikanischen Netzwerkprozesse zu verstärken. Den weiteren Kontext und die langfristige Perspektive solcher Intiativen hatten obengenannte Netzwerke bereits im März 2011 in der Deklaration «Freiheit statt Frontex» treffend skizziert: «Der Aufbruch in Nordafrika zeigt, was alles möglich ist. Es geht um nicht weniger als um ein neues Europa, ein neues Afrika, eine neue arabische Welt. Es geht um neue Räume der Freiheit und Gleichheit, die es in transnationalen Kämpfen zu entwickeln gilt: in Tunis, Kairo oder Bengazi genauso wie in Europa und den Bewegungen der Migration, die die beiden Kontinente durchziehen.» Kein Mensch ist illegal!

 

Wahlen contra Menschenrechte?

Dem «vorwärts» liegt das Dossier eines Asylantrags vor, das zwei Jahre lang vom «Bundesamt für Migration» schlicht ignoriert wurde, so wie weitere 10?000 unbeantwortete Asylanfragen. Ein Skandal, der bereits nach wenigen Tagen in Vergessenheit geraten ist, doch Fragen bleiben offen.

Die Geschichte von Ayhan D. steht stellvertretend für all die tausenden von Menschen, die von der ach so humanitären Schweiz als Dossier mit einer Asylverfahrensnummer im Ablageregal eines miefigen Kellers des «Bundesamtes für Migration» (BFM) verstaut wurden.

Folter, Knast und Flucht

Ayhan ist 31 Jahre alt, als er am 23. Dezember 1997 von der türkischen Polizei verhaftet wird. Ihm wird die Unterstützung der in der Türkei verbotenen «Kurdischen Arbeiterpartei» (PKK) vorgeworfen. Unter massiver Folter und Misshandlungen wird ein «Geständnis» erpresst. Ayhan wird zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Nach zweieinhalb Jahren wird er vorübergehend entlassen. Als verurteilter «PKK-Terrorist» ist sein Leben in der Türkei in Gefahr. Er flieht nach Syrien und von dort weiter in den Nordirak. Am 27. Februar 2009 bittet er schriftlich um politisches Asyl in der Schweiz. Seine Bittschrift richtet Ayhan an die Schweizer Botschaft in Damaskus (Syrien). Im März 2009 reicht ein türkischer Anwalt eine Reihe von Unterlagen über Ayhan bei der Schweizer Botschaft in Ankara ein, weitere folgen im Februar 2010. Doch eine Reaktion der Schweizer bleibt aus!

Am 18. März 2011 schreibt ein Gewerkschafter, der auf Wunsch von Ayhan seine Interessen hier in der Schweiz vertritt, dem BFM. Im Schreiben wird darauf hingewiesen, dass Ayhan seit zwei Jahren auf eine Antwort wartet und seit dem 5. Januar 2011 vom UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) als Asylsuchender anerkannt ist. Erst jetzt reagiert das BFM. Mit Schreiben vom 29. März 2011 bestätigt das Migrationsamt, am «4. Mai 2009 von der Schweizer Botschaft in Damaskus ein ausführliches Schreiben samt Beilagen» erhalten zu haben. Und: «Das BFM hat ein entsprechendes Verfahren eröffnet». Dies liest sich wie ein makaberer, schlechter Witz, da das «entsprechende Verfahren» zwei Jahre lang im Keller des BFM vor sich hin faulte.

Ignoranz beim BMF?

Das BFM lehnt den Asylantrag ab. Die Begründung: «Im Irak kann er [Ayhan] sich weiterhin gefahrenlos aufhalten, zumal er durch das UNHCR-Büro in Erbil formell als Asylsuchender registriert worden ist. Es ist ihm deshalb zuzumuten, das weitere Verfahren beim UNHCR in Nordirak abzuwarten.» Das BFM fügt hinzu: «Insbesondere hat er [Ayhan] im Irak bis auf weiteres keine Abschiebung in seinen Heimatstaat Türkei zu befürchten.» Die  Realität ist eine andere: Der Flüchtlingsausweis, den Ayhan besitzt, ist befristet auf ein Jahr. Es ist ein provisorisches Dokument, das nicht einmal den Aufenthalt im Irak garantiert. Hinzu kommt, dass es keine Verfahren beim UHNHCR gibt, die er abwarten könnte. Falsch ist die Behauptung des BFM, dass Ahyan keine Abschiebung zu befürchten hat. Der Beweis dafür liefert niemand weniger als das türkische Innenministerium. In einer parlamentarischen Anfrage wollte ein Abgeordneter der faschistischen «Grauen Wölfe» wissen, ob «die irakische Regierung in den Jahren 2000 und 2007 PKK-Terroristen der Türkei ausgeliefert hat». Die Antwort des Innenministeriums war am 29. März in verschiedenen Presseberichten zu lesen und lautete wie folgt: «Die Nachbarstaaten haben 548 PKK-Mitglieder ausgeliefert. Der Irak hat zwischen 2000 und 2007 408 Mitglieder der Terrororganisation ausgeliefert.» Sind all diese Fakten dem BFM unbekannt? Kaum denkbar, denn es wäre so, als ob ein Bäcker die Zutaten für das Brot nicht kennen würde. Die Zukunft und das Leben von Ahyan liegen jetzt auf dem Schreibtisch (oder wäre Schlachtbank korrekter?) des Bundesverwaltungsgerichts.

Regiert die Angst?

Die Geschichte von Ahyan D. zeigt die Tragweite des Skandals auf, denn zu jeder Asylanfrage gehört ein Mensch. Ein Mensch wie du und ich, aus Fleisch und Blut und mit dem Recht auf ein würdiges Leben. Wenn die Menschenrechte von 10 000 Menschen bewusst ignoriert werden, muss von einem Skandal die Rede sein. Frage: Warum regt sich niemand im Lande der Eidgenossen gross auf? Etwa, weil die National- und Ständeratswahlen vor der Tür stehen sowie ein Regierungsthron im Bundesrat zu vergeben ist? Von der SVP und FDP ist in Sachen Menschenrechte und Solidarität nichts zu erwarten. Aber was ist mit den Parteien, die einen christlichen und/oder sozialen Anspruch anmelden? Angst, mit Themen wie Migration, Solidarität mit AusländerInnen und Menschenrechte Sitze zu verlieren?

12’000 Bauarbeiter fordern mehr Schutz

Bauarbeiter aus der ganzen Schweiz versammelten sich am Samstag, 24. September in Bern zur grössten Baudemonstration, welche die Bundeshauptstadt seit Jahren gesehen hat. Sie fordern einen besseren
vertraglichen Schutz gegen Lohndumping, Gesundheitsrisiken und den massiv gestiegenen Arbeitsdruck. Zudem wollen sie den ihnen zustehenden Anteil vom Bauboom der letzten Jahre in Form einer anständigen Lohnerhöhung von 100 Franken pro Monat.

12’000 Bauarbeiter demonstrierten in der Berner Innenstadt lautstark für ihre berechtigten Anliegen – deutlich mehr, als die Gewerkschaften Unia und Syna erwartet hatten. Es war die grösste
Bauarbeiter-Demonstration seit Jahren. An einer eindrücklichen Schlusskundgebung auf dem Bundesplatz drückten die Bauleute ihre Empörung über die Abbaupläne der Baumeister aus. In einer Abstimmung bekräftigten sie ihre Bereitschaft, die nötigen Verbesserungen im Landesmantelvertrag auch mit
Kampfmassnahmen durchzusetzen.

Zitrone ist ausgepresst – Bauarbeiter brauchen mehr Schutz

Die Bauwirtschaft boomt seit Jahren. Letztes Jahr stiegen die Umsätze um 3,1 Prozent, gleichzeitig hat die Zahl der Beschäftigten um 3,5 Prozent abgenommen. Allein schon diese Zahlen zeigen: Der Arbeitsdruck, aber auch die Produktivität steigen massiv. Einzelne Bauunternehmen bauen sogar praktisch rund um die Uhr, streichen Pausen, lassen die Leute zwei Schichten hintereinander arbeiten oder
vernachlässigen Sicherheitsbestimmungen.

Doch die Bauarbeiter haben nicht nur immer mehr Stress. Sie warten trotz Bauboom auch schon seit zwei Jahren auf eine Erhöhung der Mindestlöhne. „Die Zitrone ist ausgepresst. Die Bauarbeiter wollen endlich einen anständigen Lohnabschluss und würdige Arbeitsbedingungen“, hielt Hansueli Scheidegger,
Verantwortlicher für den Sektor Bau der Gewerkschaft Unia, heute auf dem Bundesplatz fest. Auch dem Ausbaugewerbe geht es ausgezeichnet. Darum forderten die Gewerkschaften auch hier eine anständige Lohnerhöhung.

Gegen Abbau beim Landesmantelvertrag

Doch statt auf die berechtigten Forderungen der Bauarbeiter einzugehen, wollen die Baumeister den Vertrag massiv verschlechtern und dem Lohndumping Tür und Tor öffnen: Wer in den Augen des Chefs „nicht voll leistungsfähig“ ist, soll künftig kein Anrecht auf den gültigen Mindestlohn mehr haben. Auch den
Kündigungsschutz bei Unfall und Krankheit und sogar die Frühpensionierung ab 60 stellen die Baumeister in Frage. Schliesslich will der Baumeisterverband ganze Berufsgruppen – zum Beispiel die Bau-Chauffeure oder Baggerführer in Kiesgruben ? aus dem Gesamtarbeitsvertrag ausschliessen. „Die Baumeister jammern – sie wollen Eure Lohn- und Arbeitsbedingungen verschlechtern. Wir wollen, dass wir
für die nächsten Jahre einen fairen Landesmantelvertrag erreichen. Dazu sind wir heute da“, erklärte Ernst Zülle, Branchenverantwortlicher Bau der Gewerkschaft Syna, in seiner Rede. Um zu verhindern, dass unseriöse Firmen die Preise kaputt machen, müsse auf dem Bau die Solidarhaftung der
Generalunternehmer gegenüber den Unterakkordanten eingeführt werden.
Desgleichen brauche es Quoten für Temporärarbeiten.

Lösungen erarbeiten statt Probleme verlängern

Der Landesmantelvertrag für das Bauhauptgewerbe, der die Arbeitsbedingungen von gegen 100’000 Bauarbeitern regelt, läuft Ende Jahr aus. Seit Februar 2011 verhandeln die Gewerkschaften und die Baumeister über einen neuen Landesmantelvertrag. Die Gewerkschaften wollen bis Ende Jahr einen neuen
Vertrag aushandeln und so einen vertragslosen Zustand vermeiden. Statt gemeinsam nach Lösungen zu suchen, hat der Baumeisterverband die Verhandlungen im Mai ausgesetzt und seither mehrmals verzögert. Mit dieser Haltung hat er die heutige Demonstration provoziert.

Quelle, Bild und weitere Infos: www.unia.ch

Alle nach Bern!

Heuchelei ist das bestimmende Kennzeichen der schweizerischen Politik gegenüber den Sans-Papiers: Einerseits nimmt man ihre Arbeit gerne in Anspruch, andererseits werden ihnen dieGrundrechte offiziell verweigert. Ein breites Bündnis aus Basisbewegungen, NGO’s, und politischen Parteien fordert einen Paradigmawechsel!

Weitere Infos: www.sosf.ch

Wir werden nicht ruhen!

Krise? Nicht für alle! In der Schweiz verfügen weniger als drei Prozent der Bevölkerung über gleich viel steuerbares Einkommen wie die restlichen 97 Prozent. In den letzten zwanzig Jahren ist das Vermögen der 300 Reichsten von 86 auf 449 Milliarden Franken angestiegen.

2010 haben die 41 grössten börsenkotierten Schweizer Unternehmen alle Gewinn erzielen können. Insgesamt stiegen die Gewinne um 75 Prozent auf den neuen Rekordwert von 83,9 Milliarden Franken. In 26 der 41 beobachteten Unternehmen hat sich die Lohnschere 2010 weiter geöffnet. Durchschnittlich liegt die Lohnspanne bei 1:43. Das bedeutet, dass ArbeiterInnen im unteren Lohnsegment 43 Jahre arbeiten müssen, um den Jahreslohn eines Konzernleitungsmitglieds zu erhalten. Unterstützt werden die Konzerne auch durch bürgerliche Politik: Durch die Unternehmenssteuerreform II wurde ihnen mitten in der Krisenzeit ein Steuergeschenk von mehreren hundert Millionen Franken gemacht.

Der bürgerliche Staat spart bei den Ärmsten: Den Eltern von schwerstbehinderten Kindern wird die Leistung der Spitex gestrichen. Durch die laufende 6. Revision der Invalidenversicherung sollen vier Milliarden Franken eingespart werden. 2010 wurden durch die Revision der AVIG (Arbeitslosenversicherung, ALV) 600 Millionen auf Kosten der Erwerbslosen gespart.

Durch die Revision wurden Tausende in die Sozialhilfe getrieben. Eine Abgabe von 0,12 Prozent auf das Vermögen der 300 reichsten Schweizer hätte die 600 Millionen in die Staatskassen gespült.

Der Abbau bei der ALV erhöht den Druck auf all jene, die noch einen Job haben. Ein Beispiel: Der Chemiekonzern Lonza hat per Juni 2011 im Werk in Visp kurzerhand die Arbeitsstunden von 41 auf 42,5 pro Woche erhöht. Natürlich bei gleichem Lohn, was für die betroffenen ArbeiterInnen zu einem Reallohnverlust von etwa vier Prozent geführt hat.

Der Grund ist ein vermuteter Gewinnrückgang im Jahr 2011, bedingt durch den starken Franken. Der Konzern hat im Jahr 2010 einen Gewinn von über 250 Millionen Franken verbucht. Andere Unternehmen sind dem Beispiel gefolgt. Sie wälzen so die Krise auf die ArbeiterInnen um.

Wir stellen fest, dass Geld in der Schweiz keine Mangelware ist. Es ist massiv ungerecht verteilt. Wir stellen weiter fest, dass die neoliberale Politik der bürgerlichen Parteien als Hüterin und Vollstreckerin Teil des kapitalistischen Gesellschaftsystems ist. Sie unternimmt daher nichts, um die Ungerechtigkeit aufzuheben. Der Grund dafür ist bestechend einfach: Geld und die Herrschaft über die Produktionsmittel bedeuten gesellschaftliche Macht. Und damit die Macht in den Händen von Wenigen bleibt, muss die grosse Masse gegeneinander ausgespielt werden: «Sozialschmarotzer» gegen «ehrliche ArbeiterInnen», «Ausländer» gegen «Einheimische», «Christen» gegen «Muslime».

Finde den Unterschied!

Die PdA Zürich nimmt mit Befremdung die Medienmitteilung der Polizei zur Kentniss: Medienmitteilung der Polizei nach RTS vom 11. September: «Als rund 20 Personen auf ein Tramwartehäuschen stiegen, entschieden sich die Einsatzkräfte aus Sicherheitsgründen diese herunterzubitten, da akute Einsturzgefahr bestand und sich die Menschen gefährlich nah an den Fahrleitungen der VBZ befanden».

Herunterbitten = Gummischrott und Tränengas in die Menge schiessen!?

Die Begründung holpert stark. Wie man im angehängten Foto erkennen kann, sind z.B. im Jahr 2006 weitaus mehr jubelnde schweizer Fusballfans auf dem selben Dach am feiern.  Wir bitten Sie alle, dies in Ihrer Berichterstattung ebenfalls zu erwähnen und dieses Foto zu publizieren. Denn wenn die Polizei einen fadenscheinigen Grund vorführt, um eine tanzende Menge immer und immer wieder mit Gummischrot zu beschiessen und ein ganzes Quartier mit Tränengas einzunebeln, muss man dies kritisch betrachten.

PdA Zürich

Ausnahmezustand in Ägypten

Die EU, USA und die internationale Gemeinschaft hat das Militär nun offenbar hinter sich, wenn es gegen jede Art von weiteren Protesten und Streiks vorgeht. Hinter dem Angriff auf die israelische Botschaft steckt das Militär.

Hier eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse vom Sonntag:

– Nach der Wiedereinsetzung des Ausnahmegesetzes hat eine Verhaftungswelle eingesetzt: 93 Personen wurden am Sonntag festgenommen, sie wurden von der wieder aktivierten Sicherheitspolizei «Amn el-Dawla» in ihren Häusern und Arbeitsstellen verhaftet – das ist seit der Revolution nicht mehr geschehen! Die Regierung behauptet, sie seien am Angriff auf die Botschaft beteiligt und werden von Sondergerichten verurteilt werden. Aktivisten sagen, es handele sich um Protestierende, die auf dem Tahrirplatz waren.

– Derweil häufen sich Vorwürfe gegen das Militär, der Vorfall an der Botschaft sei von diesem initiiert. Augenzeugen berichten, die vier jungen Männer, die zuerst in die Botschaft eindrangen, seien von Soldaten bis zur Tür der Botschaft gebracht worden, diese haben dies später in Interviews bestätigt. Ein Salafiten-Führer der zunächst den Angriff auf die Botschaft guthiess, veröffentlichte Sonntagabend eine Nachricht: Hinter dem Angriff auf die Botschaft steckt das Militär. Wir müssen uns auf eine baldige Konfrontation einstellen.

– Innenminister Essawy verteidigt die neuen harten Regeln: Jeder der versuche eine Polizeistation oder ein offizielles Gebäude angreife auf den werde direkt geschossen, schiessen die Polizisten nicht, werden sie hart bestraft. Das Notstandsgesetz werde insbesondere gegen Drogen- und Waffenhändler, thugs («Verbrecher», häufig für Protestierende verwendete Beschuldigung) sowie Streikende (!) angewandt.

– Al-Jazeera Ägypten ist weiter dicht. Die Regierung hat heute 16 internationale Fernsehstationen angegriffen, Sendegeräte beschlagnahmt und Mitarbeiter verhaftet. Mehreren bekannten Fernsehmoderatoren wurde am Sonntag abend jeder weitere TV-Auftritt verboten.

– Der heute begonnene Prozess gegen die Verantwortlichen der «Camel battle» ist vertagt. Live-Übertragung ab morgen verboten.

Quelle und weitere aktuelle Infos unter: http://egyptianspring.blogsport.de

Dem Staat ist alles recht…

**Dem Staat ist alles recht…**
*solange es der Kontrolle dient*

16. September, Volkshaus, Zürich

Rayonverbote, Internet-Fahndung, Aushöhlung des Streikrechts,
Hooligan-Datenbank und Politische Prozesse.
Die politische Krise führt auch in der Schweiz dazu, dass der
bürgerliche Staat seine eigenen juristischen Grundlagen ständig
verletzt. Die nachrichtendienstliche und polizeiliche Präventionslogik
ist auf dem Vormarsch.

Mit einer Podiumsveranstaltung soll diese Tendenz mit JuristInnen und
Betroffenen verschiedener gesellschaftlicher Bereiche beleuchtet werden.

OrganisatorInnen:
Partei der Arbeit (PdAZ)
vorwärts
Kasama
1. Mai-Komitee
Revolutionärer Aufbau Schweiz

 

Ausschaffungs-Sonderflüge: Skandalöse Personalwahl

Die Veröffentlichung der Personen, die fürs Monitoring auf den Ausschaffungs-Sonderflügen eingesetzt werden, hat die schlimmsten Befürchtungen übertroffen: Das unabhängige Monitoring ist schon jetzt eine Behördenlüge.
Prominenteste Vertreterin im Club der BeobachterInnen: Dora Andres, ex-Polizeidirektorin von Bern. Sie trägt die politische Verantwortung für den ersten Ausschaffungstoten, Khaled Abuzarifa. Ihre Beamten haben den 27-jährigen Palästinenser am 3. März 1999 mit einem Klebeband erstickt. In der Folge hat diese Frau zwar die Beamte politisch geschützt und sogar von sämtlichen Disziplinarmassnahmen abgesehen, gegenüber den Hinterbliebenen gebar sie sich aber unglaublich kaltschnäuzig: Es gab nie eine Entschuldigung an die Familie, und sie hat nicht einmal dafür gesorgt, dass diese die letzte Habe ihres hier getöteten Sohnes erhalten. Auch in einer regierungsrätlichen Interpellationsantwort spricht sie nach einem Satz des Bedauerns wieder ausschliesslich darüber, dass der Todesfall ihre Beamten belastet hätte. Mindestens die Kaltschnäuzigkeit hätte sie für das Monitoring.
Der Blick auf die weiteren BeobachterInnen zeigt sofort: Unabhängigkeit und Unbefangenheit waren bei der Rekrutierung keine Priorität. Sämtliche Beteiligte waren oder sind im Staatsdienst, und zwar bei der Exekutive. Nicht einmal die Gewaltentrennung wurde eingehalten. Offenbar war es dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH)nicht möglich, die versprochenen „von allen Seiten akzeptierten“ neutralen BeobachterInnen zu rekrutieren.
Als zentral verantwortlich für diese Misere muss der SEK bezeichnet werden. Er hat offensichtlich nicht verstanden, dass es nicht um Migrationsfragen, sondern die öffentliche Kontrolle bei der Ausübung von polizeilicher Gewalt geht. Auch scheint er offenbar in keiner Weise fähig, die Anforderungen der Zivilgesellschaft an ein Monitoring zu verstehen und durchzusetzen. Dazu würde auch gehören, dass nicht nur gegenüber den Behörden, sondern auch der Öffentlichkeit transparent berichtet wird. Leider zeigt sich, dass der gute Wille kein Ersatz für Fachkompetenz sein kann.
Augenauf fordert den Abbruch dieser als Monitoring bezeichneten Übung und die Beauftragung einer erfahrenen, kompetenten und wirklich unabhängigen Organisation mit dem Aufbau einer vorgeschriebenen neutralen und transparenten Beobachtung der Ausschaffungsflüge.

Quelle: augenauf zürich

«Eine Bewegung des Mittelstands»

Seit Wochen gehen in Israel Zehntausende auf die Strasse, um gegen die schlechten Lebensbedingungen zu protestieren. Welchen Hintergrund haben die jüngsten sozialen Proteste in Israel? Wie gestaltet sich die Wechselwirkung von sozialem Protest, anhaltender Okkupationspraxis Israels und beständiger Kriegsdrohung? Ein Gespräch mit dem bekannten israelischen Historiker und Soziologen Moshe Zuckermann über die aktuellen Proteste in Tel Aviv.

In den letzten Wochen haben sich immer wieder meist junge Menschen in Tel Aviv versammelt.Sie haben gegen soziale Missstände in der israelischen Gesellschaft wie zu hohe Mieten, gestiegene Lebenshaltungskosten allgemein und jugendliche Chancenlosigkeit protestiert. Können Sie erst einmal schildern, was sich genau in Tel Aviv zuträgt und ob diese Proteste etwas qualitativ Neues in der israelischen Protestkultur darstellen? 

Es ist eigentlich eine Protestbewegung des israelischen Mittelstands. Sie kommt nicht ganz von unten. Die Bewegung geht nicht aus von den mittelosen und den unterprivilegierten Schichten und Klassen der israelischen Gesellschaft, sondern, wie gesagt, sie geht aus vom Mittelstand, der im Grossen und Ganzen gut verdient. Aber wegen den vollkommen abgebauten israelischen Wohlfahrtsstrukturen, den Privatisierungstendenzen der letzten zehn Jahre und aufgrund der neoliberalen Ausrichtung eines Netanjahu ist der Mittelstand an einen Punkt gelangt, wo er – obwohl er gut verdient – die explodierenden Lebenshaltungskosten nicht mehr aufbringen kann, sich verschuldet. Oder wo die Erwartungen, die er an einen guten Verdienst hat, enttäuscht werden. Was aber ganz lokal, harmlos und minoritär begann, das Zeltaufschlagen in einer zentralen Allee Tel Avivs, hat sich zu einer Massenbewegung ausgeweitet, die bei weitem das übertrifft, was die ursprünglichen Initiatoren dieser Bewegung vor Augen hatten und sie überhaupt erwarten durften. Wenn ich an die Proteste vom 14. August denke, als 350 000 Menschen auf Israels Strassen, vor allem in Tel Aviv, gegangen sind, muss ich konstatieren: Das hatten wir noch nie. Und das lässt mich vermuten, dass es nicht nur um die ökonomischen Belange geht, die jetzt als offizielle Belange verkündet werden. Denn es hat schon Zeiten in Israel gegeben, in denen es den Leuten weit schlechter ging als heute. Obwohl natürlich heute die soziale Kluft und die soziale Diskrepanz so weit auseinander gegangen sind, wie wir sie schon lang nicht mehr hatten. Aber insgesamt war ja die israelische Gesellschaft in vergangenen Epochen viel schlimmer dran. Ich vermute, dass mit dieser Protestbewegung sich etwas ankündigt, das eine Ahnung davon entwickelt, dass Israel sich insgesamt in eine Sackgasse manövriert hat. Diese Ahnung existiert allerdings lediglich im Vorbewussten, es wird nicht deutlich artikuliert. Denn wie in der Wirtschaftspolitik hat man sich vor allem aussenpolitisch in eine Sackgasse katapultiert.  Nun wird von Seiten der Protestbewegung dieses Problem jedoch nicht angesprochen, sondern – ganz im Gegenteil – versucht, den Protest «nicht politisch» zu halten.

 

Wie waren nun die Reaktionen der Protestbewegung nach der Anschlagswelle in Eilat und den darauf folgenden Bombardierungen des Gaza-Streifens rund um den 18. und 19. August? 

Wie es eben leider nicht anders zu erwarten war: In dem Moment als die Kanonen dröhnen, schweigen die Musen. In dem Moment haben auch die Protestierenden mehr oder weniger geschwiegen. Das letzte Wochenende (20. und 21. August) hat man einen Schweigemarsch in Tel Aviv gemacht. Da kamen gerade mal 4 000 bis 5 000 Menschen. Diejenigen, die dann dort versammelt waren, waren dann auch alte Bekannte. Es waren eben nur noch diejenigen auf der Strasse, die auch sonst, wenn die Sicherheitsfrage instrumentalisiert wird, nicht aufhören zu protestieren. Aber es blieben eben ein paar Tausend Menschen, was im Vergleich zu den Zahlen der Protestbewegung davor ein steiler Abfall war. Es bleibt die Frage, ob sich die Proteste wieder in Bewegung setzen werden, wenn sich die Situation an den Grenzen abgekühlt hat.

Die Regierung reagierte sehr aufgeschreckt über die Breite der Protestbewegung. Da stellt sich der Protestbewegung die Frage: Was wird passieren, wenn die Regierung, um die Protestbewegung auszuhöhlen, sagt: «Jetzt haben wir ja gesehen, dass die Leute wieder in dem Moment zu braven israelischen Bürgern werden, wenn es an den Grenzen heiss wird, nun dann heizen wir einfach an den Grenzen an.» Das muss nicht unbedingt in einen nächsten Krieg oder in eine nächste Intifada ausarten. Es steht ja im September einiges an, beispielsweise die Proklamation des Palästinenserstaates in der UN. Das könnte dann dazu führen, dass in den besetzten Gebieten des Westjordanlandes einiges an Bewegungen bei den Palästinensern entsteht. Die israelische Regierung könnte darauf den Sicherheitskräften anordnen, dass diese die entstehenden Unruhen in den Griff kriegen sollen. Und innenpolitisch gibt es Schweigen. Ich will also nicht ausschliessen, dass es unter diesen Gesichtspunkten zu einer Instrumentalisierung dessen, was wir gerade als das Sicherheitsproblem benannt haben, kommen könnte. Und in diesem Fall wäre dann in der Tat abzuwarten, wie dann die Protestbewegung reagiert. Für die aktuelle Situation muss man festhalten: Sie hat sich selbst Schweigen auferlegt.

Die Empörten auf dem Marsch nach Brüssel

Seit dem 16. Juli sind sie unterwegs, seit dem 17. August in Frankreich, am 17. September wollen sie in Paris sein und am 8. Oktober in Brüssel. Als sie aufbrachen, um die mehr als 1500 Kilometer lange Strecke von Madrid nach Brüssel zu Fuss zurückzulegen, waren sie nur rund zwei Dutzend. 

«Reale Demokratie jetzt» und «Zugang zur Bildung, Gesundheit, Kultur, Wohnung und Arbeit für alle» lauten die Hauptparolen, unter denen schon am 23. Juli ein grosser Sternmarsch der «Indignados» aus mehr als 80 spanischen Städten gegen den von der EU diktierten Sparkurs und Sozialabbau der spanischen Regierung Zapatero stattgefunden hatte. Bei diesem Treffen von 40?000 TeilnehmerInnen soll unter den AktivistInnen auch die Idee für den Marsch nach Brüssel entstanden sein.

Grenzenlose Empörung

Die TeilnehmerInnen veranstalten in den Städten und Dörfern, durch die sie kommen, immer wieder kleine Versammlungen und Diskussionsforen. Sowohl in Spanien wie in Frankreich seien sie von der Bevölkerung zwar oft mit Staunen, aber immer mit spontaner Solidarität aufgenommen und unterstützt worden, berichten sie. Sie seien mit Essen und Getränken versorgt worden und da und dort seien ihnen auch Schlafplätze zur Verfügung gestellt worden, manchmal sogar in städtischen Turnhallen. Aber gelegentlich übernachten sie auch in Zelten auf Grünflächen unter Bäumen. Die Truppe ist inzwischen «international» geworden: Den TeilnehmerInnen aus Spanien schlossen sich auch ItalienerInnen, BritInnen, NiederländerInnen und seit dem Überschreiten der spanisch-französischen Grenze auch FranzösInnen und sogar Israelis an.

Am 17. September soll in Paris eine grosse Vereinigung der von Madrid und Barcelona gestarteten Marschgruppen mit Marschgruppen aus verschiedenen Städten Frankreichs, unter anderem aus Marseille, stattfinden. Von dort aus soll es dann nach Brüssel weiter gehen. Dort soll ab dem 8. Oktober ein Treffen mit Abordnungen der Protestierenden aus zahlreichen weiteren EU-Staaten und bis zum 15. Oktober eine ganze Woche von gemeinsamen Aktionen und Diskussionsforen in der belgischen Hauptstadt stattfinden. Für diesen Tag hat die Bewegung «Reale Demokratie jetzt» europa- und weltweit dazu aufgerufen, auf die Strasse zu gehen, um «unsere Empörung über den Verlust unserer Rechte zu zeigen – Rechte, die uns durch ein Bündnis zwischen grossen Unternehmen und der politischen Klasse entzogen werden», wie es in dem Text heisst. Es sei «der Augenblick gekommen, die Stimme zu erheben. Unsere Zukunft steht auf dem Spiel, und niemand kann der Kraft von Millionen von Menschen trotzen, wenn sie sich in gemeinsamer Absicht vereinen».

Die TeilnehmerInnen der Märsche nach Brüssel sind naturgemäss vorwiegend jüngeren Alters. Sie seien jedoch «ganze normale Leute», BauarbeiterInnen, LehrerInnen, Arbeitslose, IngenieurInnen, SozialarbeiterInnen, KöchInnen und KünstlerInnen, durchaus unterschiedlicher Meinungen, betonten TeilnehmerInnen. Es vereine sie aber der Wille zu demonstrieren, «dass die Empörung in Europa grenzenlos ist».

 

Europäisches Fascho-Treffen in der Ostschweiz

 Am 10. September soll in der Ostschweiz das «Europafest» der «Europäischen Aktion» stattfinden. Die Organisation will damit für ein «neues europäisches Selbstbewusstsein» werben und dafür an nationalsozialistische Traditionen anknüpfen. Doch in St. Gallen formiert sich Widerstand.

In der Einladung zu ihrer «ersten Grossveranstaltung» schreibt die «Europäische Aktion» (EA): «Erwünscht ist traditioneller Stil, volkstreue Kleider (z.B. Trachten) (…) unerwünscht sind Bluejeans und die Monturen pubertärer angloamerikanischer Subkulturen.» Die EA grenzt sich also ästhetisch von den gewalttätigen Glatzköpfen ab. Gleichzeitig ist ihr aber der Traditionsbezug wichtig. Das sieht man auch an ihren ideologischen Grundlagen, die Anleihen an der nationalsozialistischen Tradition nehmen: Antisemitismus, Rassismus, rechte «Kapitalismuskritik» und Verschwörungstheorien gehören zu ihrem Repertoire. Nicht zufällig ist Bernhard Schaub einer der federführenden Exponenten des Zusammenschlusses. Der ehemalige Rudolf-Steiner-Lehrer und bekannte Holocaust-Leugner ist für seine Sympathien für das «Dritte Reich» bekannt. Schaub wird neben NPD-Exponenten und anderen europäischen Rechten einer der Hauptredner der Veranstaltung sein.

Ideologische Grundlagen

«Am Beginn einer europäischen Befreiungsaktion muss ein Feldzug für die Freiheit des Wortes stehen», erklärt die EA. Was sie damit wirklich meint wird klar, wenn man sich durch ihre Homepage klickt. Es geht vor allem darum, dass man endlich wieder den Holocaust leugnen und JüdInnen verunglimpfen darf. Wer sich die Texte der EA durchliest, stösst immer wieder auf krude Verschwörungstheorien: Der Anschlag auf die «Twin-Towers» habe vor allem der «Zionisten-Mafia» gedient, die Anschläge in Norwegen seien ein Geheimdienstprojekt um das «national- und europabewusste Lager» zu schwächen und der Zweite Weltkrieg habe wegen einer «von den Juden inspirierten Hintergrund-Diplomatie» stattgefunden. Die Juden haben an allem Schuld: sowohl am «zügellosen Rothschild-Kapitalismus» wie am «marxistischen Terror», sowohl an der «Rassenvermischung» wie an der «Neuen Weltordnung». Der Kampf der EA für «die Freiheit des Wortes» hat einzig zum Ziel, dass man diese irren Vorstellungen endlich wieder offen propagieren kann. Die Überschneidungen der EA mit dem Nationalsozialismus liegen offen zu Tage. Der verschwörungstheoretisch angereicherte Antisemitismus war eine zentrale Komponente bei den Nazis. Auch in anderen Fragen sind Schaub und seine Kameraden eng an den Nationalsozialismus angelehnt. Wo andere Rechte in den letzten Jahren vor allem von «Kulturkreisen» geredet haben, da poltert die EA offen von bedrohten Rassen und fordert eine «Repatriierung» aller «aussereuropäischen Einwanderer». Zudem hat die Vereinigung einen «rechten Antikapitalismus» auf Lager, der eine Verstaatlichung der Banken – des «raffenden» internationalen Kapitals – fordert, ohne aber die Produktionsstruktur des Kapitalismus als solche anzutasten. Die Verteidigung des «Dritten Reiches» in verschiedenen Texten rundet das Bild einer ziemlich traditionell nationalsozialistischen Vereinigung ab – auch wenn man heute das gesamte Europa im Sinne hat.

 

Widerstand in St. Gallen

In St. Gallen hat sich ein «Bündnis gegen Rassismus, Faschismus und Antisemitismus» zusammengefunden und will sich dem Treffen entgegenstellen. Das Bündnis erklärt auf Nachfrage: «Die Gefahr, die von einer Organisation wie der EA ausgeht, ist einerseits die kontinentale Zusammenarbeit einzelner faschistischer Gruppen, andererseits auch die Tatsache, dass es sich nicht um ungebildete, nur gewaltgeile Personen handelt. Diese Leute wissen, wie man möglichst viele naive, unzufriedene Menschen in den Bann ziehen und für sich instrumentalisieren kann.» Man solle «vor Ort sein und Gesicht zeigen», fordert das Bündnis. Genauere Angaben folgen in den nächsten Tagen auf öffentlichen Plattformen wie Indymedia, wenn der genaue Versammlungsort der EA beka

Die Herrscherin Justitia

Die gerechte Justitia, die unabhängig und neutral mit verbundenen Augen Recht spricht, gibt es nicht. So finden in der Schweiz praktisch täglich politische Prozesse statt, denn der Arm des «Strafrechtstaates» reguliert die unteren Klassen. Ein Interview mit Rechtsanwalt Marcel Bosonnet, der seit Jahrzehnten linke, politische AktivistInnen verteidigt.

Was genau ist unter einem «politischen Prozess» zu verstehen. 

Eine allgemeingültige Definition des politischen Prozesses gibt es nicht. Die Anklage und das Gericht unterscheiden in Strafverfahren oft den Beschuldigten einerseits als privaten Widersacher, andererseits als einen Feind des Gemeinwohls. Ich würde deshalb alle jene Strafverfahren als politische Prozesse bezeichnen, bei denen das Gericht und der Justizapparat im  Angeklagten einen politischen Feind wahrnimmt und entsprechend agiert.

Die Wahrnehmung und die entsprechende Einschätzung des Gerichts entscheiden, ob es ein politischer Prozess wird?

Ja, ganz genau, dieser Schritt ist ganz entscheidend! Das Gericht würde zwar nie und nimmer zugeben, dass es ein politischer Prozess ist. Es bezeichnet sich selber als unpolitisch, sprich gerecht, objektiv und unparteiisch. Falls aber das Gericht den Angeklagten als politischen Feind betrachtet und entsprechend einstuft, unterliegt er nicht mehr den gleichen Rechtsanwendungen wie andere Angeklagte, obwohl das gleiche Strafrecht angewendet wird. In solchen Verfahren sprechen wir JuristInnen vom «Feindstrafrecht», das zur Anwendung kommt. Es unterscheidet sich vom sonstigen Recht, obwohl – wie gerade erwähnt – formal die gleichen Gesetze angewendet werden. Bildlich gesprochen wird in einem solchen Prozess in einem Ausnahmezustand verhandelt.

Am besten lässt sich das am konkreten Beispiel des Verfahrens gegen die drei AnarchistInnen aufzeigen: Der Gerichtspräsident versicherte zwar, dass die Gesinnung der Beschuldigten beim Ausgang des Verfahrens keine Rolle spielt. Doch er selber ordnete gleichzeitig Massnahmen an, die den fundamentalen Bestimmungen eines fairen Verfahrens widersprachen und dem Beschuldigten eine wirksame Verteidigung erschwerten oder gar verunmöglichten. So wurde zum Beispiel die Befragung von wesentlichen Entlastungszeugen nicht zugelassen. Weiter wurden der Verteidigung Akten vorenthalten, die der Bundeskriminalpolizei und der Bundesanwaltschaft bekannt sind. Es handelt sich dabei offensichtlich um Geheimakten, die entlastend für die Angeklagten sein müssen. Denn wären die Akten für die Angeklagten belastend, würden sie sicherlich als Beweismittel im Sinne der Anklage vorliegen. In solchen Fällen ist es meine Aufgabe als Verteidiger, den politischen Charakter des Verfahrens aufzuzeigen und die Rechte einzufordern, die sonst allen anderen zugestanden werden.

Besonders ausgeprägt zeigt sich die politische Justiz zudem in Asylverfahren und gegen AusländerInnen. Ich glaube, in keinem anderen Teil des Strafrechts lässt sich dessen politischer Gehalt derart gut erkennen, wie im Ausländerrecht. Es beginnt mit der Unterscheidung EU-BürgerInnen und andere, nicht EU-BürgerInnen. Dann lässt sich klar erkennen, dass bereits ohne strafbare Handlung jemand während 18 Monaten in ein Gefängnis geschlossen werden kann, nur weil er nicht über eine Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz verfügt.

Du hast den Prozess gegen die drei AnarchistInnen erwähnt. Sie wurden kürzlich zu dreieinhalb Jahren verurteilt. Einen der drei Angeklagten hast Du verteidigt. Wie ist deine Einschätzung zum Prozess?

Diese drei Personen hat man bekanntlich bei einer angeblichen Verkehrskontrolle überprüft und verhaftet. In ihrem Fahrzeug befanden sich Sprengstoffutensilien und Bekennerschreiben hinsichtlich eines Anschlags auf das IBM-Nanotechnologiezentrum in Rüschlikon. Bis kurz vor der Anklage wurde in der Öffentlichkeit geltend gemacht, die drei Personen hätten versucht, das Nanotechnologiezentrum IBM in die Luft zu sprengen. Unmittelbar vor der Anklageerhebung wurde dieser Anklagepunkt fallen gelassen, denn er war nie gerechtfertigt. Er diente alleine dazu, in den Medien und in der Öffentlichkeit politische Stimmung zu erzeugen. Somit verblieben der Anklagepunkt des Besitzes von Sprengstoff und die Vorbereitung einer Brandstiftung. Die Schweiz ist das einzige Land in Europa, das bereits ein Verhalten bestraft, bevor überhaupt der Versuch einer Straftat begangen wurde. Die drei AnarchistInnen wurden somit auf Grund ihrer Überlegungen und nicht wegen dem Versuch, das IBM-Nanozentrum in die Luft zu sprengen, verurteilt. Und somit letztlich wegen ihrer politischen Gesinnung. Dies ist ein klassischer Ausdruck eines politischen Prozesses.

Gibt es zurzeit laufende politische Prozesse in der Schweiz? 

Den kommenden Prozess gegen Andrea Stauffacher (Aktivistin des Revolutionären Aufbaus) ist offensichtlich ein politischer Prozess. Seit Jahren wird gegen Andrea durch die Staatsanwaltschaften, die Bundeskriminalpolizei und die Bundesanwaltschaft verschiedene Strafverfahren geführt. Dabei wurden alte Vorfälle bis zum Jahre 2002 durch die Bundesanwaltschaft wieder ausgegraben, die bereits durch die Staatsanwaltschaft Zürich eingestellt wurden. Vor Einreichung der Anklage beim Bundesstrafgericht hat die Bundesstaatsanwaltschaft das Strafverfahren in fast der Hälfte der untersuchten Fälle eingestellt. Wir werden in wenigen Wochen sehen, wie begründet diese Anklage ist und welche Ziele damit verfolgt werden.

Gerade aber auch in Prozessen, die ohne mediales Getöse durchgeführt werden, zeigt sich der politische Charakter des Strafprozesses. Zum Beispiel jenes Verfahren gegen eine peruanische Frau, die beschuldigt wurde, sich mehrere Jahre ohne Bewilligung in der Schweiz aufgehalten und bei verschiedenen Haushalten als Raumpflegerin gearbeitet zu haben. Sie wurde verhaftet, mit einer Strafe wegen illegalem Aufenthalt belegt und das Geld, das sie in all den Jahren verdient hatte, wurde ihr als illegaler Gewinn weggenommen. Sie wurde mit 5.00 Franken zurück in ihre Heimat abgeschoben. Oder ich denke auch an den Bauarbeiter, der aus gutem Grunde streikte und anschliessend wegen Nötigung verurteilt wurde. In einer Frage ausgedrückt: Sind nicht die Prozesse gegen Polizeibeamte, die AusländerInnen misshandeln und gleichwohl regelmässig von den Gerichten freigesprochen werden, Paradebeispiele für politische Prozesse, weil bei ihnen exemplarisch der Herrschaftscharakter des Rechts zur Erscheinung kommt? Es ist meines Erachtens ein grosser Irrtum zu meinen, nur die Prozesse gegen linksstehende Personen seien politische Prozesse.

 Als Anwalt verteidigst du seit vielen Jahren politische AktivistInnen. Welche Entwicklung stellst du fest?

Früher brauchte es ein Verbrechen, um bestraft zu werden. Heute ist dies nicht mehr nötig, wie es das Ausländerrecht beweist. In der heutigen Zeit der sozialen Unsicherheit zielt das Strafrecht auf eine Neuausrichtung des Verhaltens all derer, die in prekären finanziellen Verhältnissen leben und somit am Rande der Gesellschaft. Nicht mehr der Arm des Wohlfahrtstaates, sondern der Arm des Strafrechtstaates reguliert die unteren Klassen. Dabei benutzt die bürgerliche Politik in der freien Marktwirtschaft das Gefängnis als eine Art Staubsauger zur Entsorgung des «Sozialmülls». So kann der Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligung 18 Monate in ein Gefängnis eingesperrt werden, ohne dass er ein Delikt beging. Zunehmend werden Jugendliche ausgeschult und in Gefängnisse oder in gefängnisähnliche Institutionen eingesperrt. Neue Jugendgefängnisse werden gebaut. Sozialhilfebezüger werden im Hinblick auf allfälligen «Missbrauch» überwacht und allenfalls auch bei geringen Vergehen drakonisch bestraft.